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30.11.13 / Neptuns Apotheke / Forscher suchen medizinische Wirkstoffe im Meer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-13 vom 30. November 2013

Neptuns Apotheke
Forscher suchen medizinische Wirkstoffe im Meer

Ulrike Lindequist, bis zu ihrem Tod Professorin in Greifswald, schätzte Miesmuscheln. Doch die Forscherin war an ihnen nicht als Delikatesse, sondern wegen ihrer Suche nach alternativen Wirkstoffen aus dem Meer interessiert. Die Klebefähigkeit des Schalentiers könnte in den Operationssälen dieser Welt als Superkleber bei Eingriffen eine Revolution einleiten und ein Problem der Chirurgie lösen: kein Nähen oder Klammern mehr. „Ein gutes Beispiel für die Möglichkeiten der Medizin aus dem Meer“, so Lindequist einst.

Erfolg versprechen Einsätze von Meeressubstanzen wie etwa Rot-algen, Seeanemonen oder Seegurken bei chronischen Leiden, lebensbedrohenden Infektionen, Herpes und Gürtelrose, Gelenkentzündungen, Entzündungen im Magen- und Darmtrakt sowie bei Gastritis. Sogenannte Cephalosporine wirken wie Breitbandantibiotika. Wie ihre Verwandten, die Penicilline, stammen sie von Pilzen ab. Cephalosporine werden aus einer marinen Pilzart vor der Küste Sardiniens gewonnen. Das Präparat „Yondelis“ wird aus Meerscheiden gewonnen und hilft gegen eine aggressive Krebsart: das Weichteil-Sarkom.

Ähnlich wie die Greifswalder Forscherin und ihre Nachfolger suchen Wissenschaftler weltweit in der maritimen Welt nach neuen, potenten Wirkstoffen. Rund 500 Millionen Organismen leben in den Meeren, genauer bekannt sind nur fünf Prozent. Die Erkenntnis, dass sich hier mehr pharmazeutisch nutzbare Stoffe verbergen als an Land, hat einen maritimen Sammelrausch ausgelöst. In Europa ist die Firma „PharmaMar“ in Basel führend. Über 200 Wirkstoffe ließ sie sich bereits patentieren. Weltweit sind bisher allerdings noch keine 100 Präparate im Einsatz oder in der klinischen Prüfung. Marktreife Entwicklungen dauern.

Unzählige nicht erforschte Mikroorganismen existieren allein in Arktis und Antarktis. Das ewige Eis ist dichter besiedelt als etwa das Wasser der Nordsee. Zu den begehrten Organismen zählen vor allem Schwämme. Biologen kennen rund 9000 Arten, vermutlich sind es 50000. Angepasst an ihre jeweilige Umgebung verfügen sie über ein perfektes Immunsystem und bieten Mittel gegen Infektionskrankheiten und Entzündungen. Auch Meeresschnecken wie die bunte Kegelschnecke stehen im Fokus der Forschung, denn klinische Studien belegten eine tausendfach stärkere Schmerzdämpfung als bei Morphinen – ohne deren Suchtpotenzial.

In Krankenhäusern geht die Angst vor tödlichen Keimen um. Sie lösen Lungenentzündungen, toxische Schocks, Blutvergiftung oder Wundbrand aus. Ulrike Lindequist entwickelte dagegen eine Algen-Essenz. Sie ist in ihrer Mikrostruktur so glitschig, dass sich Bakterien und Viren auf der Haut nicht mehr festhalten können, geschweige denn vermehren.

Es gibt vier Möglichkeiten der Gewinnung der Wirkstoffe aus dem Meer: Per Aquakultur züchten, synthetisch nachbilden, die genetische Information in andere Zellen übertragen und diese dann vermehren oder direkt kultivieren. J.F.


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