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14.12.13 / Ideenloses Gewürge / Hindernisreicher Weg zur Großen Koalition in Wien – Es fehlen rund 24 Milliarden Euro

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-13 vom 14. Dezember 2013

Ideenloses Gewürge
Hindernisreicher Weg zur Großen Koalition in Wien – Es fehlen rund 24 Milliarden Euro

In zähen Verhandlungen verspielten die regierungswilligen Wahlverlierer SPÖ und ÖVP den Neustart und ebnen so den Weg für den weiteren Aufstieg der FPÖ.

Eine Woche nach der Bundestagswahl hatten die Österreicher ihren Nationalrat neu gewählt. Geschockt vom Ergebnis – Verluste für die Regierungsparteien, die zusammen gerade so eben über 50 Prozent der Stimmen kamen, starke Gewinne der FPÖ, leichte der Grünen und des „Teams Stronach“ sowie auf Anhieb Einzug der „Neos“ ins Parlament an der Wiener Ringstraße – hatten SPÖ und ÖVP am Wahlabend einen „Neustart“ und für die künftige Regierungsarbeit einen „neuen Stil“ versprochen. Während in Berlin die Große Koalition aus Unionsparteien und Sozialdemokraten steht, ist es in Wien zehn Wochen nach der Wahl fraglich, ob sich SPÖ und ÖVP noch vor Weihnachten auf ein Kabinett Faymann/Spindelegger II verständigen konnten. Selbst wenn sie es bis Heiligabend noch schaffen sollten, die letzten – von der ÖVP errichteten Hürden – aus dem Weg zu räumen, steht fest, dass der „Neustart“ vergurkt wurde.

Wie konnte es dazu kommen? Vor der Wahl hatten Kanzler und Vizekanzler zu viel versprochen: Sie kündigten eine „große Steuerreform mit Entlastung des Mittelstands“ (Werner Faymann, SPÖ) für 2014 respektive „bei Budgetdisziplin nach Erreichen des Nulldefizits 2016“ (Michael Spindelegger, ÖVP) an. Dann war in den Koalitionsverhandlungen plötzlich ein Budgetloch da. Bezogen auf die kommenden fünf Jahre – die Dauer der Legislaturperiode in Österreich – wuchs es erst von ein paar Milliarden auf zehn, Tage später auf 15 und zuletzt auf bis zu 40 Milliarden Euro. Wirtschaftsforscher fürchteten um die Bonität Österreichs; Boulevardblätter sahen die Verhandlungen platzen und die ÖVP sich mit FPÖ, Stronachianern und/oder „Neos“ ins Bett legen – ein Szenario wie 1999/2000, als es zur ÖVP/FPÖ-Koalition gekommen war. Faymann sagte eine geplante Paris-Reise ab und erklärte die Budget-Frage sowie die Klärung, wie viele Milliarden wirklich fehlten, zur Chefsache. Um dann mit dem alten und wahrscheinlich neuen Koalitionspartner ein wenig Entwarnung zu geben: Der Sparbedarf bis 2018 betrage nur 18,4 Milliarden, zusammen mit den 5,8 Milliarden für die Bankenhilfe (hauptsächlich für die notverstaatlichte Pleitebank Hypo Alpe-Adria) rund 24 Milliarden Euro. Sparpakete oder die Erhöhung von Steuern wie der Mehrwertsteuer werde es nicht geben, aber einschneidende Reformen in der Verwaltung, im Pensionswesen, bei der Subventionierung staatsnaher Betriebe wie der Bahn sowie Privatisierungen, etwa des größtenteils staatlichen Energiekonzerns OMV. Sie sieht sich als „Hüter des Staatshaushalts“ und besteht darauf, dass „die großen Brocken angegangen werden müssen“. Einer dieser „großen Brocken“ sind die Renten, weshalb sich die dafür zuständigen Verhandler auf ein „Reförmchen“, wie Kritiker monieren, einigten. So soll das durchschnittliche faktische Pensionsalter bis 2018 von derzeit 58,4 Jahren auf „rund 60 Jahre“ steigen.

Ursache für die unerquicklichen Auseinandersetzungen über Budgetlöcher ist der Umstand, dass sich die beiden Parteien – von 1945 bis 1966, von 1987 bis 1999 und seit 2006 wieder in Großer Koalition vereint – ideologisch-inhaltlich, ihre Führungen auch im Persönlichen auseinanderentwickelt haben. Die SPÖ will um keinen Preis Reformen. Ob es darum geht, zu teure und für bestimmte Gruppen vorteilhafte Pensionsregelungen zurückzustutzen, ob es um Privatisierung staatsnaher Unternehmen oder um die höhere Besteuerung von Besitz geht – der Staatsanteil soll sich nicht vermindern. Die SPÖ ist (ähnlich den österreichischen Grünen) der Auffassung, dass Teile der Bevölkerung (vornehmlich ihre Klientel) fortwährend der staatlichen Alimentation bedürfen. Sozialdemokraten und Grüne gehen einfach davon aus, dass die Mittel dafür schon von irgendwo herkommen werden, etwa durch Finanzierung auf Pump oder durch stärkere steuerliche Belastung der Bessergestellten (im Volksmund „Gestopfte“). Die konservative ÖVP hingegen setzt sich für ihre (zumindest bisherige) Klientel ein. So sucht sie für die Bauern zu verhindern, wofür sie sonst vehement eintritt, nämlich den Subventionsabbau. Tun will sie auch etwas für Gewerbetreibende, für kleine und mittlere Unternehmen, sowie für gehobene Angestellte. Seit Jahren klagen diese Mittelschichtgruppierungen über „überproportionale Belastungen im Steuer- und Abgabenwesen“. Für die ÖVP ist daher das Umschichten staatlicher Alimentationsgelder hin zum „produktiven Sektor“ Richtschnur.

Die SPÖ hat seit den 1990er Jahren mehrere hunderttausend Wähler an die FPÖ verloren, weil sie ihnen weder preiswerte Wohnungen wie früher noch Beschäftigungsmöglichkeiten im öffentlichen Sektor bieten kann. Die „kleinen Leute“ glauben indes, dies alles bekämen stattdessen „die Ausländer“. Längst hat auch die ÖVP abstiegsbedrohte Mittelständler an die FPÖ und jüngere, vorwiegend städtisch-liberale Wähler an die „Neos“ verloren. Diese Verlustängste bestimmten das Verhandlungsprozedere und verhinderten letztlich den „großen Wurf“, der nötig wäre, um die nächsten fünf Jahre ohne inneres Gewürge und politischen Stillstand zu überstehen. SPÖ und ÖVP ebnen damit der FPÖ den direkten Weg an die Spitze und spätestens 2018 deren so-eben auf einem Jubelparteitag in Graz von 96,5 Prozent der Delegierten wiedergewählten Parteichef Hans Christian Strache den Weg ins Kanzleramt. Rainer Liesing


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