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07.09.13 / Publikum als Zielscheibe / Dresdner Schauspielhaus wird 100 Jahre alt – Auf der Bühne wurden sogar Revolutionen geprobt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-13 vom 07. September 2013

Publikum als Zielscheibe
Dresdner Schauspielhaus wird 100 Jahre alt – Auf der Bühne wurden sogar Revolutionen geprobt

Direkt neben dem Dresdner Zwinger steht das Schauspielhaus der sächsischen Metropole. Es hat Revolutionen und Kriege getrotzt und am Ende selbst 100-jährige Theatergeschichte geschrieben.

Die Residenz an der Elbe reifte unter der Intendanz des Königlichen Hoftheaters zu einem Zentrum deutscher Theaterkunst. Ne­ben dem klassischen Repertoire wurden hier auch aktuelle Stücke von Carl und Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind oder Hendrik Ibsen gefeiert. Der Dresdner Kritiker Friedrich Kummer (1865–1939) stellte fest: ,,Dresden wurde literarisch betrachtet in der Seebach-Zeit das führende Hoftheater in Deutschland.“

Der Grandseigneur Nikolaus von Seebach bewährte sich als ein jovialer Anwalt der Kunst, sowohl in ästhetischer als auch ökonomischer Hinsicht. Mit dem Oberbürgermeister Beutler und dem Odol-Fabrikanten Ling­ner rief der theaterbegeisterte Geheime Rat Anfang des letzten Jahrhunderts zu einer Geldsammlung für ein neues Schauspielhaus auf.

Vor 100 Jahren brachte die erste Spielzeit 1913/14 den Dresdnern in der Stadtmitte eine großräumige Spielstätte für ihr großartiges Theater. Dem König wurde der Bau symbolisch von den Dresdner Bürgern übergeben. Erst durch ein kompliziertes Abschreibungsverfahren sollte das Haus binnen 50 Jahren an den Hof übergehen.

Das Gebäude zeigt sich nicht als freistehend-prunkender Mu­sentempel mit monarchischer Attitüde. Vielmehr fügte es sich, darin dem bürgerlichen Wohnbau vergleichbar, diskret in die bestehende enge Bebauung ein. Was die Architekten Lossow und Kühne leisteten, bezeichnet der Architekturkritiker Dieter Bartezko zutreffend als „Synthese aus Behauptungsvermögen und Fortschrittsfreude.“

In goldenen Buchstaben stehen auf der Fassade Goethes Worte: „Altes bewahrt mit Treue. Freundlich aufgefasstes Neue“ neben Schillers „Schönheit ist ewig nur eine“. In der stillen Feierlichkeit des Zuschauersaals fand die Königsloge neben dem Proszenium ihren Platz, und nicht wie im Opernhaus in der Mitte des Rangs.

Langsame Verschiebungen sind hier üblicher als jähe Brüche. Auch Revolutionen konnten in der sächsischen Residenz zunächst auf dem Theater sondiert werden: Am Sonntagvormittag, dem 10. Februar 1918, fand eine geschlossene Vorstellung für die Literarische Gesellschaft statt. Nur in dieser Form hatte der Intendant von Seebach beim König die Erstaufführung eines expressionistischen Kriegsdramas gegen den Einspruch des kommandierenden Generals durchsetzen können. Sein Oberregisseur Ernst Lewinger wandte kompromisslos die naturalistische Praxis auf Reinhard Görings Tragödie „Die Seeschlacht“ an. Um das zeitnahe Geschehen der Schlacht im Skagerrak überzeugend darzustellen, lässt er sich von einem Marinefachmann beim Abfeuern eines Riesengeschützes in Richtung Publikum beraten. Pulverdampf und Granateinschläge begleiteten die Agonie von sieben Matrosen im Panzerturm eines Kriegsschiffs.

Die Presse äußert sich enthusiastisch, doch das königliche Ministerium untersagte weitere Aufführungen. Einen Monat darauf konnte Max Reinhardt in der Reichshauptstadt den Ruhm der öffentlichen Uraufführung ernten. 1923 bezeichnete Walter Hasenclever das Dresdner Schauspielhaus als „das einzige, das durch Krieg, Revolution und Inflation seine Tradition erhalten und gefestigt hat. Wer Ensemblespiel im Sinne des Moskauer Künstlertheaters sehen will, muss heute von Berlin nach Dresden fahren.“

Am 31. August 1944 wurde mit Goethes „Iphigenie auf Tauris“ die letzte Vorstellung im Krieg gegeben. Dafür wurde schon im darauffolgenden Mai die Rekonstruktion des neuen Schauspielhauses beschlossen. Das eigenwillige Konzept eines bürgerlichen Hoftheaters machte die sozialistischen Stadtplaner nach 1945 dem Wiederaufbauwerk am Postplatz geneigt. Die Eröffnung 1948 zeigte eine Innengestaltung, welche die Eleganz der westdeutschen Architektur der fünfziger Jahre vorwegnahm, aber in der DDR folgenlos blieben. Schauspiel, Ballett und Oper waren nun bis zur Wiedereröffnung der Semperoper im Jahr 1985 hier untergebracht.

In den achtziger Jahren entwickelt sich das Schauspiel zu einem Modell-Laboratorium für öffentlich nicht offen diskutierbare Fragen. Die DDR-Erstaufführung von Becketts „Warten auf Godot“ wirkte 1987 als Spiegel der Verhältnisse. Am 6. Oktober 1989 verlas das Ensemble nach der Vorstellung einer Posse von Woody Allen eine Erklärung, die mit den Worten begann: „Wir treten aus unseren Rollen heraus.“ Das war im Wendeherbst nicht nur die ersehnte Aussprache der Zustände im Land, sondern bedeutete zugleich die ästhetische Konsequenz der Umwandlung des Theaters von der Schillerschen Erziehungsanstalt in ein soziologisches Kolloquium. Seither werden die Darsteller immer seltener in der Kontur ihrer Bühnenrollen angetroffen. Dafür geht es so laut und schrill zu wie auf allen anderen großen Bühnen des Landes. Jubiläums-Gastspiele der Schauspielhäuser aus Wien, Zürich, München und Hamburg ließen das wieder deutlich werden.

Doch der empörte Dauerton schwindet irgendwann. Revolution bedeutet heute ein erneutes fruchtbares Hineinwachsen in die Figuren. Wenn die Schauspieler-Ichs wieder aufgingen in den starken Rollen der Theaterliteratur, dann könnte das Geschehen auf der Bühne uns abermals nahe rücken und würde nicht länger als ein Feuerwerk primitiver Selbstauswirkung von Regisseuren und Schauspielern verpuffen.

Die schönen Hüllen der Bühnen sind erneuert, allein den darin Tätigen fehlt es an Vertrauen auf die Kraft des Dichter-Wortes. Bis dahin stehen und gehen die Helden des Abends nicht auf den Brettern, die die Welt bedeuten, sondern sie sitzen, so aufmerksam es geht, in Gestalt des geduldigen Publikums in den Zuschauerreihen. Ihr Wunsch, dass auch fortan Theater sein möge, ist die Botschaft des in Dresden seit je großzügig gespendeten Beifalls.

Diese Zustimmung ist dem Theater dienlicher als die restaurierten Gebäude. Seit Beginn dieses Jahres werden Schauspielhaus und Operntheater mit ihren eigenen Häusern wie weiland im Königreich Sachsen als „Sächsische Staatstheater“ geleitet. Im Verlag Theater der Zeit ist zum Anlass der Band „Staatsschauspiel Dresden – 100 Jahre Schauspielhaus“ erschienen. Im September soll das Jubiläumsprogramm im Festakt einer Geburtstagsfeier gipfeln. Sebastian Hennig


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