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10.08.13 / Da wächst der Kalmus und er riecht ja so schön / Eine Hommage an ein ostpreußisches Lebenselixier

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-13 vom 10. August 2013

Da wächst der Kalmus und er riecht ja so schön
Eine Hommage an ein ostpreußisches Lebenselixier

Noch einmal Kindersommer, noch einmal Erinnerungen an unbeschwerte Spieltage in dem Land, das ferne leuchtet. Unser Orplid heißt Ostpreußen, und dahin wandern die Gedanken gerade an diesen warmen Sommertagen zurück, an „barfte“ Füßchen im glutheißen Sand, an Klettenkörbchen voller Himbeeren und – nie wieder in solcher Fülle gefundenen – Wald­erdbeeren, an das erfrischende Bad im nächsten Bach oder See. Unsere Leserin Waltraud Wagner geborene Ptack hatte ihren Lieblingssee in ihrer Heimatstadt Lötzen ja fast vor der Türe, wie sie schreibt: „Wir Kinder verbrachten bei dem heißen Sommerwetter wohl jede freie Minute am Taita-See, am Wochenende auch oft mit den Eltern. Mein Vater angelte und wir Kinder fingen kleine Frösche und freuten uns über ihre weiten Sprünge. Oder wir pflückten die gelben Katzenpfötchen, die unter dem duftenden Kaddick standen, bevor wir wieder nach Hause gingen. Meine Mutter pflückte dann noch am Seeufer etwas Grünes, das wie Schilf aussah. Es war Kalmus! Zu Hause wurde er überbrüht und dann in das Badewasser gegeben. War das nur in Masuren so oder überall üblich, wo ein See war?“

Mit dieser kleinen Frage hat uns Frau Wagner eine gute Vorlage gegeben, denn der Duft von Kalmus ist untrüglich mit dem des ostpreußischen Sommers verbunden. Und zwar in ganz Ostpreußen, liebe Frau Wagner, denn er wuchs überall, wo es ein stilles Gewässer gab und wird dort heute noch wachsen, denn er wurde ja nicht mit seinen Wurzeln herausgerissen wie wir. Das hat eine Leserin unserer Ostpreußischen Familie vor Jahren bewiesen, als sie von einer ihrer ersten Heimatreisen zurückkehrte – mit einigen Strempeln Kalmus im Gepäck. Er wuchs so gut in ihrem Gartenteich in Lübeck, dass sie Ableger an interessierte Landsleute vergeben konnte, und einige wurden sogar nach Südafrika versandt und vermitteln dort den Duft der Heimat. Den die Dichterin Charlotte Keyser in ihrem wunderschönen plattdeutschen Gedicht anklingen lässt: „Anne Mämel, anne Mämel, ös e Dümpel so kleen, doa wächsd joa de Kalmus, on de riekt joa so scheen. Un dem hoal wi to Pingste on schnied em en Stöck on bestreie de Trepp on de Stoawdeele dick.“ Aber nicht nur zu Pfingsten, sondern an jedem Sonnabend zur Sommerzeit wurden die Dielen gescheuert und mit Sand und Kalmusstückchen bestreut. Unsere Altvordern benötigten kein Air-Fresh-Spray aus dem Supermarkt, sie holten sich ihren Raumbelüfter pur aus der Natur, und das ganze Haus durchzog bald dieser Duft, würzig-frisch und belebend durch das in ihm enthaltene Öl und eben unverwechselbar.

Und schwer zu beschreiben. Vielleicht hat es der Autor Wilfried Legat in seinem Buch „Der Duft von Kalmus“ getan, in der Geschichte einer ostpreußischen Familie. Sein in Masuren geborener Vater hatte im späten Alter begonnen, eine Familienchronik zu erstellen. 76 Seiten waren es geworden, die sein Sohn erst 35 Jahre nach dem Tod des Vaters fand – und daraus die Geschichte einer masurischen Familie von der Kaiserzeit bis zu den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg aufrollte. Und immer wieder durchdringt dieser „Duft von Kalmus“ die Schilderungen, beginnend mit der Kindheit seines Vaters als Sohn des Hufschmiedes Karl Legat aus dem kleinen Dorf Gorlen, der seine Kinder schon früh mit den Naturkräften seiner Heimat vertraut macht:

„Karl erklärte den Jungen die Vogelarten und zwängte sich mit ihnen durch das Schilf, wo er am Seegrund die Wurzelstöcke des Kalmus herausriss, deren Inhalt man essen konnte wie würzige Salatblätter. Das Aufbrechen setzte einen intensiven Geruch frei, der frisch und befreiend in die Lungen drang. Mit dem Duft ging auch stets etwas Feierliches einher, weil es üblich war, an Feiertagen und zu besonderen Anlässen den Hof vor dem Wohnhaus mit einer ebenso wohlriechenden wie Feuchtigkeit aufnehmenden Mischung aus Sand und Kalmus zu bedecken. Dieser Geruch von Kalmus – Bestandteil von Landschaft und Leben an den masurischen Seen – sollte sich für alle Zeiten mit den Jugenderlebnissen am Gorler See verbinden“.

Und er wurde für ihn zur Quelle seiner Kraft. Übrigens: Auch zur realen Kräftigung wurde der Kalmus, der schon in der Antike als Heilpflanze galt, in unserer Heimat verwendet: Ein Aufguss aus Kalmusblättern, über Nacht angesetzt und erwärmt als Schlubberchen vor und nach jeder Mahlzeit genommen, reguliert die Verdauung und hilft dazu gegen Mundgeruch. Und dass der Kalmus zu Recht auch als „Gewürzrohr“ bezeichnet wird, beweist ein altes Rezept aus Litauen: Brot auf Kalmus gebacken soll besonders kräftig und herzhaft schmecken. Aber das ist dann schon ein anderes Kapitel. R.G.


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