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10.08.13 / Klare Linie hinter gefälliger Kulisse

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-13 vom 10. August 2013

Gastkommentar
Klare Linie hinter gefälliger Kulisse
von Hinrich E. Bues

Seit mehr als 100 Tagen sorgt Papst Franziskus als neues Oberhaupt der katholischen Kirche für Aufreger und Aufregung. Anders als Benedikt XVI., der große Theologen-Papst, packt er es praktisch an und fährt doch inhaltlich die gleiche Linie. Statt eines goldenen Brustkreuzes trägt er eines aus Stahl, statt in einem Mercedes lässt er sich in einem Ford Focus chauffieren, statt eleganter italienischer Maßschuhe trägt er seine alten schwarzen Straßentreter. Seinen Bischofskollegen und Priestern gibt er den Ratschlag, nicht in einem Neuwagen oder gar einer Luxuskarosse zu fahren.

Damit setzt Franziskus eine Linie fort, die schon Benedikt XVI. bei seiner letzten Rede in Deutschland programmatisch vorgegeben hatte. Im Freiburger Konzerthaus forderte Benedikt im September 2012 die „Entweltlichung“ der Kirche; und hatte sogar die Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts gelobt, die zum Verlust vieler Kirchengüter und Privilegien geführt hatte. Das hatte noch nie ein Papst vor ihm getan. Die Kirche sei dadurch glaubwürdiger und missionarischer geworden. Deutschen Kirchenoffiziellen fuhr damals der Schreck in die Glieder, weil sie die (vom Vatikan kritisierte) Kirchensteuer in Gefahr sahen.

Wie eine „arme Kirche für die Armen“ aussehen kann, zeigt Franziskus nun auf seinen Reisen und bei ersten Auftritten. Menschennähe und Offenheit für scheinbar unlösbare Probleme kennzeichnen diesen Weg. Die erste inneritalienische Reise galt dem Flüchtlingslager auf Lampedusa, wo Flüchtlinge aus Nordafrika stranden. Bei seiner ersten Pressekonferenz vor 6500 Journalisten erwähnte er die „Homo-Lobby“ im Vatikan und setzte eine Reformkommission von acht Kardinälen ein. Homosexuelle sollten nicht diskriminiert werden, praktizierte Homosexualität sei aber eine schwere Sünde. Soviel scheint klar: Von der katholischen Lehre wird dieser Papst keinen Deut abgehen, was einige deutsche Kirchenkritiker gehofft hatten.

Die gerade abgeschlossene Reise zum Weltjugendtag nach Brasilien galt als erster ultimativer Test des neuen Kirchenoberhauptes. Wie würde der 76-Jährige die Strapazen überstehen? Wie würde der erste Papst aus Lateinamerika auf seinem Heimatkontinent, insbesondere bei Jugendlichen ankommen, wie die Reaktionen, der Politik, der evangelischen Freikirchen und der katholischen Kirche selbst sein?

Diese Fragen stellten sich besonders, weil Lateinamerika für die katholische Kirche ein durchaus krisenhafter Kontinent ist. Anders als in Afrika oder asiatischen Ländern, wo die Zahl der Katholiken stark wächst, wandten sich in Brasilien oder Argentinien im Laufe der vergangenen Jahrzehnte über 20 Prozent der Bevölkerung evangelikalen Pfingstkirchen meist nordamerikanischer Herkunft zu. Ein Bonmot in Lateinamerika lautet: Die linken (katholischen) Befreiungstheologen wollten die Armen gewinnen, die Pfingstkirchen aber haben sie durch ihre biblische und christuszentrierte Predigt gewonnen. Selbst in kleineren Städten Argentiniens, dem Heimatland des Papstes, entstanden so neben der katholischen Ortskirche zehn oder mehr evangelische Freikirchen – ein für viele ungewohntes und verwirrendes Bild der einst einigen Christenheit in Lateinamerika.

Von diesem Hintergrund ließ sich eine Million Menschen beim Eröffnungsgottesdienst an der Copacabana nicht beeindrucken. Drei Millionen Jugendliche kamen schließlich zur abschließenden Gebetsnacht und dem Abschlussgottesdienst des Weltjugendtages an den Strand von Rio de Janeiro, einem der größten Gottesdienste der Kirchengeschichte. Unermüdlich rief Franziskus die jungen Menschen auf, sich zu bekehren, das eigene Leben Jesus Christus ganz anzuvertrauen, kein „Teilzeit-Christentum“ zu betreiben, sondern sich in allen Lebensfragen voll Hoffnung an den lebendigen Gott und den Erlöser zu wenden. Auch viele evangelische Christen hatten an diesen Predigten des Papstes ihre helle Freude.

Was Benedikt XVI. theologisch und gleichsam ein wenig theoretisch sagte, setzt Franziskus nun in die Praxis um. Sein Besuch in einer Favela, einem Armenviertel Rio de Janeiros, sein einfaches Mittagessen mit zwölf Jugendlichen setzten weitere Zeichen. Ganz unkompliziert spendete der Papst selbst auf einer großen Wiese Jugendlichen das Sakrament der Versöhnung, zusammen mit hunderten anderer Priester. Schon jetzt lässt sich absehen, dass der Weltjugendtag in Rio keine Eintagsfliege, auch kein bloßer „Event“ sein wird, wie einige Kritikern behaupten; er wird, ähnlich wie der Weltjugendtag 2005 in Köln, ausstrahlen in die ganze Welt. Insbesondere missionarische Impulse, auch für die europäische Christenheit, werden von diesem Ereignis erwartet.

So gesehen braucht man sich eigentlich um die katholische Kirche, um ihr Oberhaupt und die Christenheit im Allgemeinen keine Sorgen zu machen. „Die Kirche ist jung und lebt“, rief Benedikt XVI. zu Beginn seiner Amtszeit 2005 aus. Seitdem ist die katholische Kirche weltweit prozentual stärker als die allgemeine Weltbevölkerung gewachsen. Die Zahl der katholischen Priester hat sich weltweit seit 1980 mehr als verdoppelt. Allein in Afrika, wo es vor 100 Jahren nur eine Million katholische Christen gab, zählt man heute über 180 Millionen Gläubige, so die Zahlen aus der offiziellen Kirchenstatistik, dem „Jahrbuch der katholischen Kirche“.

Für die kriselnden christlichen Konfessionen in Deutschland und Westeuropa sollte diese Zahlen ein Zeichen sein, wo ein erfolgversprechender Weg hingeht. Angesichts abnehmender Priesterberufungen oder Theologiestudenten, Kirchenmitglieder oder Gottesdienstbesucher werden hierzulande stattdessen zweifelhafte Reformprojekte präsentiert. Eine „Orientierungshilfe“ der evangelischen Landeskirchen (EKD) zu Fragen der Familie und Ehe versuchte jüngst die Ehe zwischen Mann und Frau zu relativieren und das traditionelle Familienbild zu untergraben. Statt für Orientierung sorgte das Papier für allgemeine Desorientierung. Sogenannte Reformer wollen in der katholischen Kirche den Zölibat, die Ehelosigkeit der Priester, abschaffen und Frauen zum Priesteramt zulassen, um dem Pfarrermangel abzuhelfen. Im Blick auf die Weltkirche scheinen das jedoch die völlig falschen Rezepte zu sein. Die Anpassung an den Zeitgeist führt letztlich dazu, dass die Basis des apostolischen und biblischen Glaubens verlassen wird. Wo evangelische Christen die Schöpfungsordnung der Ehe zwischen Mann und Frau oder das traditionelle Familienbild aufgeben, wo das apostolische Priestertum zur Disposition gestellt werden soll, kann es kein Wachstum und Gedeihen geben.

Das Fazit der Brasilienreise des Papstes könnte man daher auch so formulieren: Die Kirche, gleich welcher Konfession, muss in der Lage sein, die Herzen der Menschen zu erwärmen und sie mit dem Evangelium zu erreichen. Zeitgeistige Theorien oder „moderne“ Ideologien oder Lebensentwürfe bewirken oft genug das Gegenteil, wie an den EKD-Kirchen abzulesen ist, die in den letzten 60 Jahren in Deutschland 18 Millionen Mitglieder verloren haben. Die Kirche insgesamt müsse wieder „zurück nach Jerusalem“ finden, wo „Schrift, Katechese, Sakramente, Gemeinschaft, Freundschaft, Maria und die Apostel wohnen“, sagte der Papst in einer Predigt in Brasilien. „Sind wir noch fähig, von diesen Quellen so zu erzählen, dass wir die Begeisterung für die Schönheit wiederentdecken?“ Zurück zum Wesentlichen, zurück zu den Quellen: Das klingt konservativ, ist aber im Laufe der Kirchengeschichte immer der Weg der Erneuerung und Reformation der Christenheit gewesen.


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