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17.08.13 / Mann ohne Schatten / Vor 175 Jahren gestorben: Adelbert von Chamisso, der im Jahr der Befreiungskriege seinen »Schlemihl« schrieb

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-13 vom 17. August 2013

Mann ohne Schatten
Vor 175 Jahren gestorben: Adelbert von Chamisso, der im Jahr der Befreiungskriege seinen »Schlemihl« schrieb

Als vor 200 Jahren die Befreiungskriege gegen Napoleon tobten, versteckte sich ein Berliner Dichter im brandenburgischen Kunersdorf. Zu groß war die Furcht davor, dass er in der Hauptstadt wegen antifranzösischer Ressentiments politisch verfolgt würde. Denn der „Asylant“ namens Adelbert von Chamisso war französischer Abstammung, lebte aber schon seit 17 Jahren im preußischen Exil, nachdem seine adelige Familie vor der Französischen Revolution aus der Heimat geflohen war.

Die Abgeschiedenheit seines Zufluchtortes nutzte Chamisso im Sommer 1813 dazu, sein bis heute berühmtestes Werk zu schreiben: „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. Die märchenhafte Erzählung ist ein Klassiker der deutschen Literatur und teilt ähnlich wie das vom Genre und Entstehungszeit (1811) her vergleichbare Kunstmärchen „Undine“ von Chamissos hugenottischem Freund Fried­rich de la Motte-Fouqué das Schicksal, ein singulär bekanntes Werk seines Autors zu sein.

Der geflügelte Ausdruck „wie ein Schlemihl“ steht bis heute für einen gewieften Menschen, den man nicht fassen kann, weil er keinen Schatten wirft. In Chamissos Geschichte hat die Titelfigur einen faustischen Handel mit dem Teufel geschlossen und ihren Schatten gegen einen Säckel voll Gold eingetauscht. Fortan gehen die Leute dem schattenlosen Schlemihl aus dem Weg, da sie Angst vor ihm haben. Geschickt versucht er sein Manko zu verbergen. Doch als seine neue Liebschaft entdeckt, dass er keinen Schatten wirft, rennt auch sie vor ihm weg.

Schlemihl versucht, seinen Handel mit dem Teufel zu stornieren. Doch als dieser ihm den Schatten im Tausch mit seiner Seele anbietet, winkt der Held dankend ab. Stattdessen kauft er sich ein paar Siebenmeilenstiefel und entflieht der Gesellschaft, indem er sich auf Weltreise begibt. Am Ende wendet er sich an seinen Erzähler-„Schatten“ Chamisso, den er direkt an­spricht: „Du aber, mein Freund, willst Du unter den Menschen leben, so lerne zuvörderst den Schatten, sodann das Geld. Willst Du nur Dir und Deinem bessern Selbst leben, o so brauchst Du keinen Rat.“

In der schmalen Ge­schichte, die bis hin zu den „Lebensansichten des Katers Murr“ Inspirationsquelle für die Phantasie-Erzählungen des Chamisso-Freundes E.T.A. Hoffmann war, spiegelt sich die Biografie ihres Autors wider. Chamisso selbst fühlte sich in Berlin als Außenseiter und als Mann ohne heimatlichen Schatten.

Als Adélaïde de Chamissot am 30. Januar 1781 auf Schloss Boncourt in der Champagne geboren, war ihm ein Leben im Dienst des französischen Königs vorherbestimmt. Doch die Revolution trieb die Familie aus dem Land. Vier Jahre lang irrte sie durch Europa, ehe sie 1796 in Berlin eine dauerhafte Zuflucht fand. Anfangs waren diese Asylsuchenden unerwünscht: Die preußische Polizei drohte mit Abschiebung. Doch im konservativen Preußen galten Adelstitel noch etwas und so fand die Familie Anschluss an die Berliner Hugenotten-Kolonie.

Um sich einzubürgern, deutschte man den französischen Familiennamen in Chamisso ein. Adelbert wird sogar Page bei Königin Luise, schließlich Fähnrich im preußischen Heer und schiebt Wache am Brandenburger Tor. Obwohl sein lustiger französischer Akzent und sein wallendes Haar für Aufsehen sorgen, fühlt er sich integriert: „Ich bin unwiderruflich Preuße“, schreibt er.

Doch die Stimmung kippt mit den napoleonischen Kriegen. Plötzlich fühlt er sich von seinen Kameraden ausgegrenzt. Wie vor Schlemihl rennen alle aus Angst vor ihm weg. Er ist der Feind im eigenen Lager. „Ich habe nichts, wohin ich gehöre, ich bin überall fremd“, beschreibt er seine Identitätskrise.

Er befreit sich davon, indem er sich nach der Niederschrift des „Schlemihl“ seine Siebenmeilenstiefel anzieht und die Welt bereist. Von 1815 bis 1818 segelt Chamisso als Titulargelehrter auf dem russischen Expeditionsschiff „Rurik“ mit, das die Nordwestpassage erkunden sollte. Geleitet wurde die Reise von dem deutsch-baltischen Kapitän Otto von Kotzebue, einem Sohn des Dichters August von Kotzebue. Nach dem Naturforscher Chamisso wurde nicht nur eine Insel vor Alaska genannt, sondern auch 150 Pflanzen- und Tierarten.

Zurück in Berlin, wo er an der Friedrichstraße lebte, veröffentlichte er neben naturwissenschaftlichen Werken und seiner biografischen „Reise um die Welt“ auch Lyrikbände. Sein Liederzyk­lus „Frauen-Liebe und -Leben“ von 1831 fand später eine berühmte Vertonung durch Robert Schumann. Sieben Jahre später starb der Mann, der seine Seele nie für den Verlust seiner heimatstiftenden Identität verkauft hatte, am 21. August 1838 in Berlin an Lungenkrebs. Harald Tews


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