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11.05.18 / Wendezeit in Armenien / »Samtene Revolution« in der Kaukasusrepublik – Die Opposition stellt jetzt den neuen Regierungschef

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-18 vom 11. Mai 2018

Wendezeit in Armenien
»Samtene Revolution« in der Kaukasusrepublik – Die Opposition stellt jetzt den neuen Regierungschef
Bodo Bost

Nachdem der Präsident Sersch Sargsjan die Verfassung zu seinen Gunsten hatte ändern lassen und sich eine umstrittene dritte Amtszeit, diesmal als Ministerpräsident hatte gönnen wollen, entlud sich die Volkswut. Sargsjan trat zurück. Dafür ist mit Nikol Paschinjan der Anführer der Opposition zum Regierungschef gewählt worden.

Seit Anfang April demonstrierten in Armenien immer mehr Menschen gegen den Präsidenten und späteren Ministerpräsidenten Sargsjan, bis dieser schließlich am 23. April zurücktrat und der Opposition unter Leitung von Paschinjan das Feld überließ. Damit ist der Protestführer seinem Ziel näher gekommen, Ministerpräsident zu werden. Die derzeit regierende Republikanische Partei (HHK) hatte bei der ersten Abstimmung im Parlament am 1. Mai keinen eigenen Kandidaten aufgestellt. Sie aber hat die Mehrheit im Parlament, weshalb Oppositionsführer Paschinjan, der einzige Kandidat, damals gescheitert ist. Er hatte unter anderem angekündigt, dass unter seiner Führung auch Mitglieder der bisherigen Führung ein Amt erhalten könnten. Sargsjans HHK hat im Parlament 58 von insgesamt 105 Sitzen, die Oppositionspartei BHK 31, Paschinjans Parteienbündnis Jelk neun Sitze und die sozialdemokratischen Daschnakzutjun haben sieben Abgeordnete. Am 8. Mai stellte sich Paschinjan zum zweiten Wahlgang. Mit Unterstützung des politischen Gegners wurde er zum Premierminister gewählt. 

Seit Beginn der Proteste zog der Oppositionsführer Paschinjan in der Art eines Wandermönches mit Wanderstiefeln und Rucksack durch Armenien und hielt überall Reden, die das Volk begeisterten. Zuletzt hatte er auch die Unterstützung durch die Armee, die Polizei sowie die armenische Kirche und damit die wichtigsten Institutionen im Lande.

Paschinjan macht Sargsjan, der seit Jahrzehnten die Politik bestimmt, auch für Armut, Korruption und den großen Einfluss von Oligarchen in der Kaukasusrepublik verantwortlich. Paschinjan strebt nach eigenen Angaben eine „friedliche samtene Revolution“ in Armenien an. 

Der 63-jährige Sargsjan wollte sich ähnlich wie Putin dauerhaft die Macht sichern. Als er Anfang April nach zwei Amtszeiten aus dem Präsidentenamt ausscheiden musste, ließ er sich gleich darauf zum neuen Ministerpräsidenten wählen. Durch eine umstrittene Verfassungsreform, die im Dezember 2015 per Referendum gebilligt wurde und nun in Kraft trat, wurde das Amt des Ministerpräsidenten deutlich aufgewertet. 

Seit Armenien 1991 die Unabhängigkeit von der Sowjetunion  erreicht hat, haben allein fast eine Million Armenier ihre Heimat verlassen, um sich im Ausland, vornehmlich in Russland, ein besseres Überleben zu sichern. Ihre Heimat wurde in dieser Zeit von korrupten Politikern an einige wenige Oligarchen verschachert. Diese Ungerechtigkeit will jetzt eine zum großen Teil außerparlamentarische Opposition rückgängig machen. Im Februar und März 2008, als der schon damals als Ministerpräsident amtierende Sargsjan mit OSZE-bestätigten 53 Prozent erstmals zum Staatspräsidenten gewählt worden ist, hatte es in Armenien ebenfalls größere Proteste gegeben, bei denen mindestens zehn Menschen starben. Sieben Jahre später kam es erneut zu Demonstrationen, deren Auslöser eine 16-prozentige Strompreiserhöhung und die Einführung eines Rentenbeitrags waren.

Aus diesen Protesten gingen Paschinjan und seine Partei Jelk hervor. Wie beim Kiewer Majdan hat sich Jelk die Farbe Orange zu ihrer Farbe gemacht. Paschinjan wehrt sich jedoch gegen alle Vergleiche mit dem Kiewer Majdan. Eine antirussische Stimmung wie in der Westukraine gibt es in Armenien nicht. Denn Russland garantiert mit Truppen im Land die Sicherheit Armeniens vor allem gegen den verfeindeten Nachbarn Aserbaidschan, mit dem Armenien immer noch im Kriegszustand ist.

1992 half Armenien den mehrheitlich armenischen Bewohnern der Enklave Bergkarabach, sich von Aserbaidschan loszusagen und sich mit Armenien zu vereinen. Seitdem versucht Aserbaidschan, mit militärischen Angriffen dieses Gebiet und die zwischen Armenien und Bergkarabach liegende Landverbindung zurückzuerobern. 

Vor zwei Jahren lieferte sich das mit russischen Waffen unterstützte Aserbaidschan sogar einen vier Tage langen Krieg mit Armenien, wobei Armenien Dutzende Soldaten und 800 Hektar Territorium verlor. Damals erlangte die armenische Gesellschaft die Erkenntnis, dass man sich nicht auf die Sicherheitsgarantien aus Moskau und anderer Mitglieder der OSZE verlassen kann. Man glaubt jetzt, nachdem Russland wegen Syrien seine Beziehungen zur Türkei weiter verbessert hat, dass Mos­kau seine Sicherheitsgarantie für Armenien nur noch aufrechterhält, falls Armenien zu Zugeständnissen in der Karabach-Frage bereit ist. 

Sargsjan selbst stammt aus Bergkarabach und hat viele seiner Landsleute in Eriwan in gute Positionen verholfen. Im letzten Jahr hatte es deshalb bereits eine politische Geiselnahme durch den Karabach-Veteranen Sefiljan gegeben. Vor allem die über eine Million Auslandsarmenier fordern immer mehr eine Aufkündigung des 2014 von Sargsjan unterzeichneten Beitritts zur Eurasischen Wirtschaftsunion Putins und  stattdessen eine Annäherung an die EU, nach dem Vorbild des Nachbarlandes Georgien. Paschinjan hatte indessen bereits angekündigt, die Mitgliedschaft in der Eurasischen Union nicht infrage zu stellen und auch keine „geopolitische Kehrtwende“ einzuleiten.