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17.08.13 / Der gute Walter / Egon Krenz versucht, SED-Spitzenfunktionär Ulbricht reinzuwaschen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-13 vom 17. August 2013

Der gute Walter
Egon Krenz versucht, SED-Spitzenfunktionär Ulbricht reinzuwaschen

Das Buch „Walter Ulbricht. Zeitzeugen erinnern sich“ ist schwer wie eine Bibel, und es verkündet auch eine „frohe Botschaft“, die da lautet: Der SED-Spitzenfunktionär der DDR war ein guter Mensch und ein großer Staatsmann! Wer anders denkt oder gegenteilige Erfahrungen gemacht hat, der wird von Herausgeber Egon Krenz auf 608 Seiten darüber belehrt, dass er sein antiquiertes Geschichtsbild schleunigst revidieren sollte.

Mit einem schrecklichen Vorwort, von dem jeder Satz widerlegt werden kann, versucht Egon Krenz, 1937 als Sohn eines Schneiders in Pommern geboren und heute als Rentner an der Ostsee lebend, die Leser seine Sicht der DDR-Geschichte und des segensreichen Wirkens des Genossen Ulbricht darzulegen.

Die DDR, so liest man im ersten Absatz, war „auf jeden Fall anders“, als sie heute „von bestimmten Behörden“ im vereinigten Deutschland gezeichnet wird, die „beauftragt sind“, sie „als ein großes Gefängnis darzustellen“. Soll man diesen wirklichkeitsblinden Unsinn, den der einstige SED-Generalsekretär, der im Herbst 1989 nur knapp sieben Wochen im Amt war, hier als Geschichtsbild anbietet, überhaupt zur Kenntnis nehmen? Weiterhin wird dem ahnungslosen Leser, der die 40 DDR-Jahre nicht miterlebt hat, weisgemacht, dass Ulbricht, der Hunderttausende seiner Untertanen zur Flucht in den Westen getrieben und in der Nacht zum 13. August 1961 die Berliner Mauer gebaut hat, „überzeugter Gegner einer Teilung Deutschlands“ gewesen sei. Der nachfolgende Satz „Er wollte immer das ganze Deutschland“ ist verräterisch, übersetzt heißt das: Übertragung der DDR-Verhältnisse auf die westdeutsche Demokratie, also ein sozialistisches Gesamtdeutschland nach Stalinschem Muster. Egon Krenz drückt das feiner aus: „antifaschistisch, demokratisch und sozial gerecht“ sollte es sein!

Und schließlich wird noch der harte Vorwurf gegen die Berliner Republik erhoben: Die 70 „Weggefährten“ Ulbrichts, die hier befragt wurden, litten „bettlägerig, aber ungebrochen“ unter der staatlich verordneten „Strafrente“ und könnten nicht einmal „Pflege- und Seniorenheim“ bezahlen. Von „bettlägerigen Weggefährten“ wird man nur in beschränktem Umfang sprechen können. Zumindest der erst 1950 geborene linke Schreihals Diether Dehm, der in den 70er Jahren der Staatssicherheit als „inoffizieller Mitarbeiter“ gedient hat und trotzdem seit 2005 für die SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ im Bundestag sitzt, ist keiner. Er hat Ulbricht nie gesehen, wettert aber gegen die „Schreibsöldner des Kapitals“ und argumentiert auf unterstem Niveau.

Auch die drei sowjetrussischen „Freunde“, die hier schreiben, darunter der 1926 geborene Diplomat Valentin Falin, der als Mitglied der „Sowjetischen Kontrollkommission“ 1950/51 in Ost-Berlin lebte, gehören nicht in die stattliche Reihe der dahinsiechenden „Weggefährten“. Sie waren, mit Verlaub, lange die Befehlsgeber der SED-Führung, deren Anordnungen sich Ulbricht kaum entziehen konnte.

Auch westdeutsche Kommunisten, wie der 1929 geborene DKP-Vorsitzende Herbert Mies, waren keine „Weggefährten“. Sie hatten sich, auch wenn nach außen der Schein gewahrt wurde, den Befehlen des SED-Politbüros unterzuordnen, sonst wären ihnen die Zuwendungen aus Ost-Berlin gestrichen worden. So bleiben lediglich Dutzende von Aufsteigern der Berufsrevolutionäre, die neben und mit Ulbricht von der Siegermacht Sowjetunion mit hohen Machtbefugnissen ausgestattet wurden. Sie waren die Nutznießer des Systems, die unerhörte Privilegien genossen, wofür sie mit Unterwerfung zu zahlen hatten.

Aufschlussreich ist nicht, wer alles in diesem Buch vertreten ist (die Mehrzahl ist westdeutschen Lesern ohnehin unbekannt), sondern wer nicht aufgenommen wurde und welche Ereignisse nicht genannt werden. Und Beiträge von geflohenen Dissidenten wie Wolfgang Leonhard, Gerhard Zwerenz Wolf Biermann waren wohl nicht zu erwarten gewesen. Was hätte wohl der Gegenspieler Paul Merker geschrieben, den Ulbricht 1952 für acht Jahre ins Zuchthaus werfen ließ?

Selbstverständlich darf aber die 1927 in Halle geborene Ex-Ministerin Margot Honecker nicht fehlen, die bei der DDR-Bevölkerung verhasst war, heute aber im fernen Chile eine üppige Rente aus dem „kapitalistischen“ Deutschland bezieht und hier ihre gewohnten Plattheiten über den SED-Staat absondert.

Obwohl Krenz, wie er im Vorwort betont, keine Idealisierung Ulbrichts anstrebte, so ist das Buch doch eine Huldigungsschrift des 1973 verstorbenen Parteiführers geworden. Für die DDR-Forschung wäre es deshalb auf weite Strecken wertlos und unbrauchbar, wenn es nicht immer wieder Passagen gäbe, die den Leser erschauern lassen. Beispielsweise dort, wo es um innerparteiliche Auseinandersetzungen geht, „Fraktionsbildungen“ genannt, die mit hohen Zuchthausstrafen geahndet, in diesem „sozialistischen Hausbuch“ aber verharmlost werden. Jörg Bernhard Bilke

Egon Krenz (Hrsg.): „Walter Ulbricht. Zeitzeugen erinnern sich“, Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2013, geb., 608 Seiten, 24,99 Euro


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