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23.11.13 / Ihre Namen konnte die Zeit nicht löschen / Alfred Berg fand die Gräber seiner Urgroßeltern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-13 vom 23. November 2013

Ihre Namen konnte die Zeit nicht löschen
Alfred Berg fand die Gräber seiner Urgroßeltern

Sie haben alle Zeiten überdauert, die alten Kreuze auf den Kirchhöfen unserer Heimat. Sie wurden aus Gusseisen geschmiedet und sollten für die Ewigkeit halten, von der man, wenn man sie aufsuchte, einen Hauch zu spüren bekam. Denn die Friedhöfe lagen einsam in der Weite des Landes, hier verlor sich die Zeit in der Ruhe und Stille, in der die Verstorbenen schliefen – unter ihren Kreuzen, die wie schützend ihre Arme über die Gräber breiteten. Auch wenn im Lauf der Jahre die Waldfriedhöfe verwucherten, sie wohl tiefer sanken oder vom fallenden Laub zugedeckt wurden, es blieben doch die Kreuze in der Erde. So fand der Architekt Alfred Berg aus Bad Bevensen die Gräber seiner Ahnen, als er auf einem Besuch im Memelland die Hofstelle seiner Großeltern aufsuchen wollte. Das war in Kawohlen, und es handelt sich um den Friedhof, über den wir kürzlich berichteten. Das Bild mit der alten, vom Blitz gezeichneten Eiche auf dem einsam gelegenen Waldfriedhof berührte Herrn Berg besonders, denn dort liegen auch die Gräber seiner Urgroßeltern, deren Namen die Kreuze bewahrt haben. Wie und wann er sie gefunden hat, darüber wollen wir heute berichten. Es soll unser Beitrag zum Totensonntag sein.

Die kleine Reisegruppe, die nur aus drei, dem Memelland verbundenen Landsleuten bestand, kam auf ihrer Spurensuche in der Heimat ihrer Vorfahren auch nach Kawohlen. Alfred Bergs Vater wurde 1901 in dem kleinen Dorf an der Reichsstraße von Memel nach Tilsit geboren, dort ging er auch zur Schule. Als sein Sohn nun das ehemalige Schulhaus aufsuchte, in dem heute Korn gelagert wird, kam er mit dem Fahrer eines Mähdreschers ins Gespräch, der darauf hinwies, dass in dem alten deutschen Dorffriedhof einmal im Jahr ein evangelischer Gottesdienst stattfindet – und das war gerade an diesem Augusttag der Fall. Also beschlossen die Freunde, an der Andacht, die in litauischer Sprache abgehalten wurde, teilzunehmen. Der Friedhof am Waldrand wirkte mit seinem frischen Blumenschmuck auf den jüngeren Gräbern sehr gepflegt. Auf den älteren Grabstätten zeigten die Inschriften auf den eisernen Kreuzen deutsche und litauische Namen. Diesen spürte einer der Freunde besonders intensiv nach, und plötzlich winkte er Herrn Berg zu der Stelle, an der die uralte Eiche stand. Er wies auf zwei verwitterte Kreuze hin, die aus altem Laub und Gestrüpp soweit herausragten, dass man die Namen erkennen konnte:

Anna Berg geborene Dysel, geboren 28. April 1847, gestorben 25. Dezember 1922

August Berg, geboren 9. Ok­tober 1842, gestorben 24. Mai 1895.

Es waren die Namen der Urgroßeltern von Alfred Berg.

Das war der Augenblick, in dem die Familiengeschichte Konturen annahm, sicht- und greifbar wurde. Der Urenkel der hier zur letzten Ruhe Gebetteten hatte nun einen Platz gefunden, der mit dem Namen Berg für immer verbunden blieb. Der Architekt spürte die Verpflichtung, diese Stelle zu einem Festpunkt der ostpreußischen Familie Berg zu machen. Er beschloss, die Grabstelle wieder herrichten und pflegen zu lassen. Alfred Berg konnte sein Vorhaben mit Hilfe des litauischen Pastors Darius Perkunas verwirklichen, der einheimische Handwerker fand, die diese Arbeiten fachgerecht ausführten. Ein Jahr später konnte er sich von der Wiederherstellung der Grabanlage überzeugen, als er wieder an dem jährlichen Gottesdienst der evangelischen Gemeinde teilnahm. Im Anschluss an die Andacht erfolgte im Beisein der amtierenden Geistlichen die Wiedererrichtung der gesäuberten Grabkreuze. Die litauisch gesprochenen Segenswünsche wurden für die deutschen Teilnehmer von Pastor i. R. Rogga übersetzt, die sichtbare Anteilnahme der anwesenden heutigen Bewohner benötigte keine Übertragung. Hier auf dem stillen Waldfriedhof von Kawohlen wurden Brücken über die Gräber vom Gestern zum Heute, von Mensch zu Mensch gebaut.

Alfred Berg muss das so empfunden haben, wie es den Worten von Pastor i. R. Walter Bauch zu entnehmen ist, der im „Memeler Dampfboot“ über dieses Ereignis schrieb: „So erhielt die Familie Berg wieder einen festen Ort des Gedenkens und der Erinnerung an die Familiengeschichte in ihrer angestammten Heimat. Sie hat den Wunsch, dass dieser Friedhof ein Ort der Erinnerung bleiben möge und Menschen unterschiedlicher Herkunft und Sprache zusammenführt.“ Die Grabstelle wird heute von dem Treckerfahrer, der den Deutschen bei ihrem ersten Besuch den Weg zu dem Friedhof gewiesen hat, und seiner Frau gepflegt.

Mag dieser kleine Bericht für all die Kreuze in der verlorenen Heimat stehen – eisern und unvergänglich. Und die Namen derer bewahren, die das Land bestellt und bebaut, die es bewahrt haben und es nicht verlassen mussten. Sie konnten bleiben und löschen mit ihren Kreuzen die Grenzen von Raum und Zeit. R.G.


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