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26.10.13 / »Den Glauben ins Leben ziehen« / Zum Reformationstag: Studien zu Luthers Theologie der 101jährigen Autorin Gerta Scharffenroth neu aufgelegt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-13 vom 26. Oktober 2013

»Den Glauben ins Leben ziehen«
Zum Reformationstag: Studien zu Luthers Theologie der 101jährigen Autorin Gerta Scharffenroth neu aufgelegt

Es dürfte schon ein außergewöhnlicher Vorgang sein, den Außenstehende wohl mit gewisser Bewunderung, aber mit noch größerer Verwunderung zur Kenntnis nehmen – die Betreffenden weniger und wenn, dann nur mit einem amüsierten Lächeln. Es handelt sich um ein Gespräch, das eine 97-Jährige mit einer 101-Jährigen führt, wenn auch nicht in Tuchfühlung sondern in Form eines Telefonats. Das aber für beide Teilnehmerinnen mehr wurde als ein informatives Gespräch sondern ein Gedankenaustausch auf gleicher Wellenlänge, bedingt durch das hohe Alter aber auch durch die beiderseitige Einbindung in das Schrifttum der Gegenwart, die sie noch längst nicht abgeschlossen sehen. Aber kann man, wenn man wie die Befragte im 102. Lebensjahr steht, überhaupt von aktuellem Schrifttum sprechen? Man kann, man muss es sogar, wenn es sich um Frau Gerta Scharffenorth handelt, promovierte Politologin und vielfach ausgezeichnete Theologin aus Heidelberg, deren vor zwanzig Jahren geschriebenes Buch „Den Glauben ins Leben ziehen-Studien zu Luthers Theologie“ jetzt in Neuauflage erschienen ist.

Aufmerksam auf diese im deutschen Schrifttum außergewöhnliche Tatsache, dass ein Autor jenseits der Dezennium-Grenze eine solche Anerkennung findet, machte uns Frau Gisela von Pück-ler, Ostpreußin und langjährige Leserin unserer Zeitung. Sie wie auch ihre Eltern Charlotte und Wendelin von Sperber fühlen sich der Autorin durch gemeinsame Fluchtschicksale sehr verbunden. Als Gerta von Mutius 1912 in Stuttgart geboren, ging die Tochter schlesischer Eltern schon als Kleinkind mit ihrer Familie in die Stammheimat zurück. Das Familiengut in Gellenau wurde auch zum Ort der Zuflucht, weil sich im Zweiten Weltkrieg die mit einem Marineoffizier verheirate Gerta Scharffenorth nach wechselnden Aufenthalten in norddeutschen Häfen, darunter auch in Danzig, dort mit ihren drei Kindern sicher glaubte. Aber dann kam das Kriegsende und mit ihm die russische und polnische Besatzung und schließlich die Ausweisung. Die Last der Verantwortung für die alleinerziehende Mutter, die sich 1948 von ihrem Mann getrennt hatte, lag schwer auf ihren Schultern. Ihre Bleibe waren die Reste eines norddeutschen Bunkers, bis sie 1950 in Heidelberg eine Anstellung als Bibliothekarin im Badischen Theologiedienst fand. Und hier begann für die 44-Jährige − die schon in ihrer Jugend nach bestandenem Abitur studieren wollte, was aber damals auf den Widerstand der Eltern stieß − mit dem Studium von Politologie und Theologie ein neuer entscheidender Lebensabschnitt, der sie zu Aufgaben führte, die ihrer Lebensauffassung und Leistungswillen gerecht wurden. So leitete Gerta Scharffenorth in den 60er Jahren den Evangelischen Gemeindedienst, Vorläufer des Diakonischen Werks in Heidelberg, und wechselte später an die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft. Als sie 1970 als erste Frau in den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt wurde, war sie sehr überrascht, denn jedes Karrieredenken war ihr fremd. Diesen Begriff würde man im Gespräch mit ihr auch nicht einmal anklingen lassen, genauso vermeidet man bewusst das viel zitierte Wort Emanzipation. Sie hat diese vorgelebt als alleinstehende Mutter und Vertriebene, der keine Arbeit zu schwer und kein Alter zu spät war, um nicht den von ihr selber vorgegebenen Weg einzuschlagen und unbeirrt fortzuführen. So übernahm sie als 75-Jährige das Projekt „Naturwissenschaftliche Medizin und christliches Krankenhaus“ an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengesellschaft (FEST). Von ihren Publikationen können wir hier nur auf das Buch eingehen, dessen Neuerscheinung für Frau Gisela von Pückler den Anlass gab, sich an uns zu wenden. Ein Buch über Luthers Wirken und Werk würde sich ihrer Meinung nach gut einfügen in die für unseren Leserkreis bestimmten Buchpräsentationen. Insbesondere seine Ausführungen zum Verhältnis Mann und Frau, zu dauerhaftem Frieden und sozialer Gerechtigkeit dürften Interesse finden, wie Frau von Pückler im Begleittext zu ihrer Kurzrezension schreibt, die wir zum Reformationstag bringen:

„Das Buch von Gerta Scharffenorth ,Den Glauben ins Leben ziehen – Studien zu Luthers Theologie’ verdankt seine Neuauflage auch im Hinblick auf das Lutherjahr 2017, der 500. Wiederkehr des Reformationsbeginns, insbesondere jedoch der im 21. Jahrhundert bestehenden Aktualität des Mannes, der die Kirche nicht spalten sondern reformieren wollte. Gerta Scharffenorths Studien überzeugen durch die Entdeckungen, die ihr als Politologin und Theologin gelangen: Sie hebt die historische Bedeutung von Luthers Werk und Wirken hervor - Rechtswandel, Bemühung um ,Ewigen Landfrieden’ − und schildert seinen Beitrag zu zentralen Problemen des Lebens wie die Beziehung zwischen Mann und Frau, Wirtschaftsethik, Aufgaben der Bildung und Friedensauftrag der Christen. Überzeugt schließt sich der angeregte Leser dem Urteil von Wolfgang Hubert in dessen ausführlichen und persönlich gehaltenem Geleitwort an: ,Ein ungewöhnliches Buch einer ungewöhnlichen Frau’.“ (LIT-Verlag, ISBN 978-3-643- 11990-2)

Das Gespräch mit der Autorin führte Ruth Geede.


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