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02.11.13 / Das kam ihm fremd vor / Vor 100 Jahren geboren – Literaturnobelpreisträger Albert Camus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-13 vom 02. November 2013

Das kam ihm fremd vor
Vor 100 Jahren geboren – Literaturnobelpreisträger Albert Camus

Als deutsche Truppen in Frankreich einmarschierten, beendete ein junger Journalist einen Roman, der ihn mit einem Schlag zum Star der französischen Literaturszene er­hob. Die Handlung über einen Mörder, der wie aus dem Nichts heraus ohne Motiv und nur weil ihn „die Sonne geblendet“ habe, einen Araber erschießt, interpretierten viele Leser damals als Parabel auf den Blitzkrieg.

Tatsächlich griff der Autor Albert Camus in seinem 1940 entstandenen, aber erst zwei Jahre später erschienenen Roman „Der Fremde“ philosophische Themen über die Absurdität des Lebens und Entfremdung des Ichs von der Welt auf. Weil der Ich-Erzähler Meursault so seltsam gefühllos und derart distanziert von seinem Verbrechen berichtet, als beträfe ihn das Ganze nicht, erscheint das Missverhältnis zwischen dem Tä­ter und der Tat umso erschreckender. Die Diskrepanz von persönlichen Zielen und Ergebnissen der Realität konnten die Franzosen in den Kriegsjahren am eigenen Leib spüren, als eine fremde Macht ihr alltägliches und politisches Leben bestimmte.

Camus traf den Nerv der Zeit vielleicht auch deshalb, weil er als Kolonialfranzose einen distanzierten Blick auf Frankreich hatte und sich dort selbst wie ein „Fremder“ vorkam. Am 7. November 1913 wurde er im algerischen Weinanbaugebiet Mondovi geboren, wohin es seinen aus Südfrankreich stammenden Vater verschlagen hatte. Als dieser im Ersten Weltkrieg fiel, wuchs der Sohn in einem Kleine-Leute-Viertel Algiers bei der spanischstämmigen Mutter auf. Da er sich wegen ihres Analphabetismus schämte, stürzte er sich mit umso größerem Eifer auf die Bücher. Camus studierte in Algier Philosophie und entwickelte hier seine Theorie des Absurden, die er 1942 in „Der Mythos von Sisyphos“ ausbreitete. Der Essay beginnt bereits mit dem programmatischen Satz: „Es gibt nur ein wirklich ernstes Problem: den Selbstmord.“ Seine Überzeugung, das Leben sei illusionslos und gottlos, brachte ihm den Ruf eines Existenzialisten ein. Camus bestritt das stets. Es war Jean-Paul Sartre selbst, der „Der Fremde“ als wichtigstes Werk des Existenzialismus feierte. In Camus sah er anfangs einen philosophischen und politischen Weggefährten, war dieser doch ebenfalls Kommunist und – nach einer journalistischen Tätigkeit in Paris – Widerstandskämpfer.

Doch als sich Camus nach dem Krieg vom Marxismus lossagte, ging Sartre auf Distanz zu ihm. Camus’ 1947 erschienener Roman „Die Pest“ wurde von Sartre verrissen. Auch hier kann die Pest, die in der algerischen Stadt Oran aus heiterem Himmel ausbricht, sowie deren Bekämpfung als Pa­rabel von Krieg und Résistance wie auch über die Gefahr eines Atombombenkriegs gelesen werden. Doch eine Pest ganz zu bekämpfen sei eine Illusion, stellt Camus fest: „Ich habe genug von den Leuten, die für eine Idee sterben, mich interessiert nur noch, von dem zu leben und an dem zu sterben, was ich liebe.“

Camus’ Absage an Ideologien kam bei den Pariser Salonrevolutionären um Sartre, de Beauvoir, Gide oder Breton nicht gut an. Camus blieb unter den Pariser Intellektuellen ein Fremder. Gerade auch wegen seines unabhängigen Geistes wurde ihm 1957 der Nobelpreis zuerkannt, den er im Gegensatz zu Sartre, der ihn 1964 ablehnte, auch annahm. Viel hatte er nicht davon. Drei Jahre später starb Camus als Beifahrer eines Luxuswagens, den der Neffe seines Verlegers frontal gegen einen Baum steuerte. Harald Tews


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