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02.11.13 / Vergessene »Männerversteherin« / Ungewöhnliches Porträt der Schriftstellerin Caroline Schlegel-Schelling, die vor 250 Jahren geboren wurde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-13 vom 02. November 2013

Vergessene »Männerversteherin«
Ungewöhnliches Porträt der Schriftstellerin Caroline Schlegel-Schelling, die vor 250 Jahren geboren wurde

Vor 250 Jahren wurde Caroline Schlegel-Schelling 1763 in Göttingen als Tochter des Orientalisten Michaelis geboren. Unter den sogenannten Universitätsmamsellen, einem Freundinnenkreis von Professorentöchtern, war sie die Aufgeweckteste und führte ein entsprechend bewegtes Leben. In diesem haben alle Formen des Miteinanders von Mann und Frau ihre Spuren hinterlassen. Das beginnt mit der Zweck-gemeinschaft der ersten Ehe, führt zur Leidenschaft für einen unzuverlässigen Mann und vollendet sich über den Weg der Freundschaftsehe mit August Wilhelm Schlegel und in der freundschaftlichen Liebe zu Friedrich Schelling.

Der entscheidende Umbruch ihres Lebenslaufes kündigt sich an, als sich die junge Witwe mit ihrer Tochter Auguste – zwei andere Kinder sind bereits verstorben – 1792 im brodelnden Mainz niederlässt, um ihr Auskommen mit Näharbeiten und Übersetzungen zu bestreiten. Als Therese, eine Jugendfreundin aus Göttinger Tagen, ihren Ehemann, den Naturforscher und Reiseschriftsteller Georg Forster, verlässt, übernimmt Caroline bei diesem die Rolle einer „moralischen Krankenwärterin“. Die damit einhergehenden Verdächtigungen erträgt sie mit erstaunlicher Gelassenheit, „..weil ich selten frage, wie kan das andern erscheinen“. Ihr durch die Wirren der Mainzer Republik und die darauffolgende Haftzeit beschädigter Ruf kann durch die Ehe mit August Wilhelm Schlegel wieder hergestellt werden. Goethe und Wilhelm von Humboldt setzen sich für sie ein.

Sabine Appel lässt in ihrer Biografie „Caroline Schlegel-Schelling. Das Wagnis der Freiheit“ den Zauber der Persönlichkeit von Schlegel-Schelling lebendig werden und bettet ihre Leben in eine ausgewogene Beschreibung der Verhältnisse ein. „Das Wagnis der Freiheit“ von dem der Untertitel spricht bleibt immer als Gefährdung gegenwärtig. Appel erfindet keine emanzipatorische Legende, sondern geht den Spuren nach, wobei sie nicht umhin kommt, immer wieder die Männer, an denen sich Carolines Wesen widerspiegelt, genauer in den Blick zu nehmen. Die Charakterbilder von Forster und den Schlegel-Brüdern geben den Rahmen ab, innerhalb dessen Carolines Handlungen verständlich werden. Dabei ist die Rede von einer „Männerversteherin“.

Grundlage ihres Verständnisses war eine entschieden behauptete weibliche Position. Eine außergewöhnliche schriftstellerische Begabung, welche ihr August Wilhelm Schlegel attestierte, hat sie kaum für eigene Werke verwertet. Nur Entwürfe und kleinere Schriften sind überliefert. Darin unterscheidet sich ihr weibliches Selbstbewusstsein wesentlich vom Selbstverwirklichungsfuror der Dorothea Veit, Therese Forster oder Bettina Brentano. Caroline vermeidet den ungleichen Wettbewerb und bewahrte sich ihren Instinkt. Damit hat sie im Verborgenen weit mehr bewirkt und ermöglicht als jene in ihrer pseudomännlichen Verspanntheit. Sie wurde zur treibenden Kraft von Schlegels Shakespeare-Übersetzungen. Die Legende korrigiert sich, derzufolge den Frauen in geistigen und kulturellen Belangen über Jahrhunderte kein entscheidender Beitrag zu leisten vergönnt war. Der Beitrag wird an der falschen Stelle gesucht. Die bedeutendsten Frauen der europäischen Geistesgeschichte exponierten sich freilich nicht äußerlich. Sie waren wie Caroline mit ihren Männern an der Wurzel des Schaffens tätig, hielten so die Quelle rein, aus der diese Beiträge vordrangen.

Sabine Appel ist es in ihrem Buch gut gelungen diesen verborgenen Rang darzustellen. Ein Rang, der schon zu Lebzeiten immer wieder Anfechtungen ausgesetzt war. Eine ebenso vitale, gebildete und lebenskluge Person wie Caroline forderte wiederholt Unglimpf und Neid heraus. Die schwierigen Lebensverhältnisse mit den Schlegel-Brüdern, Dorothea Veit und Schelling werden mit der nötigen Delikatesse entfaltet. Der Anspruch von Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit scheitert hier zuletzt in der kleinsten Revolution der Häuslichkeit, in der Jenaer Romantiker-Wohngemeinschaft der Brüder Schlegel samt ihren Frauen und Freunden. Nach dem tragischen Tod ihrer Tochter Auguste, von der behauptet wird, Goethe sei in Wirklichkeit der Vater, findet Schlegel-Schelling mit ihren letzten Mann, dem Philosophen Friedrich Wilhelm Schelling, den benötigen Frieden.

Die Bruchstücke von Werk und Leben Carolines können uns heute noch berühren, wenn sie mit dem Feingefühl und der Kenntnis dargestellt werden, wie sie dieses Buch aufweist. Sebastian Hennig

Sabine Appel: „Caroline Schlegel-Schelling. Das Wagnis der Freiheit“, C.H. Beck München 2013, gebunden, 287 Seiten, 19,95 Euro


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