29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
09.11.13 / In den Klauen der Blutroten / Anne Applebaum über Osteuropa unter der Fuchtel der Sowjets

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-13 vom 09. November 2013

In den Klauen der Blutroten
Anne Applebaum über Osteuropa unter der Fuchtel der Sowjets

An einem Wintertag zu Beginn der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde der polnische Rundfunkredakteur Andrzej Zalewski zum Chef seiner Radioanstalt zitiert. Anlass war eine Wettermeldung, die besagte: „Eine Kaltfront nähert sich von Russland.“ Zalewski musste sich eindringlich belehren lassen, „dass von Osten nur warme, gute Dinge kommen.“ Diese Episode illustriert perfekt den Orwellschen Wahnsinn, der in den Ländern hinter dem „Eisernen Vorhang“ herrschte. Überliefert wird sie in Anne Applebaums fesselndem Werk „Der Eiserne Vorhang. Die Unterdrückung Osteuropas 1944 bis 1956“ über die Zustände im sowjetisch beherrschten Osteuropa, in dem viele solcher Zeitzeugen wie Zalewski zu Wort kommen. Andererseits hat die in Wa-shington geborene Historikerin, Journalistin und Pulitzer-Preisträgerin, welche mit dem polnischen Außenminister Radek Sikorski verheiratet ist, aber auch zahlreiche schriftliche Quellen in mittel- und osteuropäischen Archiven ausgewertet, insonderheit in Polen, Ungarn und auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Deshalb konzentriert sie sich in ihrer Schilderung, die die brutale Energie und Systematik aufzeigen soll, mit der die Herrschaft des Kommunismus unter sowjetischer Fuchtel etabliert wurde, auch vorrangig auf diese drei Länder.

Applebaum beginnt mit einer ungeschönten Beschreibung der rechtlosen Verhältnisse, welche den Vormarsch der Roten Armee ab 1944 begleiteten und noch lange nach Kriegsende fortbestanden. Und sie demonstriert anhand zahlreicher Beispiele, dass sich der Terror der Sowjets und ihrer einheimischen Helfershelfer keineswegs nur gegen Deutsche richtete, sondern auch gegen Juden, Intelligenzler und Kleriker. Deshalb fällt es dem Leser ausgesprochen schwer, einen qualitativen Unterschied zu dem zu erkennen, was zuvor unter nationalsozialistischer Besatzung Usus gewesen war.

Desweiteren enthält das Buch, an dem Applebaum immerhin sechs Jahre gearbeitet hat, sehr detaillierte und aufschlussreiche Aussagen über die Etablierung von Geheimpolizeien nach sowjetischem Vorbild. Hier spürt man besonders deutlich, dass die Autorin aufgrund ihrer persönlichen Beziehungen Zugang zu bisher verschlossenen Archiven in Osteuropa hatte. So kann sie unter anderem darlegen, wie die Sowjets schon im Herbst 1940 damit begannen, Kader für die spätere polnische Staatssicherheitsbehörde UB auszubilden.

Breiten Raum nimmt außerdem auch die ideologische Indoktrination und Gängelung der Menschen hinter dem „Eisernen Vorhang“ ein. Kenntnisreich wie kaum ein zweiter westlicher Autor vor ihr beschreibt Applebaum die totalitäre Durchdringung der Gesellschaft zum Zwecke der Schaffung eines willfährigen „Homo sovieticus“, und lässt dabei keinen wesentlichen Bereich des Alltagslebens aus. Dadurch entsteht ein Bild, das sich enorm von dem unterscheidet, welches linksgerichtete Historiker – auch und gerade in der heutigen Bundesrepublik – vom „real existierenden Sozialismus“ zu zeichnen pflegen.

Die Darstellung endet mit Ausführungen über den antikommunistischen Widerstand in der DDR, Polen und Ungarn, der 1953 beziehungsweise 1956 in einer veritablen Revolution oder zumindest Arbeiteraufständen mündete, die damals noch von den Sowjets und ihren Satelliten niedergeschlagen werden konnten.

Betrachtet man das Buch in seiner Gesamtheit, so stößt man immer wieder auf die explizit oder implizit gestellte Frage, warum der Westen hier so nachgiebig verharrte und zudem ein Land wie Polen, wegen dem Großbritannien und Frankreich Deutschland noch vor wenigen Jahren den Krieg erklärt hatten, einfach aufgab. Applebaums Antwort hierauf lautet, dass die Regierungen in Washington und London sowohl von Naivität als auch von Pragmatismus und oft sogar von Fatalismus gelenkt worden seien. Dahingegen verneint sie die Möglichkeit einer Einflussnahme von Seiten der reichlich vorhandenen Sowjetsympathisanten. Dies freilich kann man auch durchaus anders sehen. Wolfgang Kaufmann

Anne Applebaum: „Der Eiserne Vorhang. Die Unterdrückung Osteuropas 1944 bis 1956“, Siedler, München 2013, geb., 639 Seiten, 29,99 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren