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02.11.13 / Die Zukunft verschlafen / Nicht nur Deutschlands Verkehrsnetz, auch die digitale Infrastruktur fällt international zurück

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-13 vom 02. November 2013

Die Zukunft verschlafen
Nicht nur Deutschlands Verkehrsnetz, auch die digitale Infrastruktur fällt international zurück

Es geht um Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit und es sollte daher oberste Priorität haben, doch bisher haben nur 55 Prozent der Haushalte einen schnellen Internetzugang. Bei der Verbreitung des mobilen Breitbandes befindet sich Deutschland sogar im internationalen Vergleich noch hinter Kasachstan, wie das „Handelsblatt“ vor Kurzem vermeldete.

Was wurde der scheidende Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) belächelt, als er im Mai aus Kalifornien zurückkehrte und sich zu dem Ausspruch hinreißen ließ, er wolle den „Spirit“ von Silicon Valley nach Deutschland holen. Wenn es um den Ausbau der digitalen Technik geht, so bedarf Deutschland dringend der Inspiration von außen. Denn längst besteht das Internet aus mehr als dem Verschicken von E-Mails und der Erlangung von Informationen. Auch betrifft es nicht nur die Privathaushalte, die sich derzeit darüber ärgern, dass mehrere große Telekommunikationsunternehmen nach Nutzung eines vertraglich festgelegten Datenvolumens die Internetgeschwindigkeit drastisch drosseln, so dass beispielsweise das Abspielen eines Films aus einer Online-Videothek nicht mehr störungsfrei möglich ist.

Immer mehr Firmen nutzen das Netz und sind darauf angewiesen, dass ihre Daten schnell genug von A nach B übertragen werden. In einer Welt, in der inzwischen sogar Traktoren Daten versenden und Lager selbstständig Nachschub ordern, Kundendaten auf sogenannten Clouds bei fremden Unternehmen auf Servern lagern und von dort schnell abgefragt werden müssen und ganze Maschinenparks via Internet miteinander kommunizieren, ist eine schnelle Datenübertragung enorm wichtig. Und vor allem wird sie noch wichtiger, denn die Welt vernetzt sich immer mehr. Da ist es keineswegs rühmlich, dass Deutschland bisher diese digitale Infrastruktur genauso vernachlässigt hat wie seine Straßen. Während auf letzterer die Waren transportiert werden, nimmt die Bedeutung der Datenautobahnen bei der Produktion, aber auch bei der Lieferung immer mehr zu. Die Informationstechnologie gilt als sogenannte Querschnitttechnologie, weil sie fast alle anderen Branchen beeinflusst. Ohne Internet ist auch diese Zeitung nicht mehr zu produzieren. Fotos werden bei Bildagenturen online gekauft, die fertige Zeitung wird digital an die Druckerei geschickt.

Ein schnelles Internet wird immer wichtiger, da es immer mehr Teil der Produktionsabläufe wird. Daher hat Noch-Wirtschaftsminister Rösler auch eine Studie beim TÜV Rheinland und der TU Dresden in Auftrag gegeben, deren Ziel die Ermittlung der Kosten für einen vollständigen Ausbau des Breitbandens, also eines schnellen Internets, war. Doch die „50 Mbit/s für alle“ sind deutlich teurer als „Freibier für alle“. Würde man alle deutschen Haushalte mit Glasfaserkabeln versorgen, kostete das 93 Milliarden Euro. Eine nicht nur auf Kabel, sondern auch auf Funk setzende Breitbandtechnologie wäre dagegen deutlich günstiger. So rechnen die Studienmacher mit 20 Milliarden Euro, wobei der Anschluss der letzten fünf Prozent der Haushalte, die fernab großer Siedlungen sind, alleine acht Milliarden Euro verschlingen würde.

Diese Kosten wollen aber die Telekommunikationsunternehmen nicht alleine tragen. Sie sehen sich von der Politik, hier vor allem aus Brüssel, gegängelt. „Im Gegensatz zu den USA hat Europa bis heute nicht verstanden, dass ohne wettbewerbsfähige Telekommunikations- und Internetbranche auch der industrielle Kern Europas an seiner Wettbewerbsfähigkeit verliert“, klagt Timotheus Höttges, Finanzvorstand und künftiger Vorstandschef der Deutschen Telekom im „Handelsblatt“. Niedrige Preise und Verbraucherschutz seien der Politik wichtiger als zukunftsweisende Investitionen, kritisiert die ganze Branche und verweist auf den Umstand, dass es in den USA bei 300 Millionen Einwohnern nur fünf nationale Netzbetreiber gebe, die aufgrund ihrer Größe auch dementsprechend Geld investieren können. In Europa, mit seinen 510 Millionen Einwohnern, gebe es hingegen 200 nationale Netzanbieter. Diese würden zudem nur insgesamt zehn Prozent des weltweiten Umsatzes in ihrer Branche generieren. Als Beispiel für die geschäftsschädigenden Regulierungen aus Brüssel nennt die europäische IT-Branche den gesetzlich festgelegten Wegfall der Roaming-Gebühren, sprich die Gebühren für Handygespräche und Nachrichten im Tarif-Ausland. Ein Einnahmewegfall von sieben Milliarden Euro würde so entstehen, Geld, das für den auch inzwischen von der Politik geforderten Breitbandausbau fehlen würde.

Für Neellie Kroes, EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, sind all das nur faule Ausreden. Sie ist überzeigt, Europas Telekommunikationsunternehmen hätten an Innovationskraft verloren und würden alte Geschäftsmodelle verteidigen. Aber auch die Niederländerin beklagt, dass Europa in zig „nationale Telekom-Fürstentümer“ aufgeteilt sei, was einen europaweiten Ausbau des Breitbandes erschwere. Dass es in Europa so viele Telekommunikationsunternehmen gibt, ist allerdings nicht nur eine Folge des Fehlmanagements in den Konzernen selber, sondern ist auch mit bedingt durch die Politik der EU und der nationalen Regierungen.

Und während sich derweil die verschiedenen Parteien gegenseitig die Schuld zuschieben, vollziehen sich die Innovationen anderswo. Allerdings soll der Ausbau des Breitbandes auch ein Thema bei den Verhandlungen zur Großen Koalition sein. Wie viel die neue schwarz-rote Regierung bereit ist, den Telekommunikationsunternehmen dazuzugeben, wird sich demnächst zeigen. Die von Rösler bestellte Studie nennt zwei Milliarden Euro als Minimum. Rebecca Bellano


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