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21.09.13 / Geldquelle Hartz IV / Filmemacherin über Fehlanreize im deutschen Sozialsystem

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-13 vom 21. September 2013

Geldquelle Hartz IV
Filmemacherin über Fehlanreize im deutschen Sozialsystem

Sie machen sich die Methoden eines Josef Goebbels zu eigen – Verleumdung, Rufschädigung, Stigmatisierung und so weiter –, um gegen eine Bevölkerungsgruppe hetzen zu können.“ So lautet eine von vielen Beschimpfungen, die die Filmemacherin Rita Knobel-Ulrich im Rahmen ihrer Arbeit zu hören bekam. Andere wünschten ihr schlimme Krankheiten oder gar den Tod, wie es in den Reaktionen auf ihre TV-Dokumentationen für ARD und ZDF am Ende des Buches „Reich durch Hartz IV. Wie Abzocker und Profiteure den Staat plündern“ nachzulesen ist. Andere Zuschauer loben dort auch die Dokumentationen von Knobel-Ulrich, politische Aktivitäten in Form von Reformen auf die von ihr erlangten Erkenntnisse gab es allerdings bisher nicht, obwohl die Filmemacherin seit gut zehn Jahren Fehlentwick-lungen im Hartz-IV-System auf der Spur ist.

Da sie nicht alle Erlebnisse und Erkenntnisse in ihren TV-Dokumentationen unterbringen konnte, hat sie nun das vorliegende Buch verfasst. Jenen, die ihre Fernsehbeiträge kennen, wird möglicherweise einiges bekannt vorkommen, auch hofft man manchmal, die von ihr geschilderten Fälle wären reine Hetze gegen Hartz-IV-Empfänger, doch leider, wie es bei TV-Dokumentationen ist, sind viele ihrer Erlebnisse in Bild und Ton belegt.

„46 Milliarden Euro haben Bund und Kommunen allein im Jahr 2011 für Hartz IV ausgegeben – der Sozialetat ist mit Abstand der größte Posten im Bundeshaushalt. Doch werden diese Mittel wirklich sinnvoll investiert? Und sind die Leistungsempfänger auch die Gewinner, wenn es um die Fördermaßnahmen geht“, fragt die Autorin. Und so liegt der Schwerpunkt des Buches keineswegs auf den Hartz-IV-Empfängern selbst. Knobel-Ulrich hat viel mehr jene im Blick, die von den Hilfsempfängern profitieren. Dies sind vor allem die Bildungsträger. Sie verdienen Millionen damit, Hartz-IV-Empfänger in Maßnahmen zu beschäftigen, die zumeist unsinnig seien.

Die Autorin nennt hier neben bekannten Beispielen wie der inzwischen abgeschafften Puzzle AG und einem fiktiven Supermarkt auch Theatergruppen und Telefon-Seminare, die mit der Realität am Arbeitsmarkt wenig gemein haben. Zum Übungssupermarkt heißt es: „Was Schüler, die etwa bei Rewe an der Kasse sitzen und ihr Taschengeld aufbessern, an einem Nachmittag lernen, dauert hier ganze zehn Monate, gut bezahlt vom Jobcenter.“ Knobel-Ulrich kritisiert aber gar nicht so sehr die Bildungsträger, die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, sondern die Arbeitsagentur beziehungsweise die Politik. Dass Bildungsträger bei Seminargebühren von rund 500 Euro im Monat pro Teilnehmer diese Einnahmequelle so lange wie möglich im System behalten wollen, sei aus deren Sicht völlig verständlich. Weniger verständlich sei aber, warum der Staat keinerlei Erfolgskriterien vorgibt.

Auch kritisiert die Filmemacherin an dem System, dass Firmen sich nicht finanziell an Fort- und Weiterbildung von Arbeitssuchenden beteiligen. Warum muss das Arbeitsamt Lkw-Führerscheine mit 60000 Euro bezahlen, ohne dass sich der künftige Arbeitgeber daran beteiligt? Allerdings läuft auch diese Kritik auf eine Kritik am Staat heraus, der derartiges überhaupt anbietet.

Aber auch die Hartz-IV-Empfänger bekommen ihr Fett weg. Knobel-Ulrich schildert Fälle, in denen Arbeitslose jedes Angebot ablehnen, da jede Arbeit nichts für sie sei. Viele würden nicht verstehen, dass es hier nicht um die Suche nach ihrem Traumberuf gehe, sondern darum, sich ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Wobei auch diese Kritik dann wieder an den Staat weitergegeben werden kann, der eine soziale Hängematte geschaffen hat, die es erlaubt, anstrengende Arbeit abzulehnen, da sich die Arbeitsannahme finanziell für sie wegen der niedrigen Entlohnung für Ungelernte auch gar nicht rechne. Wieso gibt es in Deutschland Geld ohne Gegenleistung, fragt die Autorin und verweist auf Holland. Dort werden Arbeitslose bei Bedarf für soziale Tätigkeiten eingesetzt. Straße kehren, alten Menschen vorlesen oder ihre Einkäufe ins Haus bringen. Außerdem hätten Niederländer unter 27 Jahren keinen Anspruch auf Sozialhilfe, was den Druck auf sie, eine Ausbildung zu machen, auch wenn sie keine Lust haben, erhöht. Zudem bemängelt die Autorin, dass Sanktionen gegen Leistungsverweigerer ungenügend verfügt würden und es möglich sei, dass manche Hartz-IV-Empfänger nebenbei schwarz arbeiten und somit am Ende mehr Geld haben als Niedriglöhner.

Knobel-Ulrich erinnert sich an ihre Jugend, als die meisten Menschen zu stolz waren, um zum Amt zu gehen und Hilfe zu beantragen. „Etwa zehn Millionen Ost- und Sudentendeutsche wurden bis 1950 im Westen aufgenommen. Keiner von ihnen beharrte darauf, er habe schließlich in Breslau oder Königsberg als Bankangestellter, Lehrer oder Ingenieur gearbeitet und sei deshalb auch nur gewillt, in diesem und keinem anderen Beruf tätig zu werden.“ Heute hingegen würden nicht nur die Hilfsempfänger weniger zurückhaltend sein, auch würden sie von im Grunde allen im Bundestag vertretenen Parteien und auch den meisten Organisationen so gut wie ausschließlich als Opfer dargestellt. Zahlreiche von der Autorin geschilderte Fälle belegen jedoch, dass dem oft nicht so ist. Rebecca Bellano

Rita Knobel-Ulrich: „Reich durch Hartz IV. Wie Abzocker und Profiteure den Staat plündern“, redline, München 2013, geb., 255 Seiten, 19,99 Euro


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