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31.08.13 / Ab unters Messer / Warum Kliniken mehr operieren müssen, um bestehen zu können

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-13 vom 31. August 2013

Ab unters Messer
Warum Kliniken mehr operieren müssen, um bestehen zu können

Für viele Themen beginnt man sich erst zu interessieren, wenn man selbst betroffen ist. So erging es auch der renommierten Journalistin Sonia Mikich, die viele Jahre lang das TV-Politmagazin „Monitor“ moderierte. Starke Bauchschmerzen, die nicht nachlassen wollten, führten sie in ärztliche Obhut, doch statt sich behütet zu fühlen, fühlte sie sich schnell fremdbestimmt. Sie hatte das Gefühl, mit der Einlieferung ins Krankenhaus hätte man sie ihres Körpers beraubt, sie quasi enteignet. Bis jetzt weiß sie nicht genau, was die Ursache für ihr über Monate andauerndes Martyrium war, das mehrere Operationen, einen für einige Monate gelegten künstlichen Darm­ausgang, Infektion und ein Trauma beinhaltete. Das Gefühl, in der Krankenhausmaschinerie vom Menschen zur zu reparierenden Sache geworden zu sein, hatte sie so stark überkommen, dass sie als gute Journalistin sich sofort nach ihrer Genesung daran machte, die Ursache zu ergründen.

In „Enteignet. Warum uns der Medizinbetrieb krank macht“ hat sie nun die Ergebnisse ihrer Recherche veröffentlicht. Mit Hilfe der Kollegen Jan Schmitt und Ursel Sieber listet sie zahlreiche Missstände auf, die dafür sorgen, dass in Deutschland viel mehr als in anderen Ländern operiert wird, und was das für die betroffenen Bürger bedeutet.

Die Hauptursache für die Probleme sieht Mikich in der Einführung der sogenannten Fallpauschale unter der rot-grünen Regierung 2003. Da es in Deutschland zu viele Krankenhäuser gab und die Patienten besonders lange in den Krankenhäusern lagen, entschied sich die Schröder-Regierung jede Operation beziehungsweise jedes Leiden künftig nur noch mit einer festgesetzten Pauschale zu honorieren, egal wie lange der Patient im Krankenhaus verweilte. Gleichzeitig wurden viele kommunale Krankenhäuser privatisiert. Da die öffentlich-rechtlichen Inhaber Modernisierungen lange verschleppt hatten, standen die privaten Inhaber nun vor dem Problem zu sanieren und gleichzeitig Gewinne zu erzielen, die ihre Geldgeber erwarteten. Also lautete das Credo: Sparen wo möglich durch Entlassung von Personal und Ausgliederung von Aufgaben (Outsourcing) sowie zugleich Steigerung der Einnahmen. Letzteres führte dazu, dass Chefärzte wie Banker von der Geschäftsführung Vorgaben bekommen, wie viel Umsatz sie machen sollten. Während es bei Banken um den höheren Absatz von Finanzprodukten geht, handelt es sich bei Krankenhäusern um die Steigerung von Operationen, indem man im Zweifelsfall immer lieber zum Messer greift. Interessanterweise schlagen Verbraucherschützer bei den Banken Alarm. Dass jedoch in Krankenhäusern auf Kosten von Leib und Leben der Patienten Umsatzsteigerungen betrieben werden, scheint sie nicht wirklich zu interessieren.

Mikich und ihre Kollegen beschreiben die Entwicklungen der letzten Jahre, gehen auf die Folgen ein, befragen Ärzte, Pflegepersonal und Patienten. „Vor Jahrzehnten war ich einmal zu Besuch in einem griechischen Krankenhaus“, erinnert sich die Autorin. „Dort kauerten oder schliefen weibliche Angehörige der Patienten vor den Krankenbetten. Sie wuschen, fütterten den Kranken rund um die Uhr. Ein Dritte-Welt-Szenario. Aber meine Freundin und mein Mann machten das Gleiche, sie ersetzen fehlendes Personal“, beschreibt sie ihre eigenen Erfahrungen im deutschen Krankenhausbetrieb, lobt aber zugleich das Engagement der überarbeiteten Pfleger.

Mikich ist überzeugt, dass es in Deutschland zu viele Krankenhäuser gibt. Alle würden versuchen, ihr Auskommen zu erzielen, und so die Patienten übertherapieren, was keineswegs zu deren Wohl sei. Eigentlich sollten bis 2015 hierzulande 400 von 2200 Krankenhäusern geschlossen werden, doch statt Schließungen kam es überwiegend nur zu Zusammenlegungen und Privatisierungen. Ein Drittel der Kliniken seien inzwischen in privatem Besitz. Am Beispiel der Privatisierung des Uniklinikums Marburg /Gießen zeigen die Autoren auf, wie diese Blüten treibt, zugleich die Politik jedoch nicht bereit ist, aus ihren Fehlern zu lernen. Zudem hätten die Fallpauschalen keineswegs zu einer Reduzierung der Kosten geführt, da einfach mehr operiert wird, was nicht allein der Alterung der Gesellschaft zugeschrieben werden könne. Und so koste die stationäre Versorgung in diesem Jahr rund 65 Milliarden Euro, was 40 Prozent mehr seien als vor Einführung der Fallpauschalen. Doch anstatt Fehlentwicklungen zu beheben, würde nur mehr Geld ins System gepumpt, die Lobby sei zu stark.

Am Ende der Lektüre hofft man, nie ernsthaft krank zu werden. Und wem demnächst eine Operation bevorsteht, der sollte die Finger von dem Buch lassen. Rebecca Bellano

Sonia Mikich: „Enteignet. Warum uns der Medizinbetrieb krank macht“, C. Bertelsmann, München 2013, geb., 350 Seiten, 19,99 Euro


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