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16.11.13 / Keine Angst vor Karlsruhe / Bundesverfassungsgericht zögert Entscheidung über Euro-Rettungsmaßnahmen hinaus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-13 vom 16. November 2013

Keine Angst vor Karlsruhe
Bundesverfassungsgericht zögert Entscheidung über Euro-Rettungsmaßnahmen hinaus

Das Bundesverfassungsgericht wird nicht mehr in diesem Jahr über den Euro-Rettungsschirm entscheiden. Die Kläger werfen ihm Verzögerungstaktik vor. Befürworter der Gemeinschaftswährung dürften das dagegen begrüßen. Grund zu ernsthafter Sorge, dass das Gericht die Rettungspläne kippen könnte, haben sie wohl nicht.

Eigentlich wollte das Bundesverfassungsgericht in diesem Herbst über die Rechtmäßigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und des Ankaufs von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) entscheiden. Doch das Gericht hat die Entscheidung für unbestimmte Zeit vertagt. Dies sei „kein Prozess, der gut strukturierbar“ sei, teilte ein Gerichtssprecher mit. Da offiziell kein Verhandlungstermin genannt worden sei, handele es sich nicht um eine Verschiebung. Bei der in Karlsruhe anhängigen Verfassungsbeschwerde geht es um die Frage, ob der ESM gegen das deutsche Haushaltsrecht verstößt und somit verfassungswidrig ist. Auch müssen die Verfassungsrichter entscheiden, ob die Staatsanleihekäufe durch die EZB eine unzulässige Staatsfinanzierung darstellen. Sollte das Bundesverfassungsgericht den ESM für verfassungswidrig erklären, würde die gesamte Strategie der EU zur Rettung der Gemeinschaftswährung hinfällig werden. Der Klage war ein Eilantrag in gleicher Sache vorausgegangen, den das Bundesverfassungsgericht im Juni dieses Jahres abwies, weil es keine Dringlichkeit sah, die Beschlussfassung zum ESM zu blockieren.

Euro-Kritiker wie der AfD-Sprecher Bernd Lucke sehen dagegen durchaus eine Eilbedürftigkeit gegeben und fordern das Bundesverfassungsgericht auf, „endlich Farbe zu bekennen“. Der Bundestag habe den ESM in nur wenigen Tagen beschlossen und Bürgern, die dagegen klagten, müsse in angemessener Zeit zu ihrem Recht verholfen werden, so Lucke. Die Euro-Enthu-siasten in den EU-Hauptstädten dagegen werden sich über die Verzögerung freuen, denn in der Zwischenzeit dürften in Sachen ESM immer mehr Fakten geschaffen werden, die auch das Bundesverfassungsgericht nicht mehr rückgängig machen kann. Die Verzögerung gibt dem Gericht zudem die Möglichkeit, die Entwicklung der Euro-Krise abzuwarten und seine Entscheidung darauf auszurichten. Sollte sich die Lage bessern, könnte es strengere Auflagen machen, ohne einen Zusammenbruch der Euro-Zone zu provozieren. Im anderen Fall könnte es die EU-Pläne zur Euro-Rettung mit „weichen“ Auflagen billigen.

Wie auch immer, der Gedanke an die höchstrichterliche Entscheidung muss bei den Protagonisten der Euro-Rettung keine Sorgenfalten hervorrufen, denn die Person des Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle bürgt für ein ihnen im Ergebnis genehmes Urteil. Die bisher unter seiner Ägide erfolgte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Euro lässt vermuten, dass es, begleitet von zahlreichen Bedenken und Auflagen, seine grundsätzliche Zustimmung zur weiteren Abgabe von Souveränitätsrechten an die EU geben wird – unter Bedingungen selbstverständlich, die der Bundestag erfüllen kann, ohne dass die Rettungspläne grundsätzlich verändert werden müssten. Berufliche Wegbegleiter zollen dem 1963 geborenen Voßkuhle als brillantem Juristen und erstklassigem Hochschullehrer hohen Respekt, manche halten ihn aber auch für einen angepassten Karrieristen. Voßkuhles beruflicher Aufstieg ist in der Tat außergewöhnlich. Nachdem er sich mit 29 Jahren durch eine herausragende Dissertation für die akademische Laufbahn qualifiziert hatte, blieb ihm die übliche universitäre Ochsentour erspart. Bereits mit Mitte 30 zum ordentlichen Professor und Institutsdirektor ernannt, wurde er 2004 Dekan der juristischen Fakultät der Universität Freiburg und im April 2008 Rektor der Universität, um nur wenige Wochen später als Richter an das Bundesverfassungsgericht zu gehen, dessen bislang jüngster Präsident er seit März 2010 ist.

Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Euro-Rettung vom September 2011 wird Voßkuhles Taktik erkennbar. Nach wortreicher Beschwörung der verfassungsmäßigen Rechte der Kläger sowie Bekräftigung der Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten und der Haushaltshoheit des Bundestages vollzieht das Gericht in seiner Urteilsbegründung einen bemerkenswerten Schwenk. Denn dann ist von der „Konzeption der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft“ die Rede und davon, dass „die strikte Beachtung der Bestimmungen der europäischen Verträge“ gewährleiste, dass die Handlungen der EU „in und für Deutschland über eine hinreichende demokratische Legitimation“ verfügten. Und schließlich wird als sicheres Schlupfloch ein „Einschätzungsspielraum“ des Bun­destages präsentiert, den das Bundesverfassungsgericht zu respektieren habe. Da das Bundesverfassungsgericht diesen Spielraum nicht näher definiert, kann also letztlich keine Entscheidung des Bundestages falsch sein. Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen, und schon ist die Euro-Rettung möglich. Jan Heitmann


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