25.04.2024

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21.09.13 / Die ostpreußsische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-13 vom 21. September 2013

Die ostpreußsische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

das Rad der Zeit dreht sich bei uns merklich zurück, denn wie schon die letzte Ausgabe bewies, kommen jetzt wieder Vorgänge ans Licht, die zehn, zwölf oder noch mehr Jahre zurückliegen. Das Internet macht’s möglich, dass sich tatsächlich noch einige Fälle klären lassen. Auch heute können wir wieder von einer bisher vergeblich gestellten Frage berichten, auf die wir jetzt unvermutet die richtige Antwort erhalten haben. Es handelt sich um einen Feldpostbrief aus dem Jahr 1943, den wir aus dem Leserkreis zugesandt bekamen und der anscheinend nie die richtigen Empfänger erreicht hatte. Ein junger Vater schrieb ihn von der Ostfront an seine Frau und die beiden kleinen Söhne, und in seinen Zeilen schwang schon die dunkle Ahnung mit, dass er sie nicht wieder sehen würde. Dass es tatsächlich so gekommen ist, hatten wir nicht gehofft, als wir diesen anscheinend letzten Brief des Leutnants Karl Thomas veröffentlichten, um herauszufinden, ob Angehörige seiner Familie noch leben, damit der Brief nach einer langen Irrfahrt endlich in die richtigen Hände kommt.

Eine Leserin aus Hannover hatte ihn zu Beginn des vorigen Jahres zugesandt, weil sie meinte, dass der von ihr entdeckte Feldpostbrief eine ostpreußische Familie betreffen könnte, aber den in der Adresse angegebenen Ort „Schnorrenberg“ hatte es in Ostpreußen nie gegeben.

Da uns aber dieser wohl letzte Gruß eines deutschen Wehrmachtsangehörigen an seine Familie sehr berührte und uns an einer späten Klärung des Falles lag, veröffentlichten wir die Suche nach Frau Susi Thomas in Schnorrenberg und wurden immerhin soweit fündig, dass wir dank Leserzuschriften den – inzwischen eingemeindeten – Ort in der Eifel finden konnten. Weiter kamen wir nicht – bis wir einen zweiten Feldpostbrief erhielten, der mit dem ersten fast identisch war. Aus ihm ging noch stärker hervor, dass Karl Thomas nicht mehr glaubte, lebend aus dem Stalingrader Kessel heraus zu kommen. Die über 90-Jährige aus Attendorn meinte, dass ihr verstorbener Bruder diesen Brief von seinem Fronteinsatz mitgebracht habe. Wir starteten also einen zweiten Versuch, die Familie Thomas zu finden – leider vergeblich!

Bis jetzt! Denn nun löst sich die Geschichte auf – in einer Version, die wir nie vermutet hätten. Wir bekamen von Herrn Hans-Herbert Thomas aus Nickenich ein Schreiben zugesandt, in dem er mitteilt, dass er einer der beiden Söhne des Briefschreibers Karl Thomas sei, der seit Stalingrad vermisst wird. Er hätte erst jetzt von der in unserer Zeitung veröffentlichten Suche nach seiner Mutter Susi Thomas gelesen und könnte nun zur späten Klärung der Angelegenheit beitragen. Wegen der Kompliziertheit des Falles geben wir sein Schreiben im Wortlaut wieder:

„Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist im Besitz der letzten vier Feldpostbriefe meines Vaters, die er von der Front aus Stalingrad an meine Mutter Susi geschickt hat. Die Briefe wurden in dem Buch ,Namen für Rossoschka‘ – Schicksale aus Stalingrad – in Ausschnitten veröffentlicht. Der Feldpostbrief vom 20. Januar 1943 in Ihrer Post ist eine schlecht gemachte Kopie des Originalbriefes meines Vaters, welche der Volksbund als ,Muster‘ an Förderer und Interessenten versandt hat. Natürlich stimmt das Schriftbild mit dem meines Vaters in keinster Weise überein. Ebenso ist die Adresse bewusst unvollständig und falsch wieder gegeben. Eben nur ein Muster! Meine Mutter war damals, als mein Vater nach Stalingrad gehen musste, 29 Jahre alt. Auch ihr blieb nichts, was den unsinnigen Krieg angeht, erspart. So wurden wir 1944 zwangsweise aus dem Höhengebiet der Eifel evakuiert, weil wir direkt an der Bunkerlinie des Westwalls wohnten.

Die Suche nach unserem vermissten Vater hat meine Mutter bis zu ihrem Tode im Januar 1989 nie aufgegeben. Mein Vater gehörte dem Stab des Pionierersatz-Bataillon 33 an und war im Raum Stalingrad der 305. I.D. zugeordnet. Er wurde als Technischer Inspektor in der Brücken-Kolonnen-Staffel 925, Pionier, Feldpostnummer 47153 geführt. Er hatte die Erkennungsmarke 1-15-Pi.Ers.Btl.33. Es ist tröstlich für mich zu erfahren, dass Sie den letzten Brief meines Vaters aus Stalingrad gelesen haben. Sicher erkannten Sie, wie unendlich groß sein Heimweh und die Sorge um seine Familie war. Für Ihre außerordentliche Mühe, die Sie für das Auffinden unserer Anschrift in Schnorrenberg hatten, bedanke ich mich sehr.“

Und wir möchten uns für die informativen Zeilen von Herrn Hans-Herbert Thomas sehr herzlich bedanken, da wir nun wissen, dass die Originalbriefe damals die Empfängerin erreicht haben. Susi Thomas war 1943 mit ihren beiden kleinen Söhnen in die Heimat ihres Mannes, die Eifel, gezogen. Da sie bald evakuiert wurden, hätte sich dort wohl niemand mehr an die Familie erinnern können, selbst wenn man unsere Kolumne mit der Suchfrage gelesen hätte, zumal ja auch die Adresse auf den uns vorgelegten Briefen nicht richtig angegeben war. Aber ob Original oder Kopie: Dieser letzte Brief des Stalingradkämpfers, der sein Schicksal vorausahnte, berührt uns noch heute und auch, dass sein Sohn Hans-Herbert Thomas – dessen Bruder Karl-Heinz 2007 verstarb – das Gedenken an den Vater so fest bewahrt hat. Die Zeit heilt nicht immer alle Wunden.

Das ist ein langer und sehr emotionaler Einstieg in unsere heutige Kolumne, und schon mehr als das. Aber vielleicht noch bewegender ist die nächste Zuschrift, die nahtlos an unsere letzte Kolumne anschließt, in der wir die Suche nach dem Mann veröffentlichten, der sich Richard Stad nennt. Ein „Wolfskind“, das Mutter und Schwester bei dem Russeneinfall in Ostpreußen verlor und diese immer gesucht hatte. Es hatte sich nun ein Leser gemeldet, der glaubte, dass seine Schwiegermutter diese Schwester „Käthi“ sein könnte, da ich den richtigen Nachnamen von Richard in dem ostpreußischen Familiennamen „Stadie“ vermutete. Unsere Kolumne war bereits im Druck, als ein Brief der Genannten einging, der diese von uns mit Vorbehalt weiter gegebene Vermutung noch bekräftigte. Frau Käthe Leiensup aus Marl schreibt:

„Ich habe durch Zufall einen Ausschnitt aus Ihrem Brief vom 18. März 2000 von Ihnen aus dem Internet gelesen. Liebe Frau Geede, Sie schreiben da über einen Richardas Stadas oder Richard Stad, der seine Mutter und Schwester auf der Flucht verloren hat. Ich habe sehr aufmerksam alles gelesen. Besonders die letzten Sätze, wo Sie eine Vermutung wagen … Ich heiße mit Mädchennamen Käthe Stadie! Ich habe aus dem Brief vieles gelesen, was ich von meiner Mutter auch immer gehört habe. Meine Mutter hat meinen Bruder jahrelang durch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) suchen lassen, immer ohne Erfolg.“ Das erinnert sehr an die ebenfalls in der letzten Folge von mir geschilderten Suchgeschichte der Geschwister K., die aufgrund eines fehlerhaften Namens sich über 50 Jahre lang nicht finden konnten, obgleich Schwester und Brüder fast in Nachbarschaft in Mitteldeutschland lebten, bis sie sich aufgrund erneuter Suche durch Namensvergleich fanden. Es bleibt nur inbrünstig zu hoffen, dass dieser Fall so ähnlich ausgeht. Aber zuerst einmal, was das Wichtigste ist: Richard Stad, der nicht mehr in Spremberg wohnt, muss gefunden werden!

Immer mehr verlagern sich die Fragen und Wünsche, die an unsere Ostpreußische Familie gerichtet werden, auf eine Klärung des eigenen Schicksals, denn die Fragenden waren bei der Vertreibung oder Verschleppung noch Kinder und haben selber keine Erinnerungen mehr und die Zeitzeugen sind längst verstorben. So ergeht es auch Herrn Helmut Schäfer aus Friedrichsdorf, der über unsere Zeitung nach Menschen sucht, die ein ähnliches Schicksal wie er hatten oder die sogar etwas über das Leben in der sibirischen Kolchose Kirowa, Region Irkutsk, aussagen können. Der heute 65-Jährige wurde im April 1948 in Skrodeln, Kreis Tilsit, geboren und ein Jahr später von dort mit den Eltern nach Sibirien verschleppt. Der Junge hat also seine frühe Kindheit in der Internierung verbringen müssen, denn erst Ende 1958 kam die Familie nach Deutschland. Seine Eltern sind schon lange verstorben, er kann sie nicht mehr befragen und deshalb bittet Herr Schäfer unsere Leser, ihm bei der Aufarbeitung seiner Lebensgeschichte zu helfen. Wir unterstützen mit dieser Veröffentlichung seine Bitte gerne und hoffen, dass sich Leserinnen oder Leser melden, die mit ihren Erlebnissen dazu beitragen können, seine Erinnerungen zu ergänzen. Vielleicht erinnern sich auch noch ehemalige Bewohner seines memelländischen Geburtsortes an die Familie Schäfer und an das Kind, das den Namen Gerd-Helmut erhielt, das aber nur Helmut genannt wurde. Diesen Rufnamen hat Herr Schäfer beibehalten. (Helmut Schäfer, Rosenweg 28 in 61381 Friedrichsdorf.)

Besonders bei den heute in das Seniorenalter wechselnden Kindern von Vertriebenen ist oft der Wunsch groß, etwas aus dem Leben der Eltern und Großeltern zu erfahren, über das diese nie gesprochen haben beziehungsweise nach dem sie nie befragt wurden. Oft sind es aber auch nur scheinbare Nebensächlichkeiten, die das Langzeitgedächtnis gespeichert hat und die schließlich zu einer Befragung führen. Bei Herrn Werner Nedon aus Halle ist es ein Gedicht, das als Wandbild gerahmt im Schlafzimmer seiner Großtante Margarete Lettau in Neustadt/Orla hing, wo die aus dem ostpreußischen Friedrichshof Stammende nach der Flucht eine neue Heimstatt gefunden hatte. Dass sie aber sehr an der verlassenen Heimat hing, beweist der Vierzeiler auf dem Bild, das Herr Nedon noch immer vor sich sieht:

„Heimat, Deine Glocken klangen

mir ins Herz so süß und rein.

Du, mein Sehnen und Verlangen,

Heimat, ewig denk’ ich Dein.“

Herr Nedon hat es noch nie einem Autor zuordnen können, weiß auch nicht, ob es sich um ein älteres Gedicht handelt oder ob es erst nach der Vertreibung entstand. Er nimmt eher das Letztere an, da seine mütterliche Familie, der auch Margarete Lettau geborene Berlinski angehörte, ihre Wurzeln in Ostpreußen hat. Sein Vater kommt aus dem Elsass, er selber wurde 1949 in Thüringen geboren, ist also „Einer von mittendrin in Deutschland“, wie er schreibt. Auf jeden Fall hat das Gedicht auf seine vertriebenen Verwandten in der Nachkriegszeit einen großen psychologischen Einfluss ausgeübt. Werner Nedon würde nun gerne erfahren, ob es sich um einen Vierzeilen oder um eine Strophe aus einem längeren Gedicht handelt, wer der Dichter war und wann es entstand. Und er hofft, dass es in voller Länge in einer Anthologie steht – leider nicht in meinen vielen Gedichtbüchern und deshalb muss ich seinen Wunsch weiterleiten an unseren Leserkreis, der bisher bei analogen Fragen – fast – immer fündig wurde. (Werner Nedon, Mailänder Höhe 4 in 06128 Halle, Telefon 0345/1219665.)

Eure Ruth Geede


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