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16.11.13 / »Von meinen Büchern habe ich alles verloren« / Ein Brief von Agnes Miegel aus dem dänischen Lager Oxbüll

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-13 vom 16. November 2013

»Von meinen Büchern habe ich alles verloren«
Ein Brief von Agnes Miegel aus dem dänischen Lager Oxbüll

Es ist eigenartig, wie sich Zuschriften aus unserem Leserkreis zu einem Mosaik zusammenfügen, ungefragt und unabhängig voneinander. Heute ist es die Internierung in dänischen Lagern, die durch den oben erwähnten Brief und den Grabstein auf dem Aalborger Südfriedhof wieder in Erinnerung gebracht werden. Aber damit nicht genug, denn gleichzeitig bekamen wir einen anderen Brief zugesandt, der uns nicht nur Einblick in das Lagerleben gewährt, sondern – was noch wichtiger ist – das Bemühen der dort untergebrachten Flüchtlinge aufzeigt, nach der Flucht wieder Verbindung zu Menschen aus dem heimatlichen Umfeld zu bekommen. Geschrieben von einer Frau, die wie keine andere als „Mutter Ostpreußen“ gilt, von der Dichterin Agnes Miegel. Entdeckt hatte ihn Herr Lothar Lamb, Erster Vorsitzender der „Ostseebrücke“, dem Förderverein für die Menschen im Königsberger Gebiet. Er dürfte aus dem Nachlass einer Königsberger Ärztin stammen, an die Agnes Miegel dieses Schreiben gerichtet hat. Der Brief ist datiert vom 24. Juni 1946. Frau Dr. Dr. Ruth B. lebte damals in Kampen auf Sylt, Agnes Miegel im Flüchtlingslager Oxbüll in Jütland. Bei ihr, die einen großen Freundeskreis und eine enge Verbindung zu den Kulturschaffenden ihrer Heimat hatte, liefen damals viele mühsam geknüpfte Fäden zusammen. So dürften die in ihrem Brief erwähnten Namen vielleicht auch heute noch für manche Leser nicht unwichtig sein. Deshalb danken wir Herrn Lamb für die Übersendung der Kopie dieses Briefes, aus dem wir einige Ausschnitte entnehmen. Er scheint flüchtig geschrieben, fast im Telegrammstil, mit vielen Abkürzungen, aber es handelt sich ja um kein literarisch zu bewertendes Schriftstück, sondern um einen Austausch von Informationen, von denen Agnes Miegel so viel wie möglich vermitteln wollte – und das Papier war knapp!

„Von unsern lb. Nachbarn in der Hornstraße, den Geschwistern Milthaler, erhielten wir nach rechter Sorge endlich Nachricht, dass sie ,am Königssee singen‘, vor 14 Tagen direkt als Einlage in einem Brief von Margarete und Fritz Kudnig in Heide in Holstein. Beide Schwestern, die schon Ende Januar 1945 fortgingen, haben wohl viel Schweres erlebt. ,Bis auf die Laute‘ alles verloren, scheinen es nun endlich wohl dank ihrer Lieder und ihres lieben Wesens endlich etw. besser zu haben. Von meinen Büchern habe ich alles verloren, erst hier einiges durch Mitflüchtlinge und Bekannte erhalten. Diederichs/Jena soll in Wiesbaden sein u. Gräfe und Unzer wieder als Univers. Buchhandlung in Marburg, auch Cotta soll wieder Lizenz haben. Ich selbst weiß direkt noch von keinem. Ein junger Gefreiter stiftete mir zum Abschied sein Reklambändchen ,Das Bernsteinherz‘. Ob und was von uns Älteren wieder verlegt werden darf, gerade von uns Ostdt. Darüber wird erst später die Zukunft entscheiden.

Hier sind neben vielen Pommern auch viele Ostpreußen, auch Ärzte. Es wird Sie vielleicht interessieren, wer.“

Agnes Miegel listet dann eine ganze Reihe von Namen auf: „Prof. Dr. Harry Scholz mit Frau geborene Roth, Dr. Falk, Hautarzt, Bruder von der bisher unauffindbaren Lucy Falk. Frau Dr. Riediger, Gynäkologin, Frau Dr. Lucy Maleika geborene Schröder, mit Mutter Frau Boller, hier Blockärztin. Frau Dr. Schimanski aus Allenstein, Kinderärztin, Frl. Dr. Hautel, Braunsberg, Zahnärztin. Frl. Dr. Weelitz, Blockärztin, Frl. Dr. Legien, Blockärztin. Dazu mehrere ostpreußische Schwestern, 2 lb. Diakonissinnen vom Kinderheim Pr. Eylau u. a. Rote-Kreuz-Schwestern. Die Apotheke leitet Prof. Valentin aus Kbg. Sein Sohn praktiziert in Bad Bramstedt, dort ist auch die Familie und Tochter. Unsere liebe Hausärztin Dr. Laaser Rogge (Hufenallee) praktiziert in Worpswede. Ihre Nichte Dr. Laaser-Rogge ist am Krankenhaus in München angekommen, deren Bruder Bernhard, Arzt in russ. Gefangenschaft, ebenso Dr. Senkale/Berlin, Gatte meiner lb. Patentochter Elisabeth Haslinger.

Ich schreibe alles, viell. kennen Sie oder Bekannte dort den einen oder anderen. Sie viell. die Jüngeren vom Studium an der Albertina. Herr Hoffmann, Flensburg, jetzt wohnhaft in Göttingen, sammelt die Seinen. An der Universität Marburg liest Prof. Ziesemer, auch soll dort Prof. Janisch lesen. In Hamburg, Holzbrücke, ,Dampfer Grenzland‘ sammelt Herr Luther (früher bei Fa. Meyhöfer, Kbg.) alle Adressen von Ost- und Westpreußen. Lachen Sie mich nicht aus mit meinen Angaben. Vielleicht finden Sie und viele andere dadurch Freunde wieder.“

Und das ist eben auch der Sinn der Veröffentlichung dieses Briefes, der uns Ältere an jene frühen Nachkriegsjahre erinnern lässt, als wir glücklich waren, wenn wir einen bekannten Namen hörten und wussten, dass der Betreffende Krieg und Flucht überstanden hatte. Denn überleben war damals alles! Und jeder Neuanfang, wie Agnes Miegel ihn erwähnt, schenkte Hoffnung und machte Mut. R.G.


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