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14.09.13 / Wohnen im Gefängnis

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-13 vom 14. September 2013

Wohnen im Gefängnis
von Vera Lengsfeld

Berlin ist immer wieder für eine Überraschung gut. Manchmal auch für eine positive. Die erlebte ich, als ich vom Freundeskreis „WiR erinnern“ eingeladen wurde, an einem Video über die Strafvollzugsanstalt Rummelsburg mitzuwirken. Ich hatte sie am 17. Januar 1988 kennengelernt, nachdem ich gemeinsam mit 105 anderen Bürgerrechtlern bei dem Versuch verhaftet worden war, mit eigenen Plakaten an der SED-Demonstration zu Ehren von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, den ermordeten Novemberputschisten, teilzunehmen. Wir wurden in einen Keller gebracht, der mit Zellen ausgestattet war, die Käfigen im Zoo glichen, drei Seiten Mauern, zum Gang hin ein deckenhohes Gitter, das die gesamte Länge der Zelle einnahm.

Die Filmaufnahmen fanden in einer Wohnung statt, die sich in einem der von Schinkel entworfenen ehemaligen Zellengebäude befand. Von 1932 bis 1977 hatte sich hier ein Arbeitshaus befunden, teils eine „polizeiliche Arbeitserziehungs-, und Korrektionsanstalt“, teils Armenfürsorge. Auf einem historischen Stich sieht man, dass die Gebäude um eine Kirche gruppiert waren, die heute nicht mehr steht. Ringsum und zwischen den Bauten viel Grün.

Während des Nationalsozialismus wurde hier das „städtische Arbeits-, und Bewahrungshaus“ untergebracht, das dazu dienen sollte, die „Häuslinge“ an „Zucht und Ordnung“ und an eine „geregelte Arbeit“ zu gewöhnen. Zu DDR-Zeiten hatte Ost-Berlin das Problem, dass sich alle Strafvollzugsanstalten im Westteil der Stadt befanden. Deshalb wurde hier ein Gefängnis eingerichtet. Das war bald überfüllt und berüchtigt für seine katastrophalen Haftbedingungen. Noch 1967 wehte monatelang die gelbe Quarantäneflagge überm Gelände, weil man mit der ausgebrochenen Ruhrepidemie nicht fertig wurde. Das lag an der „gemeinschaftlichen Unterbringung“, die den Verzicht auf jegliche Intimsphäre bedeutete. Am Ende der DDR war der ehemalige Partei- und Staatschef Erich Honecker für eine Nacht der prominenteste Häftling.

Nach langem Leerstand begannen 2008 die Bauarbeiten für ein Wohngebiet. Alle DDR-Bauten wurden abgerissen, in den denkmal­geschützten Schinkelhäusern wurden die Fenster auf die ursprüngliche Größe erweitert und Balkone angebaut. Es entstanden 150 Apartments, zum Teil mit großzügigen Gärten. Die Gefängnis-Aura ist restlos verflogen, aber die Geschichte wurde nicht entsorgt. So heißt der im ehemaligen Waschhaus untergebrachte Kindergarten „Waschbär“. Am renaturierten Ufer des Rummelsburger Sees kann man auf einem der Stege in die Abendsonne schauen und genießen, dass man heute und in Zukunft statt Kommandorufen Kinderlachen hört.


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