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10.08.13 / Verflachung der Kultur / Nobelpreisträger klagt an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-13 vom 10. August 2013

Verflachung der Kultur
Nobelpreisträger klagt an

Mario Vargas Llosa stammt aus Peru, wo er 1990 sogar Kandidat für das Präsidentenamt war, ist Träger des Literatur-Nobelpreises von 2010 und gehört zu den Großen des „magischen Realismus“ in der lateinamerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Außerdem ist er ein unermüdlicher Essayist, zum Beispiel für die linksliberale spanische Zeitung „El Pais“. Einige dieser Essays haben Eingang in sein neues Buch „Alles Boulevard. Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst“ gefunden, denn sonst wäre wohl nur ein allzu dünnes Büchlein entstanden. Früher stand Vargas Llosa dem Marxismus nahe, mittlerweile aber lehnt er ihn überzeugt ab, da die Marxisten an der Macht die menschliche Freiheit missachten.

Der Inhalt ist ganz und gar nicht linksliberal, denn es handelt sich um eine vehemente Kulturschelte, die die glänzende materielle Entwicklung der westlichen Welt deren kultureller Verkommenheit entgegenstellt. Unter „Kultur“ versteht der Autor Bildung und ein „gemeinsames Erbe von Ideen, Werten und Kunstwerken“. Dies sei dahin, und stattdessen laufe alle geistige und künstlerische Produktion auf einen oberflächlichen Amüsierbetrieb hinaus, der auch mit Ferkeleien erotischer Natur und mit Indiskretionen gewürzt sei, weil das vergnügungssüchtige und dem Augenblick hingegebene Publikum sich bei der Ausbreitung persönlich-intimer Skandale nicht mit größeren Zusammenhängen beschäftigen muss. Der Eros sei durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch ein gewaltiger Anreger kultureller Leistungen gewesen; Pornografie hingegen führe zum Stumpfsinn. Der Autor muss es wissen, da in seinem erzählerischen Werk der Eros immer wieder eine wesentliche Rolle spielt.

Ursache der offen so bezeichneten „Verblödung“ sei die Vermassung des Kulturbetriebes. Wenn alle Lebensäußerungen unter „Kultur“ subsumiert würden, wie das etwa bei den Ethnologen gebräuchlich sei, dann sei am Ende überhaupt nichts mehr Kultur. Zwischen einer Wagner-Oper und einem Micky-Maus-Comic müsste schon noch ein Unterschied festzustellen sein. Charakteristisch für die Banalisierung des Kulturbetriebes sei auch, dass das Medium des Wortes von Bildern und Tönen verdrängt wird. Zum Hinweis auf irgendeinen Sinn der Welt braucht man aber einen von Worten gebildeten Zusammenhang, während das Bewerfen mit optischen Reizen und das aufdringliche Beschallen dazu nicht imstande sind.

Merkwürdig ist, dass der Autor, obwohl er sich selbst als nicht gläubig erklärt, ganz entschieden für die Religion als die unverzichtbare Grundlage unseres Kulturkreises plädiert. Unserer modernen demokratischen Freiheitskultur sei durch das christliche Verständnis des Menschen vorgearbeitet worden. Und zu guter Letzt: Die Sammlung von Essays politisiert häufig in konventioneller Weise, mit Verallgemeinerungen, die dem Leser kein neues Licht aufstecken. Solche Passagen kann jeder schreiben. Die Sammlung enthält auch sonst keinen einzigen originellen Gedanken – womit nicht gemeint ist, dass der Rezensent ihren Tenor verwirft. Interessant an dieser Stelle ist für nicht-spanische Leser jedoch das Zitieren der Religionsphilosophin Maria Zambrano. Zwar ist auch das, was sie sagt, nicht neu, weist aber auf einen Vorzug dieser Essays hin: Sie entnehmen ihre Zitate und Beispiele aus dem romanischen und südamerikanischen Bereich, was dem mitteleuropäischen Leser zu einer Erweiterung seines Horizontes verhelfen mag. Denn Hand aufs Herz: Wer unter uns kennt eins der Lieblingswerke des Autors, den Ritterroman „Tirant lo Blanc“, in altkatalanischer Sprache, 1490 in Valencia herausgekommen, immerhin von Cervantes als „das beste Buch der Welt“ gelobt, ein Vorbild für „Don Quijote“, und damit zur Bedeutung für die ganz große, kanonische Weltliteratur aufgestiegen? Bernd Rill

Mario Vargas Llosa: „Alles Boulevard. Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst“, Suhrkamp, Berlin 2013, gebunden, 231 Seiten, 22,95 Euro


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