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15.09.17 / Brandenburg fällt in Mathematik durch / Politiker weisen sich gegenseitig die Schuld am Desaster zu, während Studenten Alarm schlagen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-17 vom 15. September 2017

Brandenburg fällt in Mathematik durch
Politiker weisen sich gegenseitig die Schuld am Desaster zu, während Studenten Alarm schlagen
Volker Wittmann

Beim diesjährigen Abitur sind in Brandenburg 6000 Prüflinge am Fach Mathematik gescheitert. Sie sollten Aufgaben lösen, die im Unterricht gar nicht behandelt worden waren. Der Stoff stand zwar auf dem Lehrplan, war aber an 27 von 137 Schulen unter den Tisch gefallen. Erst nach heftigen Protesten gewährte Bildungsminister Günter Baaske (SPD) den betroffenen Schülern einen erneuten Versuch.

„Die Panne zeigt auf erschreckende Weise“, so hieß es in der „Berliner Morgenpost“, „wie lückenhaft der Mathe-Unterricht an einigen Schulen offenbar ist. Die Verantwortlichen müssen dringend nachsitzen.“

Ein schlechtes Zeugnis erhielt vor allem Minister Baaske. Er trägt in erster Linie Verantwortung für die Fünfer und Sechser. Landtagsabgeordneter Gordon Hoffmann von der CDU forderte den Minister auf, „sein Haus in Ordnung zu bringen“. Baaske kündigte Aufklärung an. Mit den Lehrkräften werde besprochen, wie ähnliche Fälle künftig zu vermeiden seien.

„Dies ist auch bitter nötig“, so die „Morgenpost“ weiter, denn der fragliche Stoff, „sollte bereits seit 2014 gelehrt werden.“ Offenbar habe das Ministerium die Ausführung seiner Vorgaben nie überprüft. Jetzt darf man gespannt sein, wie der mathematische Lehrplan an 20 Prozent der höheren Lehranstalten Brandenburgs drei Jahre lang als Luft-nummer überdauern konnte.

Dass die Politik in anderen Bundesländern ihre Hausaufgaben sorgfältiger gemacht hat, ist zu bezweifeln. Schon seit der Jahrtausendwende bemängeln wissenschaftliche Fachverbände den landesweiten Niedergang des Mathematikunterrichts: „An deutschen Hochschulen ist seit einer Dekade ein alarmierender Befund bemerkbar: Wer heute ein Studium in den MINT-Fächern beginnt, in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft oder Technik, hat trotz Hochschulreife selten die dazu nötigen mathematischen Fähigkeiten.“ So heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Deutschen Mathematiker Vereinigung (DMV) der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik (GDM) sowie des Verbands zur Förderung des MINT-Unterrichts, MNU. Die Folgen liegen zu Tage. „Seit Jahren gehören die MINT-Fächer zu den Fachbereichen mit sehr hohen Abbruch-Quoten,“ beklagte Anke Dankers auf der Netzseite von der „Welt“. Nach Angaben des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschafts-Forschung (DZHW) hätten 2012 bundesweit fast die Hälfte der Mathematiker vorzeitig aufgegeben.

Noch im selben Jahr gründeten die Fachverbände eine Kommission „Übergang Schule-Hochschule“. Darin fordern die Gelehrten mehr Zeit und Raum für das Fach Mathematik an Schulen und Universitäten.

Ihr Ruf verhallte ungehört. Statt Forschung und Lehre auszuweiten und zu verstärken, strich die Politik den Bestand zusammen. Die Schulzeit an Gymnasien wurde von neun auf acht Jahre verkürzt. Der Fachbereich Mathematik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, vormals eine eigene Fakultät, hat das Bayerische Kultusministerium mit der Statistik und der Informatik zusammengelegt. Verwaiste Lehrstühle wurden bei Emeritierung der Professoren aufgelöst.

Sparmaßnahmen statt mehr Investitionen in Forschung und Lehre. So kann es kaum besser werden. Zu den schlechten Ergebnissen tragen aber auch überzogene Anforderungen an Studenten bei. So mussten Anwärter auf das Lehramt für Grundschulen in Bayern Kurse über Topologie belegen. Das ist Stoff für Studenten höherer Semester in der Mathematik. Topologie wird deshalb kaum an Gymnasien gelehrt, geschweige denn bei ABC-Schützen. Begründet wurde die Maßnahme mit der Anpassung der Gehälter an die besseren Bezüge von Studienräten der höheren Schulen. Für ein größeres Einkommen seien auch vermehrte Anforderungen anzulegen, hieß es.

An der Freien Universität Berlin sahen sich die Lehramts-Anwärter ebenso überstrapaziert. „Angehende Grundschullehrer fallen reihenweise durch die Klausur“, meldete die Netz-Redaktion von Radio Brandenburg-Berlin (RBB). Die Studenten sollten mathematische Beweise führen, statt zu vermitteln, wie man das Einmaleins erlernt.

„Das schreckt ab“, befand Reporterin Sarah Mühlberger mitfühlend, „dabei braucht Berlin viele neue Lehrer.“ Rund 1000 offenen Stellen stünden gerade einmal 200 Referendare gegenüber, die ihr Studium an Berliner Universitäten erfolgreich abgeschlossen hätten.

Die geplagten FU-Studenten muckten auf. Sie richteten einen offenen Brief an die Dekane der Erziehungswissenschaft und der Mathematik. Darin bemängelten sie die überzogenen Ansprüche an ihr Studium. „Das ist keine Trotzreaktion auf eine schlechte Note,“ erklärte ihre Sprecherin Neele Rother, „aber wir fühlen uns nicht ernstgenommen, weil wir seit Monaten darauf hinweisen, dass die Anforderungen für Grundschul-Pädagogik zu hoch sind.“

Sprecherin Rother fehlte auch der Bezug zur Praxis. Schriftliches Multiplizieren im Dezimal-System etwa werde nur kurz gestreift, obwohl dies einen wesentlichen Teil des Mathe-Unterrichts an Grundschulen ausmache.

Der Vorstoß zeigte Wirkung. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft schaltete sich ein. Ein Sprecher der Behörde erklärte: „Es ist niemandem geholfen, wenn Menschen reihenweise demotiviert oder mit Aufgaben befasst werden, die mit dem Mathe-Unterricht an Grundschulen nichts zu tun haben.“

Kaum Besserung der Leistungen verheißt auch ein Beschluss der Kultusministerkonferenz, die Reifeprüfung bundesweit zu vereinheitlichen. Danach sollen Abiturienten von Flensburg bis zum Bodensee an einem Tag dieselbe Matheprüfung schreiben. Das Ziel sei, das Abitur vergleichbarer und durchsichtiger zu machen.

Bernd Kramer und Karl-Heinz Reith von „Spiegel.de“ halten das für eine Milchmädchenrechnung. Dazu unterscheiden sich die Leistungen in den einzelnen Bundesländern viel zu sehr, wie sie zu bedenken gaben.

Laut dem sogenannten Bildungsmonitor 2016 des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln, liegen die Sachsen mit Abstand vorn. Das Bundesland verfügt demnach über das beste Bildungs-system in ganz Deutschland. Auf Platz zwei folgt Thüringen. Dort kümmern sich vergleichsweise viele Lehrkräfte um jeweils wenige Schüler oder Studenten. Entsprechend nachhaltig sei die Betreuung.

Erst auf Rang drei und vier folgen Bayern und Baden-Württemberg. Auf den Abstiegsplätzen ­

14 und 15 finden sich Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Berlin auf Rang 16 hält die rote Laterne. 

Es würde wenig Sinn haben, das Bildungssystem der denkfaulen Berliner mit dem der tüchtigen Sachsen auf einen Nenner zu bringen. Die andern sollten lieber bei den Musterschülern spicken. 

(siehe auch Kommentar Seite 8)