06.05.2024

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06.04.18 / Mein Freund Wassiljew

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-18 vom 06. April 2018

Mein Freund Wassiljew
Theo Maass

Wassiljew ist eigentlich Deutscher. Er kam in den 90er Jahren nach Deutschland und blieb in Berlin hängen. Seine Eltern tauften ihn Wilhelm, aber vom Land seiner Vorfahren ist er enttäuscht. Er schimpft: Kohl ging ja noch, aber Merkel jetzt sei ganz schlimm. Wassiljew fühlt sich heimatlos. Deswegen hat er auch umgangssprachlich wieder seinen russischen Namen angenommen, obwohl er in Sibirien von den Russen meist nur Ablehnung und Demütigungen           erfahren hat. 

Zunächst hatte er Arbeit – nix dolles, aber immerhin, Frau, Kinder und Wohnung. Also eine richtige Familie. Seine Ehe scheiterte, seine Arbeit verlor er genauso wie seine Wohnung, und nun lebt er auf der Straße. Trotzdem versucht er, nicht zu verwahrlosen. 

Neulich traf ich ihn wieder. Er berichtete mir von einem Problem. Kurzfristig war es wieder sehr kalt geworden. Wassiljews Geheimtipp war die Filiale der Commerzbank in Berlin-Zehlendorf am Teltower Damm. Wenn die letzten Angestellten Feierabend machten, war trotzdem immer noch was los. Kontoauszugsdrucker und Geldautomaten werden bis in die mitternächtlichen Stunden genutzt. Wenn keiner mehr kam, kam er. Erst jetzt machte es sich Wassiljew im Vorraum der Filiale gemütlich und gönnte sich seine Nachtruhe in warmer Umgebung. 

Seit einigen Wochen geht das aber nicht mehr. Die Zerstörungswut von Randalierern hat die Commerzbank veranlasst, ihre Filialen ab 23 Uhr zu verschließen. Erst um 6 Uhr kann man dort wieder an den Geldautomaten. Wassiljew steht in der Kälte und hat Mühe, einen Schlafplatz zu finden. Aus seinem Zorn wurde Wut. Ja, fast kann man schon von Hass auf die Kanzlerin  sprechen. Seine Phantasien sind wirklich nicht zitierfähig. Er will sich nun trotz aller bürokratischen Hemmnisse wieder „Papiere“ besorgen, um nächstens wieder wählen zu können. Irgendwer müsse doch was gegen Merkel unternehmen, findet er.

Anklagend weist Wassiljew auf den Zigeuner, der nicht weit von der Bankfiliale steht und die Obdachlosenzeitung verkauft, und irgendwelche ausländischen Bettler, die erfolgreich die Porsche fahrende Hausfrau anbetteln. Die gebe gern, um ihr eigenes Gewissen zu beruhigen, weil es ihr so gut gehe. Putin würde so etwas in Russland nicht dulden. Aber dorthin will er nicht zurück. Er ist ja Deutscher. In den nächsten Wochen soll es wärmer werden, dann            zieht er wieder auf seine angestammte Parkbank um. Ich stecke ihm zehn Euro zu – Wassiljew strahlt.