25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
09.11.13 / Für Anpassung bestraft / Südtiroler Volkspartei verliert nach Jahrzehnten Mandat zur Alleinregierung – »Losvon Rom«-Parteien erstarkt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-13 vom 09. November 2013

Für Anpassung bestraft
Südtiroler Volkspartei verliert nach Jahrzehnten Mandat zur Alleinregierung – »Los von Rom«-Parteien erstarkt

Zwar können die drei Parteien, die eine Loslösung des knapp 512000 Einwohner zählenden Südtirols von Rom fordern, Stimmenzuwächse verbuchen, doch da sie unterschiedliche Alternativen anstreben, schwächen sie sich gegenseitig.

Man wird sich das Datum merken müssen: Am 27. Oktober 2013 haben Wähler im südlichen Teil Tirols eine der letzten Einparteien-Herrschaften beendet. Für die seit 1948 zwischen Brenner und Salurner Klause bestimmende Südtiroler Volkspartei (SVP) war das Wählervotum niederschmetternd. Erstmals verfügt sie im Bozner Landhaus, dem Landtag, nicht mehr über die absolute Mehrheit. Weder an Stimmen, bei denen sie in der Landtagswahl 2008 die Mehrheit eingebüßt hatte, noch an Sitzen. Sie hat bei 45,7 Prozent der Stimmen, einem Minus von 2,4 Punkten und somit einem Mandat, im neuen Landtag nur noch 17 der 35 Abgeordnetensitze inne.

Während die Partei mit dem für sie schwer verdaulichen Ergebnis hadert, blicken die Freiheitlichen (F), die Schwesterpartei der österreichischen FPÖ, frohgemut in die Zukunft. Sie verbesserten ihr Ergebnis von vor fünf Jahren um 3,6 Punkte und sind mit 17,9 Prozent und sechs statt wie bisher fünf Abgeordneten im Landhaus vertreten. Die Partei steht für den Ruf nach Eigenstaatlichkeit Südtirols nach dem Vorbild Liechtensteins.

Auch die Süd-Tiroler Freiheit (STF), die wie die F eine Loslösung von Italien verlangt, aber für die Vereinigung Südtirols mit dem österreichischen Bundesland Tirol eintritt, konnte ein sattes Plus von 2,3 Punkten verzeichnen: Auf sie entfielen 7,2 Stimmenprozente und drei Abgeordnete. Weshalb in Wien FPÖ-Vorsitzender Heinz-Christian Strache „den Südtiroler Freiheitlichen zu dem tollen Ergebnis“ gratulierte und sich auch „über das gute Abschneiden der Süd-Tiroler Freiheit höchst erfreut“ gab.

Zusammen mit der Bürger-Union (BU), die ebenfalls für die Selbstständigkeit Südtirols eintritt und bei 2,1 Stimmenprozenten einen Sitz einnimmt, verfügen die „Los-von-Rom“-Parteien über zehn Volksvertreter. Ihnen stehen drei Mandate der „interethnischen“ Grünen/Verdi (8,7 Prozent), fünf Vertreter „klassischer“ italienischer Links- und Rechts(außen)parteien sowie die 17 der SVP gegenüber. Deren Schlappe bedeutet mehr als es das bezifferte Minus ausdrückt: Sie ist nicht mehr die Mehrheitspartei der Südtiroler, nicht mehr die „Sammelpartei“, als die sie sich seit ihrer Gründung 1945 verstand.

Ein Teil der Stimmenverluste rührt gewiss von Korruptionsgerüchten her, welche die Endphase der „Ära Durnwalder“, des seit 24 Jahren Partei und Südtirol dominierenden – manche sagen domestizierenden – scheidenden 72-jährigen Landeshauptmanns und somit Regierungschefs Luis Durnwalder verdüsterten. Ein anderer Teil dürfte auf verbreitete Unzufriedenheit mit der überhandgenommenen Bürokratie, der Selbstherrlichkeit und der Großmannssucht zurückzuführen sein; Befunde, die besonders die zweite Hälfte seiner Amtszeit kennzeichnen. Der Aderlass hin zu F und STF ist aber auch dem Umstand zuzuschreiben, dass die SVP seit den 1990er Jahren alle deutsch-österreichisch gesinnten Patrioten Südtirols verprellte. August Heinrich Hoffmanns von Fallerslebens „Lied der Deutschen“, dessen Vers „Von der Etsch bis an den Belt“ Südtirolern besonders nach 1918 Rückhalt bot, hat daher zwischen Reschen und Dolomiten merklich an Klangwirkung verloren. Stattdessen biederten sich nicht nur die führenden SVP-Funktionäre den ethnischen Italienern im Lande und deren linken Parteien an. Kompromisslerisch-leisetreterisch, wie sie in und gegenüber Rom meist auftreten, so verhalten sie sich im Allgemeinen stromlinienförmig und weithin politisch-korrekt. Schließlich steht ihr Konzept von der „Vollautonomie“ all den Erfahrungen entgegen, die die SVP als Regierungspartei in den letzten Jahren zu gewärtigen hatte. Denn was gemäß mühsam erkämpften, im Autonomiestatut von 1972 festgeschriebenen sowie nach der österreichisch-italienischen Streitbeilegung von 1992 noch ausgeweiteten Selbstverwaltungskompetenzen eigentlich verbrieftes Recht ist, wird von Rom und dessen Statthaltern an Eisack und Etsch mäßig oder gar nicht vollzogen, verschleppt oder einfach ignoriert.

Wenn es eines nachhaltigen Beweises für die Missachtung statuarischer Bestimmungen durch die römische Politik bedurfte, so lieferte ihn „Übergangsregierungschef“ Mario Monti, als vormaliger EU-Kommissar ein „Vorzeigepolitiker des demokratischen Italien“, der ungeniert in die Selbstverwaltungsrechte der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol eingriff. Monti ist zwar wieder Geschichte, doch unter Enrico Letta, dem am Faden von Berlusconis gespaltenem PdL hängenden Ministerpräsidenten, mit dessen linkslastiger Partito Democratico (PD) SVP-Parteichef Richard Theiner – erstmals – ein Bündnis in Rom einging, wird der römische Griff nach den Subsidien der „reichen Provinz“ unterm Alpenhauptkamm kaum nachlassen. Deren Prosperität ist allerdings längst nicht mehr so wie einst. Doch Lettas Hand ist geschmeidig und sein Ton moderater als der Berlusconis und selbst Montis gegenüber der „Provincia Autonoma di Bolzano – Alto Adige“, wie Südtirol aufgrund der Zugehörigkeit zu Italien formell heißt. Während dort seit Silvius Magnago (1914–2010; Landeshauptmann 1960–1989; SVP-Obmann 1957–1992) ordentlich regiert und verwaltet wird, schieben Italiens Regierungen – ganz gleich, wer sie stellte – seit Jahrzehnten einen Schuldenberg vor sich her, der sich an 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bemisst. Was der von der heutigen SVP quasi in „vorauseilendem Gehorsam“ unterstützte Letta daher finanz-, steuer-, und sozialpolitisch zu beschreiten gezwungen ist, wird letztlich Magnagos, des „Vaters der Südtirol-Autonomie“, mühsam gezimmerte Selbstverwaltung weiter entwerten.

Aus alldem und anderem mehr leitet sich für die deutschtiroler Opposition zwingend ab, dem maroden Italien ein für allemal den Rücken zu kehren. Für SHB und STF, auch für den Schützenbund (SSB) ist die Autonomie allenfalls ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Wiedervereinigung mit dem österreichischen Bundesland Tirol. Gemeinsam ist STF, F und BU nur das „Weg von Italien“, aber über den zu beschreitenden Weg gehen die Ansichten auseinander. Daher finden sie auch nicht zur nötigen Geschlossenheit oder sei es nur zu einer gemeinsamen „Plattform“, wie sie Pius Leitner (F) anregte. Gemeinsam kämpfen sie gegen die SVP, aber jeder kämpft für sich allein. Für das Fernziel Eigenständigkeit in einem Freistaat, wie ihn die F, oder für die über Ausübung des Selbstbestimmungsrechts erwirkte Wiedervereinigung mit Österreich, wie ihn STF und BU propagieren, mithin also für die Loslösung von Italien, ist die Aufsplitterung der oppositionellen Kräfte allerdings mehr als hinderlich.

Das „Los von Rom“ hatte alle Wahlkampfthemen überlagert. Dies rührte maßgeblich vom seit 1. September bis 30. November quasi parallel laufenden „Selbstbestimmungs-Referendum“ her, welches von der STF betrieben wird, beflügelt von Unabhängigkeitsbewegungen in Schottland und Katalonien – um nur zwei zu nennen – und unterstützt von der österreichischen FPÖ. Auffällig massiv warnte davor die SVP: Sie und die wie ihr Parteiorgan agierende Zeitung „Dolomiten“ vereinnahmten die „Schwesterparteien“ CDU und CSU, namentlich Edmund Stoiber und Angela Merkel; ja selbst Reinhard Schäfer, der aufgrund diplomatischen Status’ eigentlich zu parteipolitischer „Neutralität“ verpflichtete deutsche Botschafter in Rom, ließ sich – pflichtwidrig – einspannen.

So befand der ehemalige bayerische Ministerpräsident, die SVP sei „genau auf dem richtigen Weg“. Und die Kanzlerin stimmte der von Durnwalder-Nachfolger Arno Kompatscher vorgetragenen „Vollautonomie“-Konzeption – alle Kompetenzen nach Bozen, lediglich Außenvertretung und Militärwesen sollen in der Zuständigkeit Roms verbleiben – und der „Zukunft Südtirols in einer Zusammenarbeit der Regionen in Europa“ pflichtschuldigst bei. Diese parteigeschwisterlich-transalpine Hilfestellung ist umso verständlicher, je größer die Not der SVP wird. Der Ruf nach Ausübung des Selbstbestimmungsrechts war seit den 1960er Jahren in Südtirol noch nie so deutlich zu hören wie jetzt. Die (Wieder-)Belebung der Selbstbestimmungsidee ist nicht nur Folge des politischen Chaos und der ökonomisch-sozialen Krise Italiens, sondern auch eines unübersehbaren Trends: Der Drang gewachsener Volksgruppen und ethnischer Minderheiten in fremdnationaler Umgebung in Richtung Selbstständigkeit wird immer stärker. Und man darf erwarten, dass – trotz (oder gerade wegen der) EU(ropäisierung) daraus neue Staaten entstehen. Die eigennützige ideologische Warnung aus der SVP und aus den Reihen anderer „EUropäischer Realisten“ überzeugt keineswegs: Selbstverständlich sind Grenzverschiebungen möglich und nötig, bisweilen sogar zwingend geboten, wie an der Sezession Jugoslawiens und der Auflösung der Tschechoslowakei zu sehen war.

Statt dagegen zu Felde zu ziehen, täte die SVP gut daran, die wachsende Unzufriedenheit im Lande mit der in St. Germain-en-Laye 1919 erzwungenen und in Paris 1946 wider das Recht auf Selbstbestimmung erneuerten Zugehörigkeit zu Italien ernster zu nehmen. Zwar führt sie die Selbstbestimmung noch schamhaft im Programm, hat sie aber als Ziel längst aufgegeben, weshalb ihr volkstumspolitischer Parteiflügel bis zur Unkenntlichkeit verkümmerte. Umso leichter wird es daher ihrem mit der verlorenen Wahl neuen Dominator Kompatscher fallen, sich unter den beiden zur Verfügung stehenden potenziellen Koalitionspartnern, den multikulturellen Verdi-Grünen sowie dem linken PD, mit dem die SVP in Rom ohnedies bündnisvertraglich vereint ist, den „bequemeren“ auszusuchen. Und den von ihr wider besseres Wissen propagierten Weg in die „Vollautonomie“, ihre Lebenslüge, weiter zu beschreiten: Mit dem längst ersichtlichen Assimilations-Zwischenschritt der „Ver-elsässerung“ bis zum bitteren Ende, dem Aufgehen in der völligen Italianità – wenn sie die merklich veränderte Stimmung im Lande und die Parteien des „Los von Rom“ nicht doch noch zur läuternden Umkehr zwingen. Reinhard Olt

Der Autor war von 1994 bis 2012 Korrespondent der „FAZ“ in Wien, lehrt Zeitgeschichte an der Fakultät für Mitteleuropäische Studien der Deutschsprachigen Andrássy-Universität in Budapest.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren