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24.08.13 / Kaffeefahrten als Passion / Flensburger Polizeibeamter versucht, Betrügern in der Branche das Handwerk zu legen, und warnt Senioren vor deren Tricks

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-13 vom 24. August 2013

Kaffeefahrten als Passion
Flensburger Polizeibeamter versucht, Betrügern in der Branche das Handwerk zu legen, und warnt Senioren vor deren Tricks

Alle Jahre wieder zu Weih-nachten sitzen sie auf der Sofagarnitur ihrer Schwiegermutter in spe und nehmen die Geschenke des Schwiegeropas in spe mit demselben künstlichen Lächeln entgegen. Sie wissen, gleich müssen sie sich bedanken für die unnützen Präsente, die der Großvater ihrer Freundinnen über das Jahr auf Kaffeefahrten zusammengerafft hat. Von stumpfen Käsemessern über billig produzierte Lämpchen bis hin zum kitschigen Teeservice ist alles dabei. Die drei Enkelinnen haben ihre Partner schon gleich vor dem ersten gemeinsamen Fest darauf vorbereitet, dass sich in den hübsch eingewickelten Geschenken zumeist nichts befindet, was sie wirklich brauchen könnten, doch trotzdem gilt es, Danke zu sagen. Früher hat ihr Großvater auch immer noch jedes Geschenk kommentiert: War es ein Gratisgeschenk, das er schon für seine Teilnahme an der Kaffeefahrt erhielt, war es ein Gewinn, den er bei der Tombola gewonnen hatte, oder war es ein Super-Angebot, das er einfach wegen des günstigen Preises kaufen musste? Anfangs hatten seine Enkeltöchter noch versucht, ihm zu verdeutlichen, dass einige dort erworbene Dinge keineswegs Schnäppchen seien, so zum Beispiel die angeblich besonders rückenfreundliche Matratze für sein Bett, aber mit der Zeit hatten sie es aufgegeben.

Auch Bernhard Stitz, Polizeibeamter aus Flensburg-Mürwik, kennt das Problem, dass viele Senioren nicht akzeptieren wollen, dass sie auf den Kaffeefahrten ausgenommen werden. Und manche wissen es sogar, können aber trotzdem nicht von den Fahrten lassen, denn sie bieten Abwechslung und Kontakt zu anderen Menschen. Stitz ist bei der Polizei Schleswig-Holstein sozusagen der Experte in Sachen Kaffeefahrten. Regelmäßig hält er Vorträge und weist Interessierte auf die Gefahren und ihre rechtlichen Möglichkeiten hin. Der Mittfünfziger hat inzwischen selbst über 100 Kaffeefahrten mitgemacht, wird es zu betrügerisch, greift er sofort ein. Selbst kam er auf das Thema, als seine Mutter vor über 20 Jahren ihm stolz eine Decke präsentierte, die sie für 600 statt für 1200 D-Mark günstig erstanden hatte. Dann recherchierte er und stellte fest, dass sie im Kaufhaus ein ähnliches Produkt für unter 100 D-Mark hätte bekommen können. Stitz’ Interesse war geweckt und er wollte rausbekommen, wie die Kaffeefahrtenbetreiber ältere Menschen dazu verleiten, sich für Unnötiges finanziell derart zu übernehmen. Kaffeefahrten wurden so zur Passion des Polizeibeamten, der sein Hobby auch während der Arbeitszeit ausleben kann. Stitz wurde auch bereits mehrfach von Fernsehteams begleitet und fast immer gab es etwas zu beanstanden. Daher sollten Teilnehmer bloß nicht auf die „Wir sind anders“-Masche vieler Verkäufer hereinfallen. Schließlich müssen sie überteuerte Preise für die Produkte nehmen, um das Geld für den Bus samt Fahrer, das Veranstaltungslokal, die Gastgeschenke und die Werbung wieder hereinzubekommen, denn zumeist sind Kaffeefahrten kostenlos oder der Beitrag finanziert nur die Verpflegung. Zudem will der Verkäufer auch noch verdienen und das tut er dann zumeist auch nicht zu knapp: Stitz spricht von Monatsgehältern, von denen er als Polizeibeamter nur träumen kann. Daher sollte man auch nicht aus Mitleid mit dem ach so sympathischen Verkäufer, der so lieb von seinen Großeltern und Kindern erzählt, etwas kaufen, was man eigentlich gar nicht will. Des Weiteren warnt der Polizist davor, sich beispielsweise über die „Schock“-Masche, nach dem Motto, wenn sie dies Produkt nicht kaufen, leiden sie bald unter starken Rückenschmerzen, Waren andrehen zu lassen. Auch von Fachbegriffen sollte man sich nicht beeindrucken lassen. Und die Behauptung, man solle unbedingt zugreifen, weil es nur noch wenige Produkte gebe, sei zudem ganz oft falsch. Besonders fies seien jedoch jene Verkäufer, die über Ausgrenzung und Nötigung, nach dem Motto, wer nichts kauft, ist ein Schmarotzer, versuchen, Produkte an den Mann zu bringen.

Stitz hat in den Jahren viele Tricks der Verkäufer kennengelernt. Zugleich machen die meisten immer einen und denselben Fehler, der den Opfern hilft, sich zu wehren: Sie melden die Verkaufsveranstaltung nicht bei der zuständigen Behörde an. Ist dies nicht der Fall, begehen sie eine Ordnungswidrigkeit, was immerhin mit einer Geldbuße von bis zu 1000 Euro geahndet wird. Außerdem wird bei Anzeige geprüft, ob strafbare Werbung betrieben wurde. Zudem müssen laut Gesetz versprochene Geschenke ausgehändigt werden. Besonders wichtig sei es, dass Kunden bei einem Kaufvertrag darauf achten, dass ein Datum vermerkt ist. Das macht es ihnen leichter, von ihrem 14-tägigen Widerrufsrecht Gebrauch zu machen.

Doch trotz aller Warnungen ließ sich die Mutter von Bernhard Stitz bis zu ihrem Tode nicht von den Kaffeefahrten abbringen. Auch lernte der Polizist auf seinen Fahrten viele Wiederholungsopfer kennen, die die Fahrt, aber auch das Lob des Verkäufers, wenn sie etwas gekauft hatten, liebten. Und letztendlich ist auch Stitz den Kaffeefahrten verfallen, allerdings aus anderen Gründen als die Senioren. Während er als Polizist ganz oft ermittele, ermittele und ermittele und am Ende die Anzeige doch im Papierkorb lande, so gestand er in einem Interview, habe er bei den Kaffeefahrten das Gefühl, etwas zu erreichen. „Wir werden überall für dumm verkauft. Bei den Kaffeefahrten kann man mal eine Dummheit unterbinden. Und zwar sofort.“ Rebecca Bellano


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