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19.01.18 / Zwischentöne unerwünscht / Hat der schlesische Literat Wilhelm Szewczyk wegen seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei als Vorbild ausgedient?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-18 vom 19. Januar 2018

Zwischentöne unerwünscht
Hat der schlesische Literat Wilhelm Szewczyk wegen seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei als Vorbild ausgedient?
Chris W. Wagner

Ende Dezember protestierten mehrere hundert Kattowitzer gegen die Umbenennung des Wilhelm-Szewczyk-Platzes in Kattowitz in Maria-und-Lech-Kaczynski-Platz. „Wir stehen auf dem Szewczyk-Platz und nicht auf dem Platz der Kaczynskis, es ist unsere Stadt und es sind unsere Plätze und Straßen“, skandierten die Versammelten. „Die oberschlesische Geschichte ist nicht schwarz-weiß und genauso wenig schwarz-weiß ist die Geschichte Szewczyks“, hieß es in den Reden der Unzufriedenen, die sich auch gegen eine fehlende Diskussion zur Umbenennung auflehnten. Die Protestierenden forderten den Woiwoden auf, die Umbenennung rückgängig zu machen.

Das Präsidentenpaar Kaczynski war 2010 beim Flugzeugabsturz in Smolensk ums Leben gekommen. Die Umbenennung des Platzes erfolgt wegen der „Dekommunisierungskampagne“, in deren Zuge Straßen und öffentliche Plätze ihre bisherige Benennung verlieren müssen, wenn sie nach Kommunisten oder vermeintlichen Befürwortern anderer totalitärer Regime benannt sind. Wilhelm Szewczyk war Germanist, Literaturkritiker, Übersetzer, Schriftsteller, Lyriker und eben auch Mitglied der Kommunistischen Partei.

Der Kattowitzer Woiwode Jaroslaw Wieczorek begründete seinen Umbenennungs-Beschluss mit der Feststellung, Szewczyk habe durch sein „rotes Parteibuch“ das kommunistische System legitimiert. Außerdem holte sich Wieczorek Rückendeckung beim Kattowitzer Institut für Nationales Gedenken.

„Es geht nicht um eine ‚Dekommunisierung‘, sondern darum, wer bei uns die historische Politik ausübt. Die Regierung will ein Monopol darauf haben und wir sind damit nicht einverstanden, dass über unsere Gedenkkultur in Warschau entschieden wird“, sagte Jerzy Gorzelik von der Bewegung für die Autonomie Schlesiens (Ruch Autonomii Slaska) und Gegner der Umbenennungsaktion in einem Interview für die Zeitung „Rzeczpospolita“. Er moniert zudem die Rolle des Institutes für Nationales Gedenken, das zu einer Institution degradiert worden sei, die „in einem banalen Ja-Nein-Binärstystem“ Gutachten erstelle, in denen stehe, wer vom Sockel verschwinden solle. „Es stört Warschau nicht, dass nach Woiwode Michal Grazynski, einem chauvinistischem Vertreter der autokratischen ‚Sanacja‘ (Heilung; System unter Pilsudski), Straßen benannt sind, es stört sie aber ein Wilhelm Szewczyk, der nicht etwa, weil er Kommunist war, zum Patron des Platzes wurde, sondern als Literat. Wir protestieren dagegen, dass man eine Debatte zur Geschichte Oberschlesiens durch administrative Beschlüsse ersetzt“, so Gorzelik.

Unter den Demonstranten waren auch Universitätsdozenten wie Maciej Tramer, der Szewczyk zu den wichtigsten oberschlesischen Schriftstellern zählt. „Er hinterließ zahlreiche Bücher, Gedichte, Romane, Zeitungsartikel und Radiosendungen. Szewczyk war sehr charakteristisch. Nun schaut er auf uns von Oben herab und schämt sich für uns“, zitiert das TV-Portal tvn24 Tramer. Aus Sicht des Polonisten von der Schlesischen Universität Kattowitz hat Szewczyk seine Popularität und Autorität für sein Oberschlesien eingesetzt. Das Gedenken an Szewczyk sei eine „Sache des Anstandes“, so Tramer.

Der vor 26 Jahren verstorbene Szewczyk stammte aus bescheidenen Verhältnissen. Geboren 1916 in einem sogenannten „Familok“, also einem Bergarbeiter-Mietshaus in Czuchow bei Rybnik, wuchs Szewczyk in Rotenau auf. Nach Kattowitz zog er 1935 nach seinem Abitur. Bereits damals schrieb er Gedichte und Artikel für die polnische Zeitschrift „Kuznica” (Schmiede). Bis 1939 war er Literatur-Redakteur beim polnischen Radio Kattowitz. Im Krieg wurde Szewczyk in die Wehrmacht einberufen und kämpfte in der Normandie und in Russland. Nach Kriegsende kehrte er nach Kattowitz zurück und arbeitete in der Abteilung für Information und Propaganda des Woiwodschaftsamtes. 1947 trat er der Kommunistischen Partei bei. Szewczyk war Abgeordneter im Parlament von 1957 bis 1980 mit einer Unterbrechung von 1965 bis 1969.

Die Rezeption Szewczyks mag kontrovers sein, viele seiner Werke weisen propagandistischen Charakter auf, aber wie sonst hätte er damals seine Geschichte der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts herausgeben oder Werke deutscher Literatur ins Polnische übersetzen können. Es ist ihm gelungen, die Liebe zur deutschen Sprache und Literatur seiner Tochter weiterzugeben. Grazyna Barbara Szewczyk, Chefin der germanistischen Fakultät der Universität Kattowitz, machte sich an der nach der politischen Wende neugegründeten Universität Oppeln für die Verbreitung schlesischer Literatur stark. Dank ihres Engagements sind viele fast vergessene deutsche Schriftsteller aus allen Teilen Schlesiens in den Literaturkanon der Germanistikstudenten aufgenommen worden. Als Betreuerin von Magistern und Doktoranten bildete sie eine Reihe von Kennern und Multiplikatoren der deutschen Literatur in Schlesien aus. Sie nahm ebenfalls am Protest gegen die Umbenennung des Szewczyk-Platzes teil.