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12.10.13 / Bosnien im freien Fall / Volkszählung soll Daten über das gespaltene Land liefern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-13 vom 12. Oktober 2013

Bosnien im freien Fall
Volkszählung soll Daten über das gespaltene Land liefern

Vom 1. bis 15. Oktober läuft in Bosnien-Herzegowina eine Volkszählung, die erste seit 1991. Sie soll die Schäden des Kriegs ab 1992 bilanzieren, der 273000 Tote und über eine Millionen Vertriebene kostete. Er endete 1995 mit dem Friedenspakt von Dayton, der Bosnien ethnischer Separierung, administrativer Zersplitterung (in „Entitäten“, „Kantone“ und „Gemeinden“), ökonomischer Verarmung, politischer Obstruktion überantwortete.

Bosnien war einmal anders. „Bosna argentina“ hieß das erzreiche Land in der Antike: silbernes Bosnien. Handwerker mehrten seinen Ruhm. Die besten Damaszenerklingen wurden hier gefertigt, nicht in Damaskus. Später machte das Königreich Jugoslawien Bosnien zu seiner Waffenschmiede. Als nach 1970 Tito-Jugoslawien in die ökonomische Krise geriet, erlebte Bosnien sein Wirtschafts-wunder, da es Titos fruchtlose „Selbstverwaltung“ ignorierte und im Handel mit der Bundesrepublik Deutschland Überschüsse einfuhr.

Wo steht Bosnien heute? Gerade beginnt die Heizsaison, Gas und Öl fehlen, Holz ist so teuer, dass Familien Autos und Fernseher verkaufen, um es zu bezahlen. Das Land verfällt so sehr, befand EU-Kosovo-Beauftragter Samuel Zbogar, dass dagegen selbst das desolate Kosovo gut dastehe. „Bosnien hat keine Chance“, so Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska, einer der beiden bosnischen Teilrepubliken, „es sei denn als Trainingsfeld für drittrangige EU-Bürokraten.“

Im Mai senkte die Europäische Bank für Entwicklung Bosniens Wachstumsprognose von 0,6 auf 0,1 Prozent. Anfang Oktober beklagten Valentin Incko, Bosniens internationaler hoher Repräsentant, und der Internationale Währungsfonds Bosniens wachsende Arbeitslosigkeit (34 Prozent), sein Handelsdefizit, sein rückläufiges Bruttoinlandsprodukt, seine sus-pekte Steuermoral sowie seine verfehlte Energiepolitik.

Ende September wurde der serbische Politiker Momcilo Krajisnik vorfristig aus Haager Kriegsverbrecherhaft entlassen. Vor Journalisten in Sarajewo gab er sich „überrascht“, wie stark bosnische Politik in Kriegsfeindbildern gefangen sei: Da alle allen misstrauen, habe Bosnien als einziges Balkanland noch keinen EU-Aufnahmeantrag gestellt. Noch am 1. Oktober konnte EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle die in Brüssel präsenten bosnischen Politiker auch durch Sanktionsdrohungen nicht umstimmen.

Da die mehr als eine Million bosnischen Gastarbeiter und Flüchtlinge in das ruinierte Bosnien nicht zurückkehren wollen, wird die aktuelle Volkszählung nicht sagen können, ob das Land 3,8 oder 4,6 Millionen Einwohner hat, wie Statistiker im In- und Ausland rätseln. Aktuelle Schätzungen zur Größe der drei konstitutiven Völker (Muslime 51 Prozent, Serben 35 Prozent, Kroaten elf Prozent) von Day-ton 1995 sind wertlos, denn Muslime sehen sich als Muslime, Bosnier und Bosniaken, Kroaten und Serben fürchten um ihre Privilegien aus Zagreb und Belgrad und wollen den Zensus zumeist boykottieren. Auch sind keine soliden Daten zu Alters-, Bildungs-, Erwerbsstrukturen zu erwarten. In 90 Tagen sollen trotzdem erste Erkenntnisse vorliegen. Sie werden weit von dem Bild Bosniens als „Land der Morgenröte“ abweichen, das der deutsche Autor Heinrich Renner 1896 malte. Wolf Oschlies


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