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07.09.13 / Männer steigen aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-13 vom 07. September 2013

Gastbeitrag
Männer steigen aus
von Friedrich List

Männer streiken“ – so lautet, ins Deutsche übersetzt, der Titel des neuen Buchs der amerikanischen Psychologin Helen Smith. Ihr Buch „Men on Strike“ ist ein Bestseller, der für eine hitzige öffentliche Debatte sorgt. Männer zögen sich aus traditionellen Verpflichtungen zurück, konstatiert Smith. Sie machten keine Karriere und gingen langfristigen Beziehungen zu Frauen aus dem Weg. Ein Teil der amerikanischen Öffentlichkeit hält das für männliches Versagen: Für die Publizistin Hanna Rosin ist die Zeit der Männer schlicht abgelaufen. Der feministische Soziologe Michael Kimmel sieht die jungen Männer als Leistungsverweigerer, die Pornos gucken, ihre Mitstudentinnen vergewaltigen, wenn sie sich nicht gerade ins Koma trinken oder mit ihrer X-Box spielen. Amerikanische Konservative schlagen in dieselbe Kerbe – das „man shaming“ hat Konjunktur. Eine feministisch inspirierte Publizistik macht Männer für so ziemlich alles verantwortlich, was schief läuft.

Aber in Internet-Foren, Blogs und You-Tube-Kanälen sammeln sich andere Stimmen: Männer, die ihren eigenen Weg gehen, englisch „Men going their own way“ oder MGTOWs, gesprochen meist „Migtaus“. Die ersten sammelten sich um 2003 auf der Internetseite http://www.the-niceguy.com/. Daraus entstand ein internationales Forum, das von einem der mittlerweile profiliertesten MGTOWs betrieben wird – dem Australier „Solaris“. Netztypisch kannte man sich zunächst nur unter Pseudonym. Aber es war schon damals eine internationale Gemeinschaft – „Solaris“, der norwegische Berufspilot „Ragnar“, daneben Amerikaner, Engländer, sogar Inder – immerhin gehört Indien zum englischen Sprachraum.

Sie waren unzufrieden mit der Art und Weise, wie Frauen, aber auch die größere Gesellschaft mit Männern umgehen. Der Wert von Männern, so stellten sie fest, bemesse sich nach ihrem Nutzen für andere. Nur ein nützlicher, sich selbst verleugnender Mann sei ein guter Mann, mithin ein guter Ernährer und Beschützer. MGTOW ist das Gegenmodell und gleichzeitig eine Absage an diese traditionelle Rolle. 2005 schrieb ein Kreis um Ragnar das MGTOW-Manifest. Das von „Solaris“ betriebene Forum hat mittlerweile Mitglieder aus der ganzen Welt, was „Men Going their Own Way“ zu einer Strömung mit wachsendem Gewicht macht. Ihre Stärke ist die Vernetzung über das Web und ihr radikaler Individualismus. Es gibt keine Zentrale, keine Kader und keinen Kanon. MGTOW ist das, was ein Mann damit und daraus macht. Inzwischen gibt es ein MGTOW-Logo, man kann Sticker, Buttons und T-Shirts mit diesem Logo kaufen. Der amerikanische Musiker und Männerrechtler Jade Michael hat eine MGTOW-Rockhymne komponiert. Die Bewegung hat ihre Philosophen, Wortführer und verschiedene Flügel.

Aktivisten wie „Ragnar“ und „Solaris“ leben in Beziehungen, meinen aber, dass die westliche Gesellschaft Männlichkeit wie Weiblichkeit gleichermaßen untergräbt. Sie vertreten eine Philosophie, nach der sich Männer und Frauen in einer Beziehung gegenseitig ergänzen sollten. Andere lehnen Beziehungen zu Frauen grundsätzlich ab. Die wohl bekanntesten sind die YouTube-Blogger „barbarossaa“ und „Stardusk“, zwei Amerikaner, die netztypisch nur mit ihren Pseudonymen unterwegs sind. „Barbarossaa“ begann 2008 und hat inzwischen über 10000 Abonnenten, „Stardusk“ liegt bei rund 5000. MGTOWs leben das, was Helen Smith als Problem ansieht, als befreienden Lebensstil. Sie diskutieren weder mit Michael Kimmel noch mit Hanna Rosin oder mit konservativen Meinungsführern, die immer noch wollen, dass sie ihr Land verteidigen und eine Familie ernähren. Sie sind nicht im Streik. Sie gehen einfach.

„Wir haben genug“, sagt „barbarossaa“ in einem seiner neueren Videos. „Wir haben genug davon, uns für Frauen zu ändern. ‚Men Going Their Own Way’ schulden Frauen nichts. Sie sind nur sich selbst verpflichtet.“ Er nennt das männliche Souveränität: Finanzielle Unabhängigkeit, emotionale Unabhängigkeit von Frauen, und vor allem eine männliche Identität, die sich nicht davon ableitet, Werkzeug für andere zu sein. „Barbarossaaa“ und „Stardusk“ argumentieren, Frauen seien evolutionär geprägt, von Männern zu leben. Sobald sich ein besserer Partner zeige, also ein wirtschaftlich und sozial höherwertiger Mann, trennten sie sich vom bisherigen. Traditionelle Lebensweisen hätten der Trennungs-Tendenz wirksame Grenzen gesetzt, aber auch die Männer auf die Rolle des Ernährers und Beschützers festgelegt. Der Feminismus habe Frauen befreit, wolle aber, dass Männer weiter traditionellen Vorgaben folgen – nunmehr als weitgehend rechtlose Arbeitskräfte. In diesem Punkt, so „barbarossaas“ Einschätzung, träfen sich Feminismus und traditionalistisches Denken. Weder Traditionalisten noch Feministinnen seien an einer wirklichen Gleichberechtigung interessiert. Die einen bräuchten Männer als Lohnarbeiter, Steuerzahler, Soldaten und Konsumenten, die anderen schlicht als Versorger.

So gehört „barbarossaa“ denn auch nicht zu der wachsenden Zahl US-amerikanischer Männerrechtler, die beispielsweise einschneidende Reformen des Scheidungs- und Familienrechts fordern. Für ihn, und für viele andere MGTOWs, ist das System längst gescheitert. Die Antwort darauf ist ein radikaler Individualismus.

Seinen eigenen Weg gehen – das heißt nicht nur Verantwortung für sich übernehmen, vorzusorgen und die Konsequenzen seines Handelns zu akzeptieren. Es heißt auch, sich von einem System unabhängig zu machen, das in Männern wenig mehr als willige und jederzeit ersetzbare Arbeitskräfte sieht. Einem System, das auf dem Weg über Steuern und das Scheidungsrecht den Männern nimmt, um Frauen zu privilegieren, sich um Leistungen für Männer aber drückt. „Dieses System hat mannsgroße Löcher“, sagt Video-Logger „Vent1on“ in einem seiner Videos. „Vent1on“ lebt seinen radikalen Individualismus konsequent: Er hat ein großes Grundstück gekauft, auf dem er sein eigenes Gemüse anbaut. Außerdem besitzt er ein Apartment, dessen Mieteinnahmen ihn ein Stück unabhängiger vom Arbeitsmarkt und vom ohnehin sehr löchrigen sozialen Netz machen.

Auch hierzulande verweigert sich eine wachsende Zahl von Männern gleichzeitig traditionellen und zeitgemäßen Erwartungen. Der renommierte Männerforscher Walter Hollstein geht von 27 Prozent der Männer zwischen 18 und 34 Jahren aus, die allein leben. Und 60 Prozent der alleinlebenden Männer zwischen 35 und 64 Jahren waren noch nie verheiratet. Hollstein stützt sich auf Daten des Statistischen Bundesamtes. Nach diesen Zahlen hat sich seit 1991 die Quote der alleinstehenden Männer um 81 Prozent erhöht, die der alleinstehenden Frauen dagegen nur um 16 Prozent. Auf seinen Artikel „Jung, Single, sucht keine Heirat“ im „Züricher Tagesanzeiger“ erhielt er nach eigener Aussage über 600 Zuschriften von Männern, von denen sich viele im Sinne von MGTOW äußerten. Hollstein hatte in diesem Artikel beschrieben, warum sich immer mehr Männer von der Ehe, aber auch generell von Beziehungen zu Frauen fernhalten.

Der Publizist und Männerrechtler Arne Hoffmann bestätigt Hollsteins Beobachtungen. Er sieht in dieser Entwicklung eine Chance für eine fairere Männerpolitik: „Es wird vielleicht noch einige Jahre dauern, aber dann dürfte diese Entwicklung so unübersehbar sein, dass man sich auch hierzulande fragen muss, wie unsere Gesellschaft inzwischen mit Männern umspringt.“


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