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14.12.13 / Im Westen viel Neues / Avi Primor legt überzeugenden Roman zum Ersten Weltkrieg vor

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-13 vom 14. Dezember 2013

Im Westen viel Neues
Avi Primor legt überzeugenden Roman zum Ersten Weltkrieg vor

Erich Maria Remarques ,Im Westen nichts Neues‘ hat einen neuen Gefährten gefunden, wundersamerweise einen Gefährten aus Israel.“ Mit diesen Worten leitete die Journalistin Franziska Augstein die Verleihung des Erich-Maria-Re-

marque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück an Avi Primor ein. Primor, der von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland war, ist bisher nur als Sachbuchautor in Erscheinung getreten. Mit dem nun geehrten Titel „Süß und ehrenvoll“ hat er seinen ersten Roman veröffentlicht und damit gleich eine überzeugende Arbeit vorgelegt, die einem Vergleich mit Remarques Kriegsepos nicht zu scheuen braucht.

Der 1935 geborene Sohn einer 1932 nach Israel emigrierten Jüdin aus Frankfurt am Main hat die Heimatstadt seiner Mutter als Ausgangspunkt seiner Geschichte gewählt. Hier lebt eine seiner beiden Hauptfiguren. Schnell wächst dem Leser Ludwig Kronheim ans Herz. Der junge Jurastudent, der trotz seiner Liebe zu Karoline 1914 sofort vom Kriegsfieber erfasst wird, bezieht genau wie sein Vater den Satz von Kaiser Wilhelm II., „Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche“, auch auf die Juden. Er sieht den Krieg als Chance, seine patriotische Pflicht zu tun und zu beweisen, dass er als Jude genauso Deutscher ist wie alle anderen auch. Aber auch Louis Naquet, ein junger jüdischer Bäckersohn, zieht in den Krieg, um seine patriotische Pflicht zu tun, nur eben auf französischer Seite.

Eindringlich schildert der Autor die ernüchternden Erlebnisse der beiden jungen Männer an der Front. Der Leser leidet bei der Lektüre über lange Märsche ohne Essen und Trinken sowie Schlaf mit ihnen, fühlt die Erniedrigung, den Stuhlgang vor Kameraden im Wald verrichten zu müssen, erträgt den Geruch der vielen ungewaschenen Männer kaum, der zudem bald von Verwesungsgeruch übertrumpft wird.

Vor allem Ludwigs Briefe an Karoline, in denen er Alltagssituationen an der Front schildert, zeigen, dass Primor sorgfältig recherchiert hat und die gelesenen Fakten auch in einem bewegendem Rahmen darbieten kann. Einzig das Thema Töten umgeht er trotz sonst so drastischer Darstellung des Stellungskrieges. Dafür baut er eine zweite Front auf, an der Ludwig zu kämpfen hat, denn Karoline ist Christin und ihre sonst so liberalen Eltern sind gegen eine Beziehung der beiden, die übrigens auch Ludwigs Vater nicht begeistert.

In der ersten Hälfte des Buches liegt der Schwerpunkt auf Ludwig. Dann wechselt Primor jedoch regelmäßiger zwischen den Erlebnissen des Deutschen und des Franzosen Louis. So erfährt der Leser, dass nicht nur der deutsche Jude mit antisemitischen Vorurteilen zu kämpfen hat. Doch während Ludwig anfangs dachte, der Krieg hätte die Diskriminierung der Juden beendet, erfährt er 1916, während er sich im Lazarett von einer Verwundung erholt, davon, dass alle an der Front dienenden Juden gezählt würden. Primor baut Ursache und Wirkung dieser Maßnahme, die Folge einer antisemitischen Stimmung in der Bevölkerung, aber auch im Offizierskorps gewesen sei, geschickt in die Dialoge seiner Figuren ein. Auch verdeutlicht er anhand von Ludwigs Erlebnissen an der Ostfront mit osteuropäischen Juden, wie wenig jüdisch die meisten deutschen Juden damals überhaupt noch waren. Zugleich integriert er einige reale Juden der Zeitgeschichte in seine Romanhandlung, so zum Beispiel den Jagdflieger Wilhelm Frankl, Friede Friedmann, die 1933 durch einen Brief an Reichspräsident Hindenburg Bedeutung erlangte, oder den Chemiker Fritz Haber und seine Frau Clara Immerwahr, die nach dem Ersteinsatz des von ihrem Mann erfundenen Giftgases Selbstmord beging.

Je mehr sich das Ende des Buches nähert desto neugieriger fragt sich der Leser, wie denn nun das zu erwartende Aufeinandertreffen von Ludwig und Louis ausgehen wird, denn schließlich stehen sich dann nicht nur ein deutscher und französischer Soldat gegenüber, sondern auch zwei Juden. Doch Primor meidet jeden symbolträchtigen Versöhnungskitsch, sondern bleibt ohne jedes Pathos knallhart realistisch. Und auch am Schluss, als Karoline ihre Zwillinge in den Armen wiegt, gönnt der Autor seinen Lesern kein versöhnliches Ende, denn es folgen noch einige Sätze über Hindenburg und Marshall Philippe Pétain. Rebecca Bellano

Avi Primor: „Süß und ehrenvoll“, Quadriga, Köln 2013, geb., 382 Seiten, 19,99 Euro


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