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16.11.13 / »Afghanistan war noch nie so unsicher« / Die Erklärungen der Bundesregierung zum Abzug gleichen denen der Sowjetunion 1989

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-13 vom 16. November 2013

»Afghanistan war noch nie so unsicher«
Die Erklärungen der Bundesregierung zum Abzug gleichen denen der Sowjetunion 1989

Mit Hilfe afghanischer Mitarbeiter errichtet, betreibt und unterstützt die „Kinderhilfe Afghanistan“ in den Ostprovinzen Afghanistans und in grenznahen Flüchtlingslagern Schulen, Gesundheitsstationen und Waisenhäuser. Der Gründer der Hilfsorganisation, Reinhard Erös, hält das künftige Engagement der Bundeswehr für militärisch bedeutungslos.

Der Oberstarzt a.D. Erös ist einer der besten deutschen Afghanistan-Kenner. Bereits in den 80er Jahren hatte er als beurlaubter Bundeswehrarzt den afghanischen Mudschaheddin im Kampf gegen die sowjetischen Besatzer beigestanden. Was die Bundesregierung jetzt zum Abzug der Bundeswehr verkünde, sagte Erös vor Kurzem bei einem Vortrag an der Berliner Humboldt-Universität, erinnere ihn an die Parolen der Russen bei ihrem Abzug vom Hindukusch im Jahr 1989: „Wir haben unsere sozialistische Bruderpflicht erfü̈llt und verlassen heute stolz ein stabiles Afghanistan mit einer von uns gut ausgebildeten Armee, die imstande ist, die Sicherheit des Landes zu gewährleisten.“ Die Realität sei anders gewesen, der Krieg unvermindert weitergegangen, nach ein paar Jahren hätten die Taliban die Macht übernommen.

Schon vor Jahren hatte Erös die Art des US-Militäreinsatzes in Afghanistan kritisiert. „Die Präsenz amerikanischer Truppen ist massiv kontraproduktiv. Sie ist nicht ein Teil des Problems, sie ist das Problem“, hatte er schon 2009 im Münchner Presseclub erklärt. Dabei hatte er besonders auf die hohe Zahl unschuldiger ziviler Opfer bei amerikanischen Militäraktionen gegen (nicht selten nur vermeintliche) Taliban verwiesen. Häufig hätten es US-Soldaten am nötigen Respekt vor den Afghanen fehlen lassen. Im Osten und Süden des Landes seien die Amerikaner als Besatzer betrachtet worden und inzwischen würden sie von 90 Prozent der einheimischen Bevölkerung „nicht nur abgelehnt, sondern gehasst“, erklärte Erös damals. Von ihrem Selbstverständnis her seien US-Kampftruppen keine „Nation builder“, sondern „Warriors“. Für darüber hinausgehende Aufgaben seien sie nicht ausgebildet.

In seinem 2008 erschienenen Buch „Unter Taliban, Warlords und Drogenbaronen“ hatte Erös eine Begebenheit geschildert, die einem heute noch den Atem verschlägt. Wenige Tage nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 in New York hatte ihn, so Erös, sein alter Freund Commander Zamon – ein Mudschaheddin-Kommandant – unter konspirativen Umständen in Bayern angerufen. Zamon habe angeboten, Osama bin Laden, dessen Versteck in den afghanischen Höhlen von Tora Bora man kenne, festzunehmen und an die Deutschen auszuliefern. Und zwar nur an die Deutschen, denn zu den US-Amerikanern habe man kein Vertrauen mehr. Diese hätten den Araber Osama bin Laden in den 80er Jahren unterstützt und 1994 „im Bunde mit ihren wahhabitischen pakistanischen und arabischen Freunden die Taliban in unser Land gebracht“, wird Zamon von Erös zitiert. Zamon habe mit der Auslieferung bin Ladens die bereits drohenden US-Bombardements verhindern wollen. Erös sollte einen Kontakt zur Bundesregierung herstellen, was er seinen Angaben zufolge auch über einen Mittelsmann tat. Im Ergebnis habe die Bundesregierung jedoch gekniffen. Osama bin Laden in deutschen Händen – das sei für die Bundesregierung „too heavy“, zu brisant gewesen.

Am 5. Dezember 2001 begann das schwere US-Bombardement. Wie Erös schreibt, erklärte ihm dazu ein alter Afghane: „Was seid ihr Ausländer doch für Dummköpfe! Ihr wollt einen einzigen Mann in die Hände bekommen. Und dafür bombardiert ihr seid Tagen unsere Dörfer. Wie töricht! Hier in Afghanistan gibt es ein altes Sprichwort: Wenn du eine Maus fangen willst, dann nimm eine Katze und keine Reiterherde!“ Osama bin Laden entkam bekanntlich nach Pakistan, wo ihn 2011 Soldaten eines kleinen US-Kommandos erschossen.

Erös gründete die „Kinderhilfe Afghanistan“, nahm 2002 vorzeitig seinen Abschied aus der Bundeswehr und ging nach der Beseitigung des Taliban-Regimes mit seiner Familie in das Land am Hindukusch, wo er 29 Schulen für tausende Kinder baute. Dabei verzichtete er von vornherein auf jeden militärischen Schutz, da die Präsenz ausländischen Militärs nur Gewalt anzöge. Seine Vorhaben in Afghanistan bespricht er auf Paschtunisch mit den Afghanen. Da er ihr Vertrauen genießt, hat es noch nie einen Anschlag auf seine Schulen gegeben.

Den Spruch des früheren Verteidigungsministers Peter Struck, Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt, nennt Erös „Humbug“. Deutschland sei noch nie von Afghanen bedroht gewesen. Im Unterschied zum radikalen saudi-arabischen Wahhabismus und den Salafisten sei der traditionelle afghanische Volksislam „nie expansiv und nie missionarisch, sondern unpolitisch und tolerant“. Unsicher sei Afghanistan heute vor allem, weil die Gewaltkriminalität dramatisch zugenommen habe.

Die Bundeswehr bezeichnete Erös als Hilfstruppe der Amerikaner „wie die Auxiliartruppen der Römer“. Auf die Frage der PAZ, welchen Sinn es habe, wie von der Bundesregierung geplant auch über 2014 hinaus noch 600 bis 800 Bundeswehrsoldaten in dem Land zu belassen, erklärte Erös, militärisch sei die Anwesenheit der Bundeswehr bedeutungslos. Sie sei völlig auf die US-Amerikaner angewiesen, da sie nicht einmal über Rettungshubschrauber zur Bergung von Verwundeten verfüge. Michael Leh


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