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21.12.13 / Stille Nächte in Oberndorf / In dem Ort bei Salzburg entstand das berühmteste Weihnachtslied der Welt: Selbst Japaner singen es dort

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-13 vom 21. Dezember 2013

Stille Nächte in Oberndorf
In dem Ort bei Salzburg entstand das berühmteste Weihnachtslied der Welt: Selbst Japaner singen es dort

Weil die Mäuse die Orgel der Pfarrkirche St. Nikolaus angeknabbert und diese unbespielbar gemacht hatten, wurde der Weihnachtsgottesdienst im österreichischen Oberndorf im Jahre 1818 mit Gitarre und zwei Singstimmen zelebriert. Soweit die populärste Version über die Entstehung von „Stille Nacht, heilige Nacht“. Heute kommen jedes Jahr am Heiligen Abend ganze Busladungen mit Touristen aus aller Welt an den Ort, wo zum ersten Mal das „ewige Lied“ erklang.

„Ja mei!“ Die junge Frau im feschen Dirndl holt tief Luft. Einen solchen Ansturm auf ihren Souvenirshop und das angeschlossene Heimatmuseum hat sie selten erlebt. Eine Gruppe Ja­paner unter Führung einer energischen Dame mit rotem Schirm drängt sich schwatzend vor den randvoll mit Andenken gefüllten Vitrinen und Stellagen. Hier werden Rauschgoldengel und Mokkatassen in allen Farben des Regenbogens angeboten neben Be­chern, auf denen die Gedächtnis­kapelle abgebildet ist. Der Renner sind zierliche Porzellanglöck­chen, aus denen silberhell die „Stille Nacht“ perlt. Dem Kitsch sind keine Grenzen gesetzt. Rund um das Jahr fahren Urlauber mit der Regionalbahn von Salzburg nach Oberndorf. Knapp 30 Minuten dauert die Fahrt an jenen Ort, der sich im Laufe der Zeit von einer schlichten Schiffersiedlung zu einem veritablen Wallfahrtsort gemausert hat.

Besonders im Fernen Osten erfreut sich „Stille Nacht, heilige Nacht“ großer Beliebtheit und wird dort mit Inbrunst gesungen. Entstanden ist das berühmteste Weihnachtslied der Welt hier in Oberndorf, dem 5500-Seelenort an der Salzach. Nachdem die Besucher ihre Mitbringsel – unter anderem CDs, Postkarten und Schneekugeln mit integrierter Spieluhr – in Plastiktüten verstaut haben, geht es hinauf zur anmutigen Stille-Nacht-Gedächtniskapelle, die auf der Spitze eines Hügels thront. In einer Nische hängen die eher bescheidenen Porträts von Pfarrer Joseph Mohr und Lehrer Franz Xaver Gruber. „Viele Legenden ranken sich um die Entstehung dieses Dauerbrenners“, erklärt ein Reiseführer seiner Gruppe aus Bayern. Am bekanntesten ist die Geschichte von den Mäusen, die die Orgel der St. Nikolauskirche anknabberten, so dass sie am Weihnachtsabend des Jahres 1818 nicht mehr bespielbar war. Ein Ersatz musste her für die Gläubigen der Gemeinde. Weihnachten ohne weihevolle Musik? Undenkbar. Da fiel dem katholischen Pfarrer Joseph Mohr noch rechtzeitig sein sechsstrophiges Gedicht ein, das in der Schublade seines Arbeitszimmers schlummerte. Die passende Melodie komponierte der Lehrer Franz Xaver Gruber aus dem benachbarten Arnsdorf. Ein aus der Not geborener Geniestreich!

Und so sang der Geistliche den Tenor, begleitet vom Schulmeister, der ihn mit seinem wohlklingenden Bariton und der Gitarre begleitete. Die Gemeinde war begeistert.

Dichtung oder Wahrheit? Eine schöne anrührende Ge­schichte allemal. Bereits kurz nach der „Premiere“ in St. Ni­kolaus trat die „Stille Nacht“ ihren Siegeszug rund um den Erdball an. In über 100 Sprachen und Dialekte wurde das Lied übersetzt und von Missionaren gleichermaßen unter den Bewohnern ferner Südseeinseln und bei den Inuit am Polarkreis verbreitet. Selbst in Suaheli wird es unter der glühenden Sonne Afrikas gesungen.

Oberndorf liegt im nördlichen Flachgau des Salzburger Landes. In der Weihnachtszeit präsentiert sich der kleine Ort als rechtes Musterdorf. Schmucke, reich mit Tannengrün dekorierte Häuser säumen die Straßen und engen Gassen. Überall funkeln bunte Lichter. Verirren kann sich hier keiner. Auch in der früh hereinbrechenden Dunkelheit weist der Wasserturm, das höchste Gebäude weit und breit, dem Fremden schon aus der Ferne den Weg.

Die kleinen Boote an den Ufern der Salzach erinnern an je­ne Zeit, als dieser Ort noch eine Schiffersiedlung war. Die Menschen waren einst bitterarm. Regelmäßig trat die reißende Salzach über die Ufer und überschwemmte die Umgebung. Auch die einstige Pfarrkirche St. Nikolaus wurde so stark unterspült, dass sie abgerissen werden musste, weil das Geld für ihre Sanierung fehlte.

„Dirndl heirat koan Schöffmann, du heiratst in d’Not. Hast im Summa koan Mann und im Winta koan Brot.“ So wurden die jungen Mädchen einst von ihren Müttern vor der Ehe mit einem Hungerleider gewarnt. Als Broterwerb spielt das Schifferhandwerk heutzutage keine Rolle mehr. Die leichten, aus Fichte und Buche gebauten Boote dienen nur noch dem Freizeitvergnügen.

Zum Oberndorfer Pflichtprogramm gehört ein Besuch im Nachbarort Arnsdorf, wo Franz Xaver Gruber weiland als Lehrer, Messner und Organist der Ge­meinde diente. In seiner einstigen Wohnung treten sich die Besucher fast auf die Füße. Während sie sein wurmstichiges Schulpult bestaunen und sich darüber wundern, dass in dem kargen Klassenraum auch heute noch Kinder unterrichtet werden, intoniert das Glockenspiel an der gegenüberliegenden Kirche – na, was wohl – „Stille Nacht, heilige Nacht“. Das ist ein Signal für die japanischen Touristen. Ganz ungezwungen gruppieren sie sich vor dem Portal und schmettern aus voller Kehle: „Kiyoshi konoyoru, hoshiwa hikari“.

Aber so richtig feierlich wird es hier erst am Abend des 24. Dezember eines jeden Jahres nach Einbruch der Dunkelheit, wenn Oberndorf in einer wahren Märchenlandschaft aus schimmerndem Schnee versinkt und in den Bäumen die Eiskristalle glitzern. Dann versammeln sich Tausende von Menschen aus vielen Ländern rund um die Ge­dächtniskapelle. „Da steh’n die Leut’ von überall her. Und ein jeder singt’s Lied in seiner eigenen Sprach‘. Des rührt ans Herz“, bekennt die gestandene Wirtin eines Gasthauses und wischt sich eine heimliche Träne aus dem Auge. Uta Buhr


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