19.04.2024

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16.11.13 / Die Ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-13 vom 16. November 2013

Die Ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

als ich die Frage nach der ursprünglichen Besitzerin des alten evangelischen Gesangbuches in unsere Kolumne stellte, ahnte ich noch nicht, welche Folgen sich aus der Erwähnung eines einzigen ostpreußischen Ortsnamens ergeben sollten: Szillen/Schillen. Zuerst einmal große Freude, als sich Angehörige der Familie Sakuth meldeten, bei der ein Teil des Gesangbuches gedruckt worden war. Erste Überraschung: ein Foto von dem Geschäftshaus, das der Druckereibesitzer-Familie gehörte. Es zeigte auch die Ladenfront des Wäsche- und Bekleidungsgeschäftes Franz Roewer. Hierauf meldete sich ein Leser, der einen Kleiderbügel mit dem Firmennamen dieses Geschäftes besaß und diesen an Nachfahren des damaligen Geschäftsinhabers weitergeben wollte. Nun hatte ich über das Verlagshaus Sakuth als ein „für den kleinen Ort markantes Gebäude“ geschrieben, was den Kirchspielvertreter von Schillen, Herrn Walter Klink bewog, mir eine ganze Mappe mit alten Aufnahmen aus Schillen zu übersenden, aus denen ersichtlich wird, dass die Bezeichnung „klein“ für den fast 2000 Einwohner zählenden, drittgrößten Ort des Kreises Tilsit-Ragnit doch etwas tiefgestapelt ist. Legen wir also die Latte höher und bedanken uns bei Herrn Klink für die schöne Mappe, deren Fotos und Ortsplan der Präsentation „Schillen vor 1945“ entnommen sind. Das Original befindet sich in der Schule, und das hat seinen Grund. Herr Klink erfuhr auf einem Heimatbesuch im Jahr 2009, dass dortige Schüler, also junge Russen, am Kriegerdenkmal 1914 bis 1918 Blumen niedergelegt hatten. Dafür wollte er ihnen mit dieser Bildertafel in Russisch und Deutsch gehaltenen Textinformationen danken.

Mit welchen Attributen könnte man dann den Ort, wie er sich in deutscher Zeit dem Beschauer bot, denn versehen? Da hat der Ehrenvorsitzende der Kreisgemeinschaft Tilsit-Ragnet, Herr Albrecht Dyck, eine treffende Formulierung gefunden: „Szillen/Schillen blieb ein überschaubares, gemütliches Kirchdorf mit einem riesigen Marktplatz und allwöchentlichem regen Markttreiben.“ So seinem Buch mit dem etwas eigenwilligen Titel „Meine Heimat, aus der der Tilsiter Käse stammt“ entnommen. Und diese Heimat ist und bleibt für den heute 83-Jährigen sein Geburtsort Schillen, in dem er als Sohn eines Molkereibesitzers aufwuchs. Deshalb hat er dem Tilsiter Käse schon im Titel eine Plattform geboten, auf die er seine Kindheitserinnerungen stellt. Aber sie bilden nur einen, wenn auch sehr eindringlich und liebevoll geschilderten Teil seiner Biografie, die er seinen Kindern und Enkelkindern gewidmet hat, und in der er die Stufen seines Lebensweges – wie Flucht, Neubeginn, Berufsfindung, Heimstatt in der Lüneburger Heide – aufzeichnet. Was das Buch für uns Ostpreußen so lesens- und liebenswert macht, sind die eingestreuten erklärenden wie unterhaltenden Beiträge, die seine biografischen Aufzeichnungen ergänzen. So etwa das Vaterunser in ostpreußischem Platt oder das Gedicht der Königsberger Schriftstellerin Charlotte Wü­stendörfer „Der Wächter von Szillen“, das bereits vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben wurde. Mit diesem Gedicht, das die Vision eines Nachtwächters, dass Krieg und Vertreibung die Menschheit treffen werde, beinhaltet, hat sich der Ortsname „Szillen“ in die ostdeutsche Literatur eingeschrieben. Wer sich für das Buch, das schon viele Leserfreunde gefunden hat, interessiert, wende sich bitte an den Autor und Herausgeber Alfred Dyck, Teichstraße 17 in 29683 Bad Fallingbostel, Telefon (05162) 2046, E-Mail: albrecht.dyck@t-online.de

Herr Dyck steht mit seiner Biographie in unserem Leserkreis nicht alleine da, denn immer mehr Vertriebene wollen, wenn sie das Seniorenalter erreicht haben, ihre Lebensgeschichte aufzeichnen. Vor allem für die Nachkommen, damit die eigene Familiengeschichte bewahrt bleibt, zu der die jungen Menschen später keinen Zugang mehr haben. Das ist gut so, denn kaum eine andere Generation kann so unterschiedliche Lebenswege aufweisen wie die unsere, und erst die ganze Breite dieser biographischen Aufzeichnungen lässt erkennen, welche Lasten und Leiden mit dem Verlust der Heimat für die Vertriebenen verbunden waren – aber auch welche Erinnerungen an unbeschwerte Zeiten vor Krieg und Flucht lebendig geblieben sind. Jede dieser Biografien ist somit eine Dokumentation und bewahrt unsere Heimat vor dem Vergessen. Die ganze Bandbreite dieser Lebensbilder werden wohl erst spätere Generationen erkennen. Ich kann mich in dem mir vorgegeben Rahmen nur soweit mit dem befassen, dass ich auslote, ob nicht diese oder jene Aufzeichnung zur Weitergabe an unseren Leserkreis geeignet ist. Aber das verlangt viel Zeit, zumal die aktuellen Themen Vorrang haben müssen.

Eine besondere Dokumentation ist die „Chronik der Schule zu Nidden“, über deren geplante Herausgabe wir in Folge 34 berichteten. Sie stand kurz bevor, zögerte sich aber immer wieder heraus, weil noch dringend die Originalausgabe des Erstteiles von 1894 bis 1918/23 gesucht wurde. Zwar war eine Fotokopie vorhanden, aber der wissenschaftlichen Korrektheit willen wandte sich Herr Hans-Jörg Froese als für das Memelland zuständiges Bundesvorstandsmitglied der Landsmannschaft Ostpreußen an uns mit der Bitte, nach dem Original zu suchen. Herr Froese ist mit dem jüngeren Teil der Schulchronik, der die Jahre 1923 bis 1944 erfasst, eng verbunden und unterstützte seit Beginn der Planung den litauischen Hauptsponsor und die mit der Gesamtchronik befassten litauischen und deutschen Wissenschaftler. Leider hatte die Suche nach dem älteren Teil der Schulchronik keinen Erfolg, weil es auch nicht den geringsten Hinweis gab, wo diese sich befinden könnte, und es in der Kürze der Zeit auch kaum möglich war, möglichen Vermutungen zu folgen. Und so muss­te man es bei der Kopie belassen. Sollte sich die Originalfassung doch noch einfinden, könnte man sie als Sondereinlage dem Buch beilegen, so die Überlegungen. Und nun kam von Frau Vilija Gerulitiene die E-Mail: Die „Chronik der Schule zu Nidden“ ist soeben erschienen! Herausgegeben von Gitanas Nauseda und Vilija Gerulatiene ist diese außergewöhnliche Neuerscheinung bereits über die Buchhandlung von Hirschheydt erhältlich. Informationen können wir ihrem Bücherbrief zum Thema „Ehemalige deutsche Ostgebiete“ entnehmen:

„Ein einzigartiges Werk. Der Band enthält neben Gruß- und Geleitworten ein Porträt des Autors der Niddener Schulchronik, Henry Fuchs, einige ausgewählte Kasimilis, die Schulchronik der Schule von Nidden (1894–1923), die Chronik der Schule zu Nidden, Band I (1923–1933) und Band II (1934–1944) sowie eine Bildergalerie aus dem Bildarchiv Ostpreußen und der Sammlung Froese im Anhang. Die Chronik – eine kommentierte Transkription der Handschriften – gibt nicht nur Auskunft über die Geschichte der Entstehung der Schule, sondern auch über das Alltagsleben und die festlichen Ereignisse der Fischergemeinde.“

Das Buch wird in Deutschland exklusiv von der Buchhandlung von Hirschheydt, Am Langen Felde 5-7 in 30900 Wedemark-Mellendorf, unter der Bestellnummer 15795 vertrieben (Telefon 05130/5466, Fax 05130/39309, E-Mail: kontakt@Hirschheydt-online.de). Dies zur Erstinformation über das außergewöhnliche Buch, auf das wir noch eingehend zu sprechen kommen.

Eigentlich hatten wir mit Frau Sigrid Biemann aus Schwerin gehofft, dass ihre von uns in Folge 21 gebrachte Suche nach ehemaligen Bekannten und Nachbarn der Familie Groß vom Nassen Garten in Königsberg wenigstens einige brauchbare Informationen erbringen würde – leider bisher vergeb­lich. Aber nun ist ein alter Brief aufgetaucht, der vielleicht weiterhelfen könnte. Zur Erinnerung: Frau Sigrid Biemann ist die Enkelin des Maurerpoliers Ernst Groß, *1890 in Königsberg. Seine Kindheit verbrachte er auf dem Sack­heim und zog 1915 nach seiner Heirat mit Helene Ruloff auf den Nassen Garten, auf dem auch die Familie seiner Frau wohnte. 1917 wurde Tochter Hildegard geboren, die Mutter von Frau Biemann. Beide Frauen erlebten den Russeneinfall in Königsberg und konnten erst 1948 aus der zerstörten Stadt heraus. Ein Jahr später wurde in ihrem neuen Wohnort Gadebusch Tochter Sigrid geboren. Da es in der DDR keine Möglichkeiten gab, die Familiengeschichte aufzuarbeiten, und keine persönlichen Dokumente gerettet wurden, versuchte Sigrid Biemann nach dem Tode der Eltern und Wegfall der Mauer auf verschiedenen Wegen, irgendwelche Unterlagen zu erhalten. Aber selbst unsere sehr in die Details gehende Schilderung der Familienverhältnisse blieb ohne Antwort. Nun ist da also dieser entdeckte Briefumschlag, das Schreiben ist nicht mehr vorhanden. Eine Frau Elisabeth Schmidt hat ihn aus dem Flüchtlingslager Fraeerb. 5 Körping, geschrieben, wo sie in Baracke 8a untergebracht war. Er ist adressiert an die „Familie Grohs“ in „Russland“, wohnhaft in „Kaliningrad frühere Königsberg Pr. Nasser Garten, Karlstr. 2“. Die Schrift – wie das „hs“ im Namen Groß – lässt vermuten, dass die Absenderin damals bereits in einem hohen Alter war. Wahrscheinlich hat sie den Brief einem entlassenen Lagerinsassen mitgegeben. Nun vermutet Frau Biemann, dass ihr Großvater Ernst Groß bei Kriegsende nach Dänemark gekommen war und dort in einem Lager interniert wurde, wo er Frau Schmidt kennenlernte. Vielleicht wollte diese mit ihrem Schreiben seine Familie, die sie noch in Königsberg vermutete, informieren. Ein Datum ist auf dem Umschlag nicht ersichtlich, da es keinen Poststempel gibt. Ob, wie und wann Ernst Groß, der bis 1945 bei der Reichsbahn tätig war, nach Dänemark kam, möchte Frau Biemann geklärt wissen, denn diese ersten Nachkriegsjahre liegen für sie noch im Dunkeln. Sie vermutet, dass ihr Großvater Ende 1948 nach Mecklenburg gekommen ist und im Lager Mesow oder einem anderen Lager bei Gadebusch Frau und Tochter wiedergefunden hat. Er blieb in Mecklenburg und fand bei der Hochbaumeisterei in Parchim eine verantwortungsvolle Tätigkeit. Beide Großeltern von Frau Biemann verstarben Anfang der 60er Jahre, ihre Mutter Hildegard folgte ihnen 1976. Geblieben sind für Sigrid Biemann nur die Erzählungen der Vertriebenen von ihrer Heimatstadt Königsberg, und das auch für das Enkelkind spürbare Heimweh. Deshalb ist für sie jede Informationen über ihre Familie wichtig. Vielleicht können ehemalige im dänischen Flüchtlingslager Fräer Inhaftierte etwas über das Lager und die genannten Personen aussagen? Wie schon bei der ersten Suche im Mai gesagt: Frau Biemann würde sich über jede Zuschrift freuen. (Sigrid Biemann, Lise-Meitner-Straße 12 in 19063 Schwerin.)

Und damit kommen wir noch einmal zu Herrn Walter Klink zurück. Denn auch er war als Kind in einem dänischen Internierungslager als Treibgut der Flüchtlingswelle gestrandet. Im vergangenen Sommer hat er noch einmal die Stätte in Aalborg besucht, wo sich das Flüchtlingslager Vestre Alle befand, heute stehen dort Wohnsiedlungen. Die Internierten, die im Lager verstarben, wurden auf einem nahen Friedhof beerdigt. Heute erinnert auf dem Aalborger Südfriedhof eine geschlossene Anlage an die Flüchtlinge und deutschen Soldaten, die hier ihre Ruhe fanden. Die einzelnen Gräber sind durch steinerne Stelen gekennzeichnet. Vor dem fünf Meter hohen Bronzekreuz liegt eine Steinplatte mit der Inschrift „Hier ruhen 1017 Flüchtlinge und 250 deutsche Soldaten Opfer des Zweiten Weltkrieges“ in deutscher und dänischer Sprache.

Eure Ruth Geede


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