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02.11.13 / Der Löffel war zu kurz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-13 vom 02. November 2013

Der Löffel war zu kurz
von Jan Heitmann

Politik ist nach heutigem Verständnis jegliche Art von einflussnehmenden Handlungen, die auf die Gestaltung des Gemeinwesens im Ganzen abzielen. Der Begriff leitet sich vom griechischen „polis“ (Stadtstaat) ab und bezeichnet im klassischen Sinne das, was alle Bürger betrifft. Politik als Staatskunst ist zu wichtig, als dass sie den Berufspolitikern überlassen werden sollte. Jenen also, die persönliches Machtstreben, Partei- und Lobbyinteressen über das Gemeinwohl stellen. Die auf wohldotierten Posten schon lange die Nähe zu den Bürgern und den Bezug zur Realität außerhalb der protzigen Parlaments- und Regierungsbauten verloren haben. So lauten zumindest die gängigen Vorurteile über diese Kaste, die von deren eigenen Angehörigen leider allzu oft zum Schaden der „polis“ bestätigt werden.

Umso erfreulicher ist es, wenn sich ein Seiteneinsteiger traut, in den eingefahrenen Politikbetrieb einzubrechen. Wenn einer, der im „richtigen“ Leben steht, Ideale, Ideen, Kreativität und Perspektiven in die Staatskunst einbringt. So eine ist Susanne Gaschke (SPD), oder besser, sie wollte es sein. Knapp ein Jahr nach ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel ist sie an eben diesem Politikbetrieb gescheitert. Nicht weil sie eine Seiteneinsteigerin, sondern weil sie eben nichts anderes als eine Seiteneinsteigerin war. Als langjährige Re­dakteurin der Wochenzeitung „Die Zeit“ und Ehefrau eines SPD-Bundestagskandidaten war sie gewiss kein unpolitischer Mensch, aber eben ohne praktische Politikerfahrung. Sie wollte einen neuen Politikstil ohne kleinliche Rituale praktizieren, entscheiden, statt über Entscheidungen zu dis-kutieren. Der von ihr in einsamer Entscheidung im Eilverfahren durchgezogene Steuerdeal mit einem Zahnarzt war offensichtlich rechtswidrig. Aber eine kostspielige Fehlentscheidung ist noch lange kein Grund für einen Amtsverlust, selbst wenn die Folgen ganz andere Dimensionen annehmen, siehe Wowereit.

Ihr fehlte in der Krise einfach die Abgebrühtheit erfahrener Politiker, um die harsche Kritik, die selbst aus den eigenen Reihen kam, souverän zu parieren. Stattdessen führte sie ein hochnotpeinliches Verteidigungsgefecht, das mit einer von unerträglicher Selbstgerechtigkeit begleiteten Niederlage endete. Gaschke ist weniger an einem Fehler als am allgemein gepflegten Politikstil und letztlich auch an ihren eigenen Ansprüchen gescheitert.

Auch Bertolt Brechts „Mutter Courage“ glaubte, alle Schwierigkeiten meistern zu können. Als die Katastrophe dann doch hereinbrach, sagte der Feldgeistliche zu ihr: „Wer mit dem Teufel frühstücken will, muss einen langen Löffel haben.“ Wie „Mutter Courage“ glaubte Susanne Gaschke, einen Löffel zu haben, der lang genug ist, sich nicht am heißen Kessel zu verbrennen. Und doch: Unser Land braucht Seiteneinsteiger wie Susanne Gaschke. Engagierte Menschen, die keine Partikularinteressen verfolgen, sondern das Gemeinwesen zu dessen Bestem gestalten wollen. Politiker im wahren Wortsinn also.


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