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23.11.13 / Kaffeekränzchen mit Trauerflor / In privaten »Death Cafés« überwinden immer mehr Menschen in Gesellschaft den Verlust naher Angehöriger

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-13 vom 23. November 2013

Kaffeekränzchen mit Trauerflor
In privaten »Death Cafés« überwinden immer mehr Menschen in Gesellschaft den Verlust naher Angehöriger

Die Angst vor dem Tod ist die älteste aller Ängste, die Urangst der Menschheit. Sie hat Religionen geschaffen und ihre tröstenden Götter. Sie hat die größten Geister der Welt in Literatur und Philosophie, Wissenschaft und Kunst in Atem gehalten. Doch gewichen ist sie nicht.

Dass man Furcht am besten damit bekämpft, sich offen mit ihr auseinanderzusetzen, kam der englische Internet-Spezialist Jon Underwood 2011 auf die Idee, ein „Death Café“ zu gründen. Die Anregung gab ein Artikel über den Schweizer Soziologen und Anthropologen Bernard Crettaz, der in der Schweiz und Frankreich seit 2008 vereinzelt „Cafés Mortels“ ins Leben gerufen hatte, um über den Tod zu diskutieren.

Underwood war gerade dabei, eine Serie über Tod und Sterben mit dem Titel „Impermanence“ (Unbeständigkeit) zu entwickeln, und jener Artikel entzündete einen Geistesblitz: Könnte man „Death Cafés“ nicht zu einer internationalen Bewegung machen? Denn quer durch alle Länder der Erde und alle Schichten bewegt Menschen das Thema Tod.

Mit seiner Freundin Sue Barsky Reid entwickelte er die Idee, Gespräche über das Unvermeidliche in all seinen Variationen in eine gemütliche, gar private Atmosphäre zu versetzen wie eine Einladung zu Kaffee oder Tee und Kuchen. So fand das erste „Death Café“ im September 2011 in Jons Londoner Haus statt. Es war ein Riesen-Erfolg.

Sue entwickelte daraufhin ein Modell, um andere Leute anzuregen, ihrem Beispiel zu folgen. Presse und Internet, Facebook und Twitter stiegen ein. Eine neue Bewegung war geboren. Schnell breiteten sich „Death Cafés“ international aus, vor allem in den USA. Das erste entstand vor einem Jahr in Columbus, Ohio, begeistert initiiert von der lustigen Lizzy Miles, die sagt, „wir müssen das Lachen in die Beerdigung zurückbringen“. Bis jetzt sind es über 100 „Death Cafés“ in diversen US-Städten, darunter New York und San Francisco.

Dabei handelt es sich fast immer um Kaffekränzchen in privaten Häusern und Wohnungen. So wie bei Sozialarbeiterin Betsy Trapasso. Sie lud kürzlich zum ersten „Death Café“ von Los Angeles in ihr kleines Haus im Topanga Canyon in den Bergen von Santa Monica, wo hoch über dem Pazifik viele alternative Leute wohnen. Da saßen sie bei Blaubeer-Torte, Tee und Plätzchen: eine Grafikerin, ein Psychologe, eine Familientherapeutin, ein Filmregisseur, ein Hauptmann vom Los Angeles Police Department sowie ein Schauspieler und Produzent mit seinem weißen Malteser-Hündchen.

„In unserer Kultur wird der Tod als eine Art Schlusswort angesehen“, sagt Regisseur Leszek Burzynski, „in anderen Kulturen ist er ein Kapitel mit Fortsetzungen.“ Therapeutin Jane Plotkin tritt für Sterbehilfe ein. Entsetzt vom qualvollen Tod ihrer Mutter, im Krankenhaus an Schläuchen hängend: „Wenn ich todkrank wäre, möchte ich wählen können, wie ich sterbe und eine Hilfe dabei haben.“

Grafikerin Dori Fisher stimmt ihr zu: „Ich finde, sterben ist so individuell wie leben. Jeder sollte so sterben können, wie er möchte, ähnlich wie er gelebt hat.“ Ihr Ehemann Ron, der Polizei-Offizier, schweigt lange. Dann berichtet er von einem der grausigen Todesfälle, den er im Einsatz erlebt hat. Ein kleines Mädchen kam unter ein Auto und wurde überfahren. „Wie soll man das je aus seinem Kopf bekommen?“, fragt er, „wie soll man das verarbeiten?“ – „Ich glaube, du tust das gerade“, sagt Psychologe Richard Riemer, während das Gespräch noch um Themen kreist wie Kummer, Tod eines geliebten Hundes und wie unbesiegbar sich die Jugend fühlt.

Offiziell wurde das „Death Café“ bewusst nicht als Therapie kreiert, sondern als Diskussionsrunde. Dennoch hat es für viele eine therapeutische Wirkung. „Es ist erstaunlich, wie intim diese Gespräche sein können“, sagt Betsy, als ihre Gäste fröhlich la­chend das Haus verlassen: „Fremde kommen zusammen und legen Herz und Seele offen in einer Atmosphäre von Anteilnahme und Wärme. Da ist etwas Magisches um das ,Death Café‘.“ Liselotte Millauer


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