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26.10.13 / Kirche schafft vollendete Tatsachen / Ehemalige Schulturnhalle in Schutt und Asche gelegt − Gouverneur will von den Plänen erst aus der Presse erfahren haben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-13 vom 26. Oktober 2013

Kirche schafft vollendete Tatsachen
Ehemalige Schulturnhalle in Schutt und Asche gelegt − Gouverneur will von den Plänen erst aus der Presse erfahren haben

Lange wurde über einen Wiederaufbau der viele Jahre als Kino „Barrikaden“ genutzten ehemaligen Schulturnhalle in der Yorck-straße gesprochen. Jetzt schuf die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) als Eigentümerin klare Tatsachen: Sie ließ die Überreste des stark verfallenen Gebäudes abreißen und erhielt heftige Reaktionen seitens der Bürger.

Schon Anfang 2000 begann die ehemalige Turnhalle der Jungenlehranstalt in der Yorckstraße zu verfallen. Damals wollte die Firma „Der baltische Wal“, die bereits die Kinos „Heimat“ und „Russland“ leitete, eine Million Dollar in das Gebäude investieren, um dort einen Komplex mit Kinosälen, Cafés und Geschäften zu errichten. Dieses Angebot lehnte der Stadtrat jedoch ab und besiegelte so das Schicksal des Gebäudes.

Im Mai 2010 übergab die Stadt das nach dem Krieg als Kino „Barrikaden“ genutzte Bauwerk der Russisch Orthodoxen Kirche. Diese plante zunächst, in den Räumen ein kulturelles Zentrum einzurichten, in dem gläubige Jugendliche im geistlichen Bildungszentrum, benannt nach dem Hl. Thomas, unterrichtet werden sollten. Im Mai dieses Jahres beobachteten die Bewohner der nahegelegenen Häuser, dass Ziegel demontiert wurden. Vertreter der Diözese erklärten, dies geschehe planmäßig, es gehe lediglich darum, Bauschutt zu räumen und die Anlage für den Wiederaufbau vorzubereiten. Es gab Pläne für den Bau eines Gotteshaus zu Ehren der Hl. Nina. Es fand sogar ein Gottesdienst in dem halb zerstörten Gebäude mit Beteiligung der georgischen Diaspora statt. Aber der geplante Wiederaufbau erfolgte nicht (siehe PAZ Nr. 23/2013).

Dort, wo noch vor kurzem Mauerreste standen. liegt jetzt ein Haufen Schutt und Ziegel. Von der einstigen Turnhalle ist nur noch ein kleines Nebengebäude erhalten geblieben. Die Diözese hatte ein Gutachten erstellen lassen, in welchem belegt wurde, dass es sich um kein denkmalgeschütztes Objekt handelt, weshalb die ROK auch kein Problem hatte, eine Abrissgenehmigung zu bekommen. Laut Michail Selesnjow, Pressesprecher der Diözese, waren die Gutachter zu der Einschätzung gekommen, dass das Gebäude nicht mehr rekonstruiert werden könne. Anfänglich habe die Diözese geplant, für das neue Gotteshaus die Konstruktion der ehemaligen Turnhalle zu nutzen, doch die Spezialisten hätten dies für zu gefährlich gehalten. Deshalb habe man den Abriss beschlossen.

Die Kirchenvertreter versicherten allerdings, dass anstelle des historischen Gebäudes eine neue Kirche im traditionellen orthodoxen Stil gebaut werde. Sie soll mit Spenden der Gemeindemitglieder finanziert werden. Den Reaktionen von Passanten nach zu urteilen, ist es eher unwahrscheinlich, dass die Spenden für das Bauvorhaben sprudeln werden. Die Anwohner fühlen sich schon jetzt durch die geparkten Autos der Gottesdienstbesucher belästigt, die an Feiertagen hierherkommen und auf dem ehemaligen Kinogelände Schaschlik grillen, so dass Rauchschwaden durch die Straßen ziehen.

Kirchenvertreter versicherten auch, dass der Abriss weiterer historischer Gebäude nicht erfolgen werde, vor allem dann nicht, wenn sie unter Denkmalschutz stehen und sich früher deutsche Kirchen darin befunden haben. Ohnehin würden alle diesbezüglichen Entscheidungen zuvor mit den örtlichen Behörden abgestimmt.

Die heftigen Reaktionen, die nach Bekanntwerden des Abrisses durch die Presse gingen, zeugen davon, dass nur wenige Königsberger diesen Worten Glauben schenken. Die meisten Gebäude, die der ROK übertragen wurden, befinden sich in schlechtem Zustand und ihre Rekonstruktion würde viel Geld verschlingen. Niemand kann garantieren, dass die für eine Wiederherstellung vorgesehenen Objekte nach der Erstellung von Gutachten nicht doch abgerissen werden. Die Behörden würden es kaum verhindern wollen.

Einige können dem Vorfall dennoch auch etwas Positives abgewinnen: „Lasst sie lieber orthodoxe Kirchen bauen als Moscheen wie in Schweden oder Frankreich.“

Natalja Alexejewna, die direkt neben dem abgerissenen Gebäude wohnt, sagte: „Bald haben wir in Königsberg genauso viele Kirchen wie Supermärkte. Wozu gibt es so viele davon in der Stadt? Mein Enkel braucht dringend einen Kindergartenplatz. Wir warten schon seit zwei Jahren darauf. Es gibt viel zu wenige Kindergärten. Die sollte man bauen.“

Alexander, der gerade sein Auto geparkt hatte, gab seine Meinung preis: „Man muss auch die Leute verstehen, die am Sturm auf Königsberg beteiligt waren. Wozu die letzten Reste Königsbergs zerstören? Mein Opa war am Sturm beteiligt, mein Vater lebte und arbeitete zeitlebens hier. Ich bin hier geboren und lebe hier und mein Sohn wurde hier geboren. Für uns waren die ,Barrikaden’ ein Ort, zu dem mein Opa, und mein Vater als Kind, gegangen sind, um Filme zu sehen, das ist viel wichtiger als noch eine weitere Kirche. Das war unser erstes Kinotheater, und die Kirche hat es abgerissen. Mein Opa und seine Kameraden, die Königberg 1945 eingenommen hatten, haben es damals nicht zerstört, aber 2013 hat das die Kirche getan!“

Gouverneur Nikolaj Zukanow erklärte, er habe von den Abriss-plänen und dem geplanten Kirchenneubau erst aus der Presse erfahren. Dabei betonte er, dass die Regierung mit der Diözese bisher im Dialog standen habe. „Wir werden in Kürze eine gemeinsame Sitzung durchführen, in der wir noch einmal gemeinsam mit der ROK alle Pläne im Bereich Rekonstruktion, Wiedererrichtung oder Nutzung der ihr übereigneten Gebäude für andere Zwecke, erörtern werden.“ Die Zeit wird zeigen, wie erfolgreich der Dialog zwischen Regierung und Diözese sein wird.

Jurij Tschernyschew


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