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19.10.13 / Lorchen nahm die halbe Hundehütte mit / Erinnerungen an einen treuen Hund in wirrer Zeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-13 vom 19. Oktober 2013

Lorchen nahm die halbe Hundehütte mit
Erinnerungen an einen treuen Hund in wirrer Zeit

Aufgrund des Aufrufes von Henry Makowski haben wir mehrere Beiträge zugesandt bekommen, darunter auch von Anita Motzkus. Sie überließ uns einige von ihr archivierte Aufzeichnungen von Bewohnern ihres Heimatkirchspiels Mulden, Kreis Gerdauen. Darunter befand sich auch die nachfolgende Geschichte von Fritz Waselowski, die der inzwischen Verstorbene im Jahr 1997 niederschrieb. Es ist die Geschichte eines Wiedersehens nach missglückter Flucht – ein Wiedersehen mit dem treuesten Freund des Menschen, dem Hund. Fritz Waselowski hat sie als 14-jähriger Junge erlebt, als er in seinen Heimatort Bokellen zurückkehren wollte.

„Nach etwa 400 Kilometern Fußmarsch, Hunger und viel Elend erreichten wir am 21. Juni 1945 auf der Rückkehr unseren Nachbarort Astrau. Hier erfuhren wir, dass wir nicht nach Bokellen durften, denn dort hatten sich Russen und Polen eingenistet. Es war verboten, nach Bokellen zu gehen, doch was scheren Verbote einen 14-Jährigen? Ich sagte zu meiner Mutter: ,Sobald sich die Gelegenheit bietet, gehe ich dorthin.‘ Ich wollte nachschauen, ob noch etwas von unserem Hausrat zu finden war. Meine Mutter versuchte, mir das auszureden. Sie wusste aber, wenn ich mir etwas vornehme, dann führe ich es auch durch. Aber sie bat mich, vorsichtig zu sein und mich nicht von den Russen erwischen zu lassen. Den nächsten Tag hatten wir frei, um uns einzurichten. Bloß was gab es da viel zu tun? Möbel hatten wir keine, und die Betten bestanden aus einem Bündel Stroh. So machte ich mich am nächsten Morgen gegen 8 Uhr auf den Weg, es waren ja nur zwei Kilometer. Herrlicher Sonnenschein lag über unserem Dorf, und es sah fast alles aus wie früher. Ein paar Häuser waren Ruinen, aber unser Haus stand noch, und ein Giebelfenster war offen. Da keine Gardinen hingen, konnte ich in das Zimmer schauen. Die jetzige Besitzerin meinte aber, ich wollte stehlen. Ich erklärte ihr, dass ich hier gewohnt habe, und da wurde sie freundlich und zeigte mir alle Räume. Unsere Möbel waren noch vorhanden und irgendwie gab es mir einen Stich, dass sie nun von Polen benutzt wurden. Die Frau bot mir ein Glas Saft an – aus Mutters Vorrat, da lehnte ich dankend ab. Dann ging ich weiter durch Bokellen. Als ich am Nachbarhaus vorbeikam, hörte ich das Gebell eines Hundes, das jedoch in Jaulen überging. Ich schaute mir mein Heimatdorf an und dachte an die Zeit vor der Flucht zurück. Auf dem Rückweg schlug der Hund wieder an, und da wurde ich neugierig. Ich blickte durch die Hecke. Vor der Hundehütte saß ein Hund, der wie unser Lorchen aussah. Wir hatten Lorchen auf die Flucht mitgenommen, aber nach zwei Tagen hatte sich die Hündin vom Wagen losgerissen und war verschwunden. Der Hund schaute auch zur Hecke und wedelte mit dem Schwanz. Als ich ,Lorchen‘ rief, riss er wild an der Kette. Ich schlug mich durch die Hecke, und als ich mich ihm näherte, sprang er an mir hoch und gebärdete sich wie toll. Es war Lorchen!

Durch den Lärm aufmerksam geworden, kam ein Pole aus dem Haus. Er schimpfte und sagte, dass ich abhauen sollte, sonst würde er den Hund auf mich hetzen. Als ich lachte, sagte er etwas auf Polnisch, aber der Hund zeigte ihm seine ,Beißerchen‘ und nicht mir. Ich erklärte ihm, dass der Hund mir gehört habe. Er sagte aber, dass ich ihn nicht bekomme! Ich dachte, dass es wohl auch das Beste für Lorchen sei, denn wir hatten ja selber kaum etwas zu essen, wie sollten wir da noch einen Hund durchfüttern! Traurig ging ich weiter. Kaum war ich an der Hausecke, da hörte ich ein lautes Scheppern, und Lorchen kam mit der halben Hundehütte hinter mir her. Da sagte der Pole, ich solle den Hund mitnehmen. Allein war ich nach Bokellen gegangen, nun kamen wir zu zweit zurück. Kurz vor Astrau wurde Lorchen unruhig. Als ich sie von der Leine ließ, schoss sie wie wild davon, als ob sie wüsste, wo meine Mutter und meine Schwester wohnten. So war es dann auch, die Freude über das unerwartete Auffinden von Lorchen war groß, denn sie war ja ein Stück Familie und gehörte nun wieder zu uns.“

Leider dauerte die Freude nicht sehr lange, denn Frau Waselowski verstarb bald darauf. Als der Junge dann auch noch erkrankte, wurde Lorchen von Russen gestohlen. Wie ihr weiteres Schick­sal war, hat Fritz Waselowski nie erfahren. Es blieb aber immer die Erinnerung an einen treuen Hund, dem er mit dieser kleinen Geschichte einen späten Dank abstatten wollte. R.G.


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