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21.09.13 / Warum Ludwig Müller Reichsbischof wurde / Vor 80 Jahren wurde der Wehrkreispfarrer in Königsberg Führer der Deutschen Evangelischen Kirche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-13 vom 21. September 2013

Warum Ludwig Müller Reichsbischof wurde
Vor 80 Jahren wurde der Wehrkreispfarrer in Königsberg Führer der Deutschen Evangelischen Kirche

In der Geschichte der deutschen evangelischen Kirche hat es nur einen Reichsbischof gegeben. Er hieß Ludwig Müller und amtierte nicht von ungefähr während der NS-Zeit. Am 27. September 1933 wählte ihn die Deutsche Evangelische Nationalsynode ins Amt. 1945 en­de­te mit der NS- auch seine Amtszeit sowie sein Leben. Ob er Selbstmord beging, wird wohl ewig ein Rätsel bleiben.

Durchaus im Einklang mit seiner Zunft bescheinigt der Kirchenhistoriker Carsten Nicolaisen dem Geistlichen Ludwig Müller sowohl „charakterliche Schwäche“ als auch „theologischen Dilettantismus“. Und dennoch hat Müller es als einziger deutscher Protestant bis zum Reichsbischof gebracht. Ohne die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wäre sein Amt möglicherweise nie eingerichtet worden. Denn in keiner anderen Phase seiner Geschichte war Deutschland derart zentralistisch strukturiert wie in der nationalsozialistischen. Das gilt für den Staat und viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, darunter auch die evangelische Kirche.

Ideen zu einer stärkeren Zentralisierung hatte es bereits in der Weimarer Zeit gegeben, aber Realität wurde die gerne auch als „Reichskirche“ bezeichnete Deutsche Evangelische Kirche erst in der NS-Zeit. Entsprechend dem damaligen Führerprinzip stand an ihrer Spitze kein Kollegium, sondern ein Einzelner, und entsprechend den Landesbischöfen in den Landeskirchen trug der Führer der Reichskirche den Titel „Reichsbischof“. Mit dem Ende des Dritten Reiches kam dann auch das Ende des Reichsbischofsamtes.

Ludwig Müller wurde auf Betreiben Adolf Hitlers der einzige Inhaber dieses Reichsbischofsamtes. Dass Hitler sich ausgerechnet für Müller entschied, lag sicherlich auch daran, dass der Katholik an der Spitze der NSDAP mit wohl keinem anderen evangelischen Geistlichen derart viel Kontakt hatte wie mit ihm. Legendär sind die gemeinsamen Spaziergänge der beiden „an der einsamen samländischen Küste“ in den Jahren vor der „Machtergreifung“. Müllers großes Verdienst aus nationalsozialistischer Sicht war es, seine Kontakte und Beziehungen zur Reichswehr in den Dienst Hitlers gestellt und dessen Akzeptanz bei den Waffenträgern des Reiches erhöht zu haben.

„Es ist bekannt, dass mancher Abiturient zwischen der Theologie und dem Beruf des Soldaten schwankte, als den beiden einzigen für ihn in Betracht kommenden Möglichkeiten.“ Diese Worte des renommierten deutschen evangelischen Theologen Paul Althaus aus dem Jahre 1939 mögen angesichts des starken Einflusses des Pazifismus auf den deutschen Protestantismus der Gegenwart irritieren. Sie sind jedoch in keiner Weise untypisch für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.

Auch der 1883 in Gütersloh als Sohn eines Eisenbahnbeamten geborene Ludwig Müller schwankte zwischen diesen beiden Berufen. Unter dem Einfluss der frommen Großeltern, in deren Hause er aufwuchs, entschloss er sich zum Theologiestudium. Nach einem Studium in Halle und Bonn bestand er in Münster das Examen. Wie diverse andere Amtsbrüder, die später in den wilden Anfangsjahren der NS-Zeit zu Kirchenführern aufstiegen, verstand auch er sich eher als Mann der Tat denn der Theorie und war auch seine Stärke eher die mitreißende Rede oder Predigt als die wissenschaftliche Ausarbeitung.

Seine erste Pfarrstelle hatte er in Rödinghausen bei Bünde im Westfälischen. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges gelang es ihm dann, seine Liebe zur Kanzel mit jener zur Kriegsmarine zu verbinden. Er wurde Marinepfarrer. Während des Ersten Weltkrieges zeitweise als Divisionspfarrer des deutschen Mittelmeergeschwaders in Konstantinopel tätig, war er nach dem Kriege Marineoberpfarrer in Wilhelmshaven.

1926 schließlich begannen seine Jahre in Ostpreußen mit der Berufung zum Wehrkreispfarrer des Wehrkreises I mit Amtssitz in Königsberg. Die Insellage dieser Provinz, die er später als seine eigentliche Heimat bezeichnen sollte, bestärkte den Nationalprotestanten noch in seinem Nationalismus. Immerhin war die Exklave umgeben von potenziellen Feinden, die erst wenige Jahre zuvor Reichsterritorium annektiert hatten.

Wie zuvor schon in Wilhelmshaven fand er auch hier Anschluss an gleichgesinnte Vereine und Kreise wie den „Stahlhelm“. Bei nationalen und militärischen Veranstaltungen war er ein gern gesehener und gehörter Redner. Seinen wohl größten Auftritt hatte er 1927 bei der Einweihung des Tannenbergdenkmals. Während des Festgottesdienstes mit Reichspräsident Paul von Hindenburg und dem Reichskanzler Wilhelm Marx sowie etwa 100000 anderen Teilnehmern hielt er die Ansprache, bevor Hindenburg das Wort ergriff.

Doch auch in feiner Gesellschaft wusste Müller zu wirken. Im gesellschaftlichen Umgang war er geschickt, gewandt sowie von liebenswürdigem und gewinnendem Benehmen. Hinzu kam, dass seine Ehefrau aus einem wohlhabenden Hause stammte. Dieses ermöglichte es ihm, gesellschaftlich mit den Offizieren und darüber hinaus mit anderen gesellschaftlichen Kreisen in Königsberg Verbindung zu halten.

Angesichts dieser Mischung aus Nationalismus, Redetalent, gewinnendem Auftreten und Beziehungen zu Reichswehr wie Gesellschaft kann es nicht verwundern, dass die NSDAP auf ihn aufmerksam wurde. Laut Müller hat er Hitler 1927 kennengelernt, als „in Ostpreußen alle nationalen Elemente sich in“ seinem „Hause sammelten“. Dass Müller bei einem derartigen Treffen „aller nationalen Elemente“ Hitler kennengelernt hat, ist durchaus möglich, denn die bereits beschriebene Insellage Ostpreußens ließ die nationale Rechte in einer Art Burgfriedensmentalität dort stärker zusammenrücken, als es im Restreich der Fall war.

Am 1. August 1931 wurde Müller mit der Nummer 670992 NSDAP-Mitglied. Zuvor waren zwei bedeutende Entwicklungen eingetreten. Zum einen hatte die NSDAP ihre bis dahin geübte Indifferenz ge­gen­über den Kirchen aufgegeben. Sie übernahm nunmehr in stärkerem Maße kirchliche Parolen und begann sogar, sich als legitime Vertreterin kirchlicher Interessen hinzustellen. Zum anderen wurde die Partei durch ihre Wahlerfolge nun auch für Honoratioren zunehmend gesellschaftsfähig.

Als Mittler zwischen Reichswehr und NSDAP engagierte Müller sich insbesondere für deren Zusammenarbeit bei dem aus Freiwilligenverbänden bestehenden preußischen Grenzschutz. Die von ihm geförderte Beteiligung von SA-Männern am Grenzschutz versprach sowohl für die Armee als auch für die Partei Vorteile. Die zahlenmäßig begrenzte Reichswehr erhielt Unterstützung bei der Sicherung der ostpreußischen Grenze und die NSDAP erhielt über die SA die Möglichkeit einer professionellen militärischen Mitgliederausbildung sowie Zugang zu Waffen und militärischer Ausrüstung.

Um die Zusammenarbeit beim Grenzschutz ging es wohl auch beim Treffen Hitlers mit dem Chef des Stabes im Wehrkreis I, Oberst Walter von Reichenau, das Müller vermutlich Anfang April 1932 in seiner Wohnung arrangierte. Und um den Grenzschutz ging es auch beim anschließenden Briefwechsel zwischen Hitler und Reichenau, bei dem der Wehrkreispfarrer als Bote fungierte. In seinem Schreiben vom 4. Dezember 1932 an Reichenau gelang es dem Parteichef wohl, die letzten Bedenken des Stabschefs gegenüber dem Nationalsozialismus und einer nationalsozialistischen Regierungsübernahme auszuräumen.

Gemeinsam mit dem Oberst gelang es Müller, den Wehrkreisbefehlshaber Königsberg und Chef Reichenaus, General Werner von Blomberg, neben weiteren hohen Offizieren für den Nationalsozialismus und den Gedanken einer Kanzlerschaft Hitlers zu gewinnen. Blomberg konnte dazu bewegt werden, eine Zusammenkunft Hitlers mit führenden Reichswehrgeneralen zu ermöglichen.

Der Erfolg blieb nicht aus. Die Generale stellten ihre Bedenken hinsichtlich einer Beauftragung Hitlers mit der Regierungsbildung zurück und haben dieses den Reichspräsidenten wissen lassen. Blomberg, der in der letzten Januarwoche 1933 von Hindenburg empfangen wurde, tat offenbar das Seinige, die letzten Bedenken des Staatsoberhauptes zu zerstreuen.

Diese Unterstützung Hitlers blieb für die Betreffenden nicht folgenlos. Nach seiner eigenen Ernennung am 30. Januar 1933 ernannte der neue Reichskanzler den ostpreußischen Wehrkreisbefehlshaber Blomberg zum Reichswehrminister, dessen Stabschef in Königsberg, Reichenau, zu dessen Ministeramtschef in Berlin sowie den ostpreußischen Wehrkreispfarrer Müller zu seinem Vertrauensmann und Bevollmächtigten für Fragen der evangelischen Kirche. Ein halbes Jahr nach jenem unübersehbaren Bekenntnis Hitlers vom 25. April 1933, wer sein Mann im deutschen Protestantismus ist, wählte die Deutsche Evangelische Nationalsynode eben diesen in das neugeschaffene Reichsbischofsamt. Manuel Ruoff


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