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28.09.13 / Einfluss vieler Völker / Reise mit Hindernissen – Wer die wunderliche Welt Ostanatoliens erleben will, muss erst einige Schlagbäume überwinden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-13 vom 28. September 2013

Einfluss vieler Völker
Reise mit Hindernissen – Wer die wunderliche Welt Ostanatoliens erleben will, muss erst einige Schlagbäume überwinden

Warum bis ins Kurdengebiet im äußersten Osten der Türkei reisen, wenn es bekannte Urlaubsziele auch am Schwarzen Meer gibt? Weil es dort touristisch nicht überlaufen ist und trotzdem viel zu sehen gibt, meint unser Autor, der ein besonderes Reiseerlebnis unter hilfsbereiten und warmherzigen Menschen hatte.

Reist man von Georgien kommend am Rand des Kleinen Kaukasus in den Osten der Türkei ein, staunt man über den Zustand der letzten Straßenkilometer vor der Grenze: zwischen waschbeckentiefen Schlaglöchern sind die Reste der Asphaltdecke nur noch zu erraten. Der Grenzposten ist eine provisorisch wirkende Ansammlung von Häuschen, Fahrzeughallen und Zäunen.

Dahinter fällt sofort der Kontrast zwischen dem etwas heruntergekommenen Georgien und der Türkei auf, wo Straßen, Häuser und Äcker sichtlich instandgehalten werden. Sogar die nussbraunen Kühe wirken gepflegter. Es dauert keine zehn Minuten bis zur ersten Kontrolle durch die Militärpolizei: Ein auf die Straße gestelltes Stoppschild flankieren zwei Wehrpflichtige mit Sturmgewehren, ihr Vorgesetzter blättert gründlich unsere Papiere durch. Diese Kontrollen gehören auch im Norden Osta­natoliens zum Straßenbild.

Die Flanken der gerundeten grünen Bergkuppen fallen steil ab in bewaldete Täler, von oben besehen wirkt die Landschaft wie in den Alpen – wenn nicht aus jedem Dörfchen wie ein Zettelspieß ein Minarett herausragen würde. Die Straße schlängelt sich über Höhenzüge und wieder hinunter zu Flüssen, bis die Auffahrt zu einem 2540 Meter hohen Pass beginnt. Hier oben wächst nur noch Steppengras zwischen grobem Geröll, und noch jetzt, im Sommer, verläuft die Fahrbahn zwischen Wänden aus Altschnee. Hinter diesem Gebirgszug weitet sich eine karge Hochebene mit dem Städtchen Ardahan.

Endlose Serpentinen schlängeln sich auf der anderen Seite durch üppigen Wald hinab an den Grund der Kerbe, die ein Fluss ins Gebirge geschnitten hat. Der Horizont verläuft als Zackenlinie in 3000 Metern Höhe – blaugrau mit weißen Schneeflecken grenzen die Kaçkar-Berge das Binnenland vom Schwarzen Meer ab. Hinter jeder Biegung öffnen sich grandiose Aussichten auf hohe, bizarr geformte Felsmassen.

In der Ortschaft Yusufeli sieht man fast nur Männer, die zu zweit oder in Grüppchen zusammenstehen oder spazieren gehen. Die zwei, drei Pensionen liegen alle beieinander – direkt am Fluss Çoruh, dessen Rauschen unser winziges Zimmer erfüllt. Am nächsten Tag besuchen wir zwei der Kirchen, die aus der Zeit stammen, als dies noch georgisches Land war. Das liegt tausend Jahre zurück. Die meisten sind Ruinen; manche werden als Moschee genutzt, was eine elementare Instandhaltung gewährleistet. Auch ohne diese Baudenkmäler wäre die Gegend eine Sehenswürdigkeit für sich – wildes Wasser, zerklüfteter Fels, Dörfer im Schatten schlanker Pappeln und im Hintergrund Hochgebirge.

Nach einer zweiten Nacht reisen wir weiter Richtung armenischer Grenze. Auf dem Weg nehmen wir noch eine georgische Kirche mit – nicht nur in architektonischer Hinsicht ein Höhepunkt, denn sie liegt hoch über dem Fluss auf einem Bergrücken. Die Kirche Ishan liegt im Hof der Dorfschule, sie ist aus sandfarbenem, leicht marmoriertem Stein errichtet und weist schöne Steinmetzarbeiten auf, um die Fenster laufen gemeißelte Flechtbänder. Die Dächer der Kirchenschiffe sind eingestürzt, nur die Zentralkuppel, die von vier Pfeilern gehalten über dem Bau zu schweben scheint, trägt noch einen kompletten Kegel aus buntglasierten Ziegeln.

Auf der Weiterfahrt verlässt die Straße allmählich das Schluchtenlabyrinth, die Hügel werden wieder grün. Aus einem mit Pinienwald bewachsenen Tal steigt die Straße über einen Höhenzug auf das armenische Plateau, eine in ihrer Weite und Leere beeindruckende, aber auch bedrückende Landschaft. Bald geht es weiter nach Kars in der Einöde am Rand der Türkei. Einige alte Gebäude im russischen Stil und die gitternetzförmige Anlage der Straßen verraten, dass Kars von den Soldaten des Zaren zur Garnisonsstadt ausgebaut wurde, als Russland und das Osmanische Reich um diese Gegend kämpften.

Am nächsten Morgen fahren wir nach Ani. Auf freier Strecke ein Schlagbaum: Soldaten überprüfen, ob die Papiere für den Besuch im Grenzland in Ordnung sind. Unmittelbar außerhalb der alten Stadtmauern von Ani fährt man durch ein ärmliches Dorf, in dem Kurden leben. Kinder spielen im Matsch zwischen den Hütten und Lehmmauern. Hinter den exakt zusam­mengesetzten hellbeigen Quadern der Stadtmauer mit ihren halbrund vorspringenden Türmen liegt eine Grasfläche mit weit auseinanderliegenden Ruinen. Charakteristisch für die alten armenischen Bauten ist die monumentale Bauweise, aufgelockert durch vereinzelte kleine Reliefs oder Plastiken.

Eigentlich hatten wir vor, weiter nach Südosten zu fahren – stattdessen steuern wir Erzurum an, die größte Stadt auf dem ost­anatolischen Plateau. Über weite Täler erheben sich verschneite Berge. Die Vegetation bleibt dürftig – Steppe und wenig Bäume. Wenige Kilometer vom Stadtzentrum fahren die Einheimischen oft bis in den Mai hinein Ski. Im Winter fallen die Temperaturen bis 30 Grad minus, die Schneemassen werden mit Lastwagen aus der Stadt gefahren.

Erzurum ist besonders für seine Restaurants zu loben. Auf der Hauptstraße findet man eins neben dem anderen. Wir kehren in ein besseres von ihnen ein, dort herrscht ruhige, gediegene Atmosphäre. Die Küche ist trotzdem gut türkisch und nicht teuer, die Bedienung unkompliziert – Verständigungsprobleme löst der Kellner ganz einfach, indem er uns in die Küche führt und in die Töpfe gucken lässt. Die Sehenswürdigkeiten sind alle zu Fuß zu erreichen – unter anderem die Festung mit ihrem viktorianischen Uhrturm. Die Häuser sehen aus wie kleine Schachteln mit flachen Grasdächern, auf denen da und dort ein Schaf weidet. Wir schlendern durch verwinkelte Viertel und über den Markt. Die Menschen begegnen uns hilfsbereit und freundlich.

Aber es gibt nicht viele Touristen in Erzurum. Die Teppichhändler haben Zeit und hören sich das schlechte Türkisch des Reisenden an, Tee bekommt man bis zum Abwinken und keiner ist böse, wenn man nichts kauft.

Wir fahren weiter in Richtung Südwesten. Dabei überqueren wir den Oberlauf des Euphrat, der hier noch ein kleines Flüsschen ist. Die Landschaft wird milder, schließlich kommen wir nach Sivas. Sehenswert sind hier die seldschukischen Baudenkmäler, deren Fassaden von überreichen Steinmetzarbeiten moslemischer Ornamente bedeckt sind. Da meine Schuhe nach dem vielen Pflastertreten staubig und zerkratzt sind, lasse ich sie von einem Schuhputzer polieren. Die Bearbeitung mit farbiger Creme, Lederfett, Bürsten und Lappen verleiht ihnen den Glanz neuer Gummistiefel. Alexander Glück


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