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© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-13 vom 23. November 2013
Endstation Reeperbahn Zugegeben, originell ist die Idee hinter dem neuen Musical „Linie S1“ im Hamburger St. Pauli Theater wahrlich nicht. Bereits 1986 startete im Berliner Grips-Theater ein Musical mit einem fast identischen Namen. „Linie 1“ hieß das Stück, in dem ein Mädchen vom Lande in die Großstadt fährt, dort seinen Freund sucht und auf der Fahrt mit der U-Bahn auf zahlreiche Berliner Typen trifft. Aber man muss das Rad nicht immer neu erfinden, haben sich wohl die Macher Thomas Collien und Ulrich Waller der Hamburger-Version gedacht. Auch sie nahmen eine Bahn-Linie als Grundlage, allerdings ist es in diesem Fall eine ganz reale S- und keine U-Bahn. Da die Hamburger S1 durch sehr gegensätzliche Stadtteile wie Blankenese, Altona, Reeperbahn, Landungsbrücken, Hauptbahnhof, Barmbek, Ohlsdorf mit seinem Friedhof und Fuhlsbüttel mit dem Flughafen fährt, bietet sie auch eine interessante Basis. Aber im Gegensatz zum Berliner Stück, für das lauter neue Lieder komponiert wurden, griff man bei der Musik überwiegend auf bereits vorhandene Songs zurück. Da es ein Hamburg-Musical werden sollte, wählte man vorrangig Liedgut von Hamburger Musikern wie Hans Albers, Udo Lindenberg, Jan Delay oder der Rock-Band Kettcar. Aber auch Lieder von Sängern, die über die Hansestadt gesungen haben, wie Hildegard Knef kommen zum Zuge. Und auch einige internationale Musikstücke sind in das Musical eingebaut, so dass es musikalisch gesehen sehr bunt geworden ist und für jeden Musikgeschmack –um es denn mal positiv auszudrücken – etwas dabei ist. Doch diese bunte Vielfalt ist auch das angestrebte Ziel. Das St. Pauli Theater bekennt ganz offen, dass die Initiative für das neue Stück von der Marketingchefin der Stadt Hamburg gekommen ist. Sie bat nämlich darum, ein Hamburg-Musical zu entwerfen, das nicht nur typische Kiez-Geschichten erzählt, sondern auch andere Teile der Stadt im Blick hat. Dies ist den Machern allerdings nur bedingt gelungen, denn Kiez-Szenen dominieren das Stück, in dem Miquel da Silva, ein Hamburger Arbeiter-Jung mit spanischen Wurzeln, in der S-Bahn die Reederstochter Luna trifft, die auf dem Weg nach Hause in die Villa der Eltern in Blankenese ist. Und so wird neben dem Berliner Musical „Linie 1“ auch noch ein wenig „Romeo und Julia“ kopiert, auch wenn hier niemand versucht, die beiden auseinander zu treiben. Es sind vielmehr die unterschiedlichen Lebenswelten des im Beachclub arbeitenden Barmanns und der nach New York strebenden Millionärstochter, die hier ein Happy End gefährden. Aber da es sich um ein Musical handelt, ist das glückliche Ende absehbar. Auf dem Weg dorthin darf der Zuschauer des schon 1841 gegründeten und leider sanierungsbedürftigen St. Pauli Theaters die Liebeswirren des Paares verfolgen. Und auch, wenn nicht jeder Liedtext immer ganz in den Kontext passt, sorgt die Musik für gute Laune. Die Leistung der Tänzer überzeugt zudem sofort. Und auch sonst fällt jenen auf, die regelmäßig U- und S-Bahn fahren, dass sich die Autoren des Musicals mit den verschiedenen Typen, die man in der S-Bahn trifft, auseinandergesetzt haben. So kommt es, dass die neun Schauspieler insgesamt in 70 verschiedene Rollen schlüpfen, die vom Punk, über den Fußball-Fan, Touristen, Senatoren und Putzfrauen bis hin zur Junggesellenabschiedstruppe und vermögenden Blondine reichen. Was sich ziemlich nach einem Griff in die Klischeekiste anhört, ist zwar auch einer, aber die Kiez-Realität stand eben auch Pate. Positiv hervorzuheben ist das einfache, aber trotzdem beindruckende Bühnenbild. Vier von der Bahn zur Verfügung gestellte S-Bahn-Bänke stehen vor einer Leinwand, auf der im Hintergrund immer ein Film mit der Umgebung der echten Strecke zu sehen ist. Mal sieht man eine am Bahnfenster vorbeisausende Häuserzeile, mal einen Tunnel, Bäume oder auch eine Haltestelle mit Passanten. Besonders sticht dem Zuschauer neben dem Paar, gespielt von Anneke Schwabe und Luk Pfaff, die Fernsehschauspielerin Johanna Christine Gehlen ins Auge, die sich in jede der vielen verschiedenen Rollen authentisch einfindet. Auch Peter Franke, 1941 in Breslau geboren, überzeugt als Obdachloser, Senator, ehemaliger Seemann und Puff-Besucher gleichermaßen. Obwohl „Linie S1“ ein Musical vom Reißbrett ist, besticht es durch liebevolle, charmante Details und eine aufs Publikum überspringende Spielfreude der Schauspieler. Und während die günstigste Karte für das nur wenige Häuser vom St. Pauli Theater gespielte Musical „Rocky“ im Operettenhaus fast 50 Euro kostet, ist das billigste „Linie S1“-Ticket schon für 19,90 Euro zu haben. Rebecca Bellano Nächste Aufführungen vom 26. bis 28. November um 20 Uhr, Spielbudenplatz 29, 20359 Hamburg, www.st-pauli-theater.de. |
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