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30.11.13 / »Ende das fest« / Stefan George starb vor 80 Jahren – Er wirkte weniger als Lyriker denn als Mittelpunkt und »Führer« des George-Kreises

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-13 vom 30. November 2013

»Ende das fest«
Stefan George starb vor 80 Jahren – Er wirkte weniger als Lyriker denn als Mittelpunkt und »Führer« des George-Kreises

Kaum war der „Führer“ an der Macht, verlosch das Leben eines Dichters, der sich als geistiger Führer verstand. Am 4. Dezember 1933, also im Jahr der Machtergreifung Hitlers, starb Stefan George. In einer kaiser- und orientierungslosen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ballten sich die Heilsversprechen, und George war einer von vielen Charismatikern jener Zeit, um die sich eine Schar von Jüngern und Gefolgsleuten versammelten in der Hoffnung auf Erlösung welcher Art auch immer.

Im George-Kreis, einem elitären Zirkel von Gefolgsleuten aus adeligen Kreisen und dem gehobenen Bürgertum, huldigte man dem totalitären Ästhetizismus des Meisters. In einer Epoche, die vom Naturalismus geprägt war, predigte George die „L’art pour l’art“. Die Kunst für die Kunst, das Schöne und Erhabene setzte der 1868 in Bingen als Sohn eines Weinhändlers geborene George bewusst dem prosaischen Elend entgegen, dem sich Gerhart Hauptmann oder Hermann Su­dermann verpflichtet sahen.

George ging es um die reine Poesie, und im Pariser Künstlerkreis des Dichters Stéphane Mal­larmé fand er sich in seiner Kunstauffassung bestätigt. Fortan begeisterte sich George für die Lyrik der Symbolisten Arthur Rimbaud und Paul Verlaine sowie deren Dandy-Vorbild Baudelaire. George, der durch viele Reisen nach Paris oder London mehrere Sprachen be­herrschte, schuf bis heute ge­schätzte Übersetzungen dieser französischen Poeten. Mit klarer schnörkelloser Sprache übersetzte er auch Dantes „Göttliche Komödie“, Shake­speares Sonette oder zeitgenössische Lyriker aus Holland, Belgien, Dänemark und Polen.

Eigene lyrische Gehversuche unternahm er in der von ihm gegründeten Zeitschrift „Blätter für die Kunst“. Nicht bloß, dass er in einer frühen Gedichtsammlung in Gestalt des Gott-Künstlers Algabal dem Bayernkönig Ludwig II. huldigte, führte seine radikale Ästhetik auch zu einer gewöhnungsbedürftigen Kleinschreibung – abgesehen vom Vers­anfang – und Zeichensetzung: „Schläfernder broden / Trauernder düfte / Weinkönig scheide ! / Aller ende / Ende das fest !“

Viel beachtet wurde seine Lyrik nicht. Die privat gedruckten Bände hatten meist nur Auflagen von wenigen hundert Exemplaren. War das der Grund, dass sich Ida Coblenz, eine der wenigen Frauen, die in Georges Leben eine Rolle spielte, von ihm trennte und den erfolgreicheren Widersacher Ri­chard Dehmel – ebenfalls ein Jubilar dieser Tage (in PAZ Nr. 46) – heiratete? Schon früh zeichneten sich bei George aber auch homo­erotische Tendenzen ab. Er pflegte platonische Männerfreundschaften. Hugo von Hofmannsthal, mit dem er sich ge­wünscht hätte, durch beider „schrifttum eine sehr heilsame diktatur“ ausüben zu können, musste sich wiederholt gegen aufdringliche An­näherungsversuche Georges zur Wehr setzten. „Er kann töten, ohne zu berühren“, erkannte Hofmannsthal die ästhetische Gefahr, die von George ausging.

Andere fühlten sich von diesem dichterischen Dämon magisch angezogen und scharten sich wie die Jünger um diesen Propheten, der „Das neue Reich“, so der Titel einer seiner Gedichtsammlungen, aufbrechen sah. In seinem kleinen Hofstaat einiger Bohemiens, dem George-Kreis, hielt der Meister im Priestergewand rituelle Handlungen ab, die ganz der Anbetung der Kunst gewidmet waren. Aufgeschlossen gegenüber esoterischen Ideen, suchte er die Nähe zu den „Kosmikern“ Alfred Schuler und Ludwig Klages, die kosmische Energien im Blut auserwählter Menschen strömen sahen, welche als „Sonnenkinder“ wiedergeboren und die Welt von allem Übel erlösen würden.

Wegen antisemitischer Tendenzen in Schulers kosmischer Blutsidee wandte sich George von ihm ab und konzentrierte sich auf seinen eigenen Männerbund, in dem die Autoren Karl Wolfskehl und Max Kommerell, der Literaturwissenschaftler Friedrich Gundolf oder der Industriellensohn Ro­bert Boehringer tragende Säulen waren. Ausgehend vom frühen Tod eines von George im Gedichtzyklus „Der siebente Ring“ gottähnlich verehrten Jünglings na­mens Maximin wollte er weitere „darsteller einer allmächtigen jugend“ erzieherisch formen. Aus dem George-Kreis hat sich so die Reformpädagogik herausgebildet, die bis heute in die Odenwaldschule hinein nicht immer nur Vorbildliches geleistet hat.

Georges Heilslehre einer auserwählten Menschenklasse wurde von Nationalisten seinerzeit in­brünstig aufgesogen. Gleichzeitig sperrte er sein Werk nach allen politischen Richtungen ab, jedoch nicht, ohne sich einzumischen. Die Kriegseuphorie von 1914 teilte er nicht: „Zu jubeln ziemt nicht : kein triumf wird sein . / Nur viele Untergänge ohne würde . .“ Als letztlich der von ihm proklamierte Führerkult politische Realität wurde, misstraute er auch diesem. Nicht von ungefähr ging mit Claus Graf Schenk von Stauffenberg einer der Hitler-Attentäter aus dem George-Kreis hervor. Noch kurz vor seiner Hinrichtung soll er Georges Ge­dicht „Der Wi­derchrist“ rezitiert haben, in dem vor dem „Fürst des Geziefers“ gewarnt wird.

Als Goebbels den Dichter zum Präsidenten der Akademie der Dichtung machen wollte, lehnte dieser ab. Bereits schwer an Krebs erkrankt, verfügte George, dass Graf Stauffenberg und Boehringer als Nachlassverwalter dafür sorgen sollten, ihn selbst, der sich zeitlebens nie an einem bestimmten Ort in Deutschland heimisch fühlte, nicht auf deutschem Boden beerdigen zu lassen. Sein Grab befindet sich in seinem Sterbeort, der Schweizer Tessin-Ortschaft Minusio. Harald Tews


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