04.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
23.03.18 / Extreme Regimegegner und staatliche Schläger / Rechtsextremismus konnte es in der DDR nicht geben, weil es ihn nicht geben durfte – Aber es gab ihn

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-18 vom 23. März 2018

Extreme Regimegegner und staatliche Schläger
Rechtsextremismus konnte es in der DDR nicht geben, weil es ihn nicht geben durfte – Aber es gab ihn
Wolfgang Kaufmann

Wenn die AfD in den neuen Bundesländern beeindruckende Wahlergebnisse erzielt oder die Bürger dort gegen die Asylpolitik der Bundesregierung mobil machen, dann wird das oft damit begründet, dass die Menschen in Mitteldeutschland einen traditionellen Hang zum Rechtsextremismus besäßen, der aus der DDR-Zeit herrühre, als man kaum Kontakt zu Ausländern gehabt habe. Die Realität sah allerdings um einiges anders aus.

Trotz der Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalls“, also der Berliner Mauer, im August 1961 gab es auch im „ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“ Rechtsextremisten. Deren Zahl stieg nach Erhebungen der Arbeitsgruppe „Skinheads“ im Zentralen Kriminalamt der DDR sowie der Soziologin Loni Niederländer von der Humboldt-Universität zu Berlin bis 1988 auf rund 15000. Das Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung ging sogar davon aus, dass etwa sechs Prozent aller Jugendlichen im Lande der rechten Szene angehörten oder zumindest stark mit ihr sympathisierten.

Diese Zahlen waren wohl durchaus realistisch, wie ein Blick auf die Masse der einschlägigen Delikte zeigt. Der Historiker Harry Waibel hat in den erhalten gebliebenen Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) 8600 Meldungen über rechtsextreme Straftaten gefunden, wobei es sich hier nur um die Spitze des Eisberges handeln dürfte. Das verdeutlicht eine Statistik über Hakenkreuzschmierereien im Gebäude des Zentralkomitees der SED in Ost-Berlin, also dem absoluten Zentrum der Macht. Innerhalb von nur fünf Jahren ereigneten sich dort 38 solcher Vorfälle.

Ebenso registrierten die Behörden Übergriffe gegen Ausländer, die es entgegen einer vielfach kolportierten anderslautenden Legende auch in der DDR gab. Während es 1961 noch 18500 Ausländer waren, zählte man 1989 bereits 191000 – zusätzlich zu den mehr als 500000 Angehörigen der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD), die faktisch überall präsent waren. Besonders viele nichtrussische Ausländer kamen dabei aus den Bruderstaaten Vietnam, Polen und Mosambik. Dafür zeichnete der Stasi-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski verantwortlich, dessen Abteilung Kommerzielle Koordinierung auch die Vertragsarbeiter rekrutierte. Diese „Gäste“ verhielten sich keineswegs immer vorbildlich. So zogen manche Vietnamesen einen schwunghaften Schwarzhandel mit Computern auf, während die Mosambikaner eher durch alkoholische Exzesse und Schlägereien auffielen. Solche „Ansätze parasitärer Lebensweisen“ – wie das MfS es nannte – erregten natürlich den Unwillen der Bevölkerung und verschafften der DDR-Rechtsextremistenszene viel Zulauf.

Letztere hatte sich nicht nur den Kampf gegen vietnamesische Geschäftemacher oder schwarzafrikanische Randalierer auf die Fahnen geschrieben, sondern betrachtete auch die Besatzer aus der UdSSR als Feinde. Davon zeugen zahlreiche Denkmalsschändungen und Schmähparolen im öffentlichen Raum. Ja, manche Gruppen planten sogar Terroranschläge gegen Soldaten oder Militärgerät der GSSD. Hier zeigt sich ein Wesenszug des DDR-Rechtsextremismus, der nur allzu oft übersehen wird. Zielscheibe des Hasses waren neben Ausländern mit problematischem Verhalten ebenso das sozialistische System als solches, die SED-Regierung und die Angehörigen der Roten Armee auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik. Oder anders ausgedrückt: „Neonazi“ zu sein, stellte eine der extremsten Formen des Widerstandes gegen das Regime in Ost-Berlin und dessen Unterstützer im Kreml dar.

Da gemäß der reinen Lehre im Sozialismus mit dem Kapitalismus auch die Kriminalität und der Rechtsextremismus überwunden sind, spielte das MfS das Problem herunter, wo es nur irgendwie ging. Das zeigte sich beispielsweise darin, dass die Staatssicherheit noch im Dezember 1988 offiziell nur von 1034 Rechtsextremen in der ganzen DDR ausging. Nichtsdestoweniger demonstrierte der zuständige Minister Erich Mielke Härte und autorisierte am 30. Januar 1988 den Schusswaffeneinsatz bei rechtsradikalen Ausschreitungen. Ähnlich wie in der Bundesrepublik war auch in der DDR die Rechtsextremistenszene mit V-Leuten durchsetzt, in der DDR „Inoffizielle Mitarbeiter“ genannt. Der frühere Leiter der Kripo-AG „Skinheads“, Oberstleutnant a. D. Bernd Wagner, berichtete nach der „Wende“ sogar von zwei „Kunstgruppen“ des MfS, die nur aus solchen Personen bestanden und möglicherweise bei den schweren Krawallen im Ok­to­ber 1989 am Dresdner Hauptbahnhof als Provokateure zum Einsatz kamen. 

Ein weiterer Zweck dieser Staats-Rechtsextremen war die Einschüchterung von linken Systemkritikern und unbotmäßigen Kirchenfunktionären. Letzteren drohte die Staatssicherheit in den 1980er Jahren gerne damit, dass es „leider“ zu „neonazistischen“ Attacken kommen könne, wenn die Gemeinde ihr Gotteshaus für Veranstaltungen der Umwelt- oder Bürgerrechtsbewegung öffne. Und genauso geschah es dann auch am 17. Oktober 1987, als rund 30 DDR-Skinheads unter „Sturmbannführer“ Ronny B. mit „Sieg Heil!“-Rufen in die Ost-Berliner Zionskirche eindrangen und dort das von Regimegegnern organisierte Konzert der Punkbands „Die Firma“ und „Element of Crime“ sprengten, indem sie mit Fahrradketten oder Eisenstangen auf die Besucher einprügelten. Die vorab informierten Sicherheitskräfte, welche die Kirche umstellt hatten, griffen weder schützend ein, noch machten sie die Täter dingfest.

Es gab also in der DDR neben einem Rechtsextremismus, der in Opposition zum Staat stand, offenbar auch einen Staats-Rechtsextremismus, der ähnlich wie die Antifa in der Bundesrepublik die Opposition unter Einsatz von Gewalt bekämpfte und insofern systemstabilisierend wirkte. Die Einlassungen mancher heutiger Linkspolitiker, der Rechtsextremismus sei kein genuines DDR-Phänomen gewesen, sondern erst nach der „Wende“ aus dem Westen herübergeschwappt oder zumindest eine Reaktion auf das „Überstülpen des kapitalistischen Systems“, entbehren also jedweder Grundlage.