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17.08.13 / Verdrängte Mitschuld / Eigene Beteiligung an der Judenvernichtung zerreißt polnische Gesellschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-13 vom 17. August 2013

Verdrängte Mitschuld
Eigene Beteiligung an der Judenvernichtung zerreißt polnische Gesellschaft

Während polnische Politiker das Gedenken an den Aufstand im Vernichtungslager Treblinka nutzen wollten, um auf polnische Helfer hinzuweisen, konfrontierten Historiker sie mit den Fakten: So halfen Polen vor allem den Nationalsozialisten, entflohene Juden wieder einzufangen.

„Gerechter unter den Völkern“ ist ein Ehrentitel, den die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem an die verleiht, die nachweislich Juden vor der Vernichtung gerettet haben. Anfang 2012 waren das 24356 Geehrte, wobei Polen mit 6394 „Gerechten“ die weitaus größte Gruppe stellte. Die Polen meinen, sie hätten noch viel mehr Ehrungen verdient, da sie „100000 Juden retteten“. Diese Zahl empfindet Andrzej Zbikowski vom Warschauer „Jüdischen Geschichtsmuseum“ als „entschieden zu optimistisch“ und konfrontiert sie mit einer andere Zahl: Polen haben im Zweiten Weltkrieg fast 150000 Juden ermordet, in jedem Fall „töteten Polen eigenhändig mehr Juden als sie welche retteten“.

Da war sie wieder, die schreckliche Anklage, Polen seien „szmalcowniks“, also Leute, die Juden für ein Schmalzbrot an ihre Henker auslieferten. Zbikowski äußerte sie nicht leichtfertig, er ist der beste Kenner jüdischer Zeitgeschichte in Polen und seine Aussage fiel zum 70. Jahrestag des Aufstands im Vernichtungslager Treblinka (2. August 1943), um den es ohnehin lautstarke Konflikte gab.

In deren Zentrum steht die nationalistische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), in deren Namen der Sejm-Abgeordnete Arkadiusz Czartoryski im Mai eine Treblinka-Resolution entwarf, die der Direktor des Warschauer „Jüdischen Geschichtsmuseums“, Pawel Spiewak, als „Machwerk aus Arroganz und Lügen“ verwarf: 800000 Menschen seien in Treblinka umgekommen, aber Czartoryski rede fast nur von den 800 Aufständischen und deren polnischen Helfern. Die Behauptung, dass rund 100 Polen aus der etwa 80 Kilometer nordöstlich von Warschau liegenden Region von Yad Vashem geehrt worden seien, sei eine „Unwahrheit“, denn nur ein Pole aus Treblinka sei als „Gerechter“ anerkannt worden, so Spiewak. Hilfe hätten Polen nur bei der Jagd nach Treblinka-Flüchtlingen geleistet.

Czartoryski gab sich „verblüfft“ über Spiewaks hartes Urteil. Dabei hatte Spiewak nur die Vorwürfe bestätigt, die seit zehn und mehr Jahren von Autoren wie Tomasz Gross und Edward Kopowka, Direktor des Treblinka-Museums, erhoben werden: Von Jedwabne (1941) über Treblinka (1943) bis Kielce (1946) und weiter führe eine Pogromlinie, die auf einem genuin polnischen Antisemitismus fuße. Nachdem die Bücher von Gross verleumdet und die von Kopowka totgeschwiegen wurden sowie die deutsche TV-Serie „Unsere Mütter, unsere Väter“ als „Geschichtsverzerrung“ und „Schuldauslagerung“ bereits verdammt worden ist, muss man heute erleben, dass die zweigrößte Sejm-Fraktion (146 Deputierte) Phrasen zur nationalen Leidensgeschichte verbreitet.

Soviel Ignoranz der wahren Umstände erregte Ärger und die parlamentarische Behandlung der PiS-Vorlage verlief in eskalierender Lautstärke, bis sie von der falschen Verherrlichung gereinigt am 26. Juli per Akklamation verabschiedet wurde – als Erinnerung an „den heldenhaften Kampf für Freiheit und Menschenwürde“, wofür sich die 460 Abgeordneten voller Ehrfurcht von ihren Plätze erhoben.

Damit nicht genug: Polens Führung machte unter Leitung von Außenminister Radoslaw Sikorski aus dem Jahrestag eine beeindruckende Ehrung des Aufstandes. Mit dem sicheren Gespür, wo wohl der größte Unmut über Polen besteht, lud der Minister besonders jüdische Gäste ein: Oberrabbiner Michael Schudrich, Israels Vizebildungsminister Avraham Wortzman, den israelischen Botschafter Szewach Weiss und schließlich Samuel Willenberg (Jahrgang 1923), letzter noch lebender Treblinka-Kämpfer. 2004 hatte er sein Buch „Aufstand in Treblinka“ veröffentlicht und berichtete nun über den „gut vorbereiteten“ Aufstand und die Aufständischen: „Wir nahmen nicht an, am Leben zu bleiben. Was uns beherrschte, war die Absicht, diese Todesfabrik zu vernichten, in der wir waren.“ Diese Absicht war realistisch und der Aufstand beschleunigte die bereits geplante Schließung des Lagers.

Am 70. Jahrestag des Aufstands fügte Augenzeuge Willenberg eine Mahnung an, die angesichts jüngster Vorfälle erschreckend aktuell wirkt: „Antisemitische Untaten darf man nicht als vorübergehend abtun. Man muss sie bekämpfen, damit sich nicht wiederholt, was einmal geschah.“ Das war Minister Sikorski aus dem Herzen gesprochen, der mit Willenberg den Polen einen wahren Helden präsentierte: „Er ist aus Treblinka entkommen und hat später noch im Warschauer Aufstand gekämpft, also die wohl schlimmsten Stätten des 20. Jahrhunderts miterlebt.“

In Treblinka künden ein paar Monumente und 17000 Granitblöcke noch von der Vergangenheit. Die nachhaltigste Erinnerung muss man bei den Polen suchen. Denn sie alle sind ausnahmslos mit den Kinderbüchern über König Hänschen groß geworden, die der berühmte Arzt, Autor und Waisenhausgründer Janusz Korczak (1878–1942) verfasste. Als die SS 1942 Korzaks jüdisches Waisenhaus räumte und die rund 200 Kinder nach Treblinka deportierte, entschied er sich freiwillig, die Todgeweihten in die Gaskammern zu begleiten und sie ihr Ende nicht spüren zu lassen, indem er vorgab, einen Ausflug mit ihnen zu machen. Wolf Oschlies


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