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10.08.18 / Irgendwer streikt fast immer / Warum Arbeitsniederlegungen in Frankreich an der Tagesordnung sind

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-18 vom 10. August 2018

Irgendwer streikt fast immer
Warum Arbeitsniederlegungen in Frankreich an der Tagesordnung sind

Frankreich steht im Ruf des Weltmeisters in Sachen Streiks und Arbeitsstopps, vor allem bei staatlichen Organisationen wie SNCF (Eisenbahn), Post und Air France. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung hat Frankreich mehr Staatsangestellte als die USA oder andere Länder in Europa. 

Erstaunlicherweise haben Gewerkschaften in Frankreich sehr niedrige Mitgliederzahlen. Laut dem Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) sind 7,7 Prozent in Frankreich, 17,7 Prozent in Deutschland, 36,9 Prozent in Italien, 67,7 Prozent in Schweden und 68,6 Prozent in Finnland gewerkschaftlich organisiert. Im Jahr 2016 zählte die CGT 2,6 Prozent der Gehaltsempfänger. Andererseits liegt Frankreich mit 139 Streiktagen pro 1000 vor der Bundesrepublik (16), Großbritannien (23), Österreich (2) und der Schweiz (1). 

Die Confédération générale du travail (CGT, Allgemeiner Gewerkschaftsbund) behauptet, die häufigen Streiks würden die hohe Produktivität des Landes nicht beeinflussen. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt diese jedoch an 14. Stelle unter den produktivsten Ländern.

Gegenwärtig benutzt die CGT ein neues System, um die von der Regierung Macron geplante sowie von Volk und Parlament erwünschte notwendige Reform der Société nationale des chemins de fer français (SNCF, Nationale Gesellschaft der französischen Eisenbahnen) zu verhindern, einen „gleitenden“ Streik von zwei Tagen in Abständen von jeweils fünf Tagen, auch an Wochenenden und im Juni, als Abiturienten nach Paris zu Prüfungen fahren mussten. Der Zweck ist, merkliche Verdienstausfälle für die Streikenden zu vermeiden. 

Die Reform ging Ende Juni durch Parlament und Senat, die CGT streikte am ersten großen Ferienwochenende jedoch weiter. Bisher kostete der Streik rund 320 Millionen Euro, zu denen noch 34 Milliarden Euro Schulden der SNCF kommen, für die der Staat, das heißt der Steuerzahler 

– auch die „cheminots“ –, aufkommen müssen. 

„Cheminots“ (Eisenbahner) sind die hauptsächlich auf Strecken und anderweitig mobil arbeitenden Angestellten, die einem gesonderten, überaus vorteilhaften Sozialsystem unterliegen, das bis auf die Nachkriegszeit zurückgeht, als 26 Prozent der Bürger kommunistisch wählten.

Gleichzeitig führen die Piloten der Air France, die zu den bestbezahlten in Europa gehören, einen Langzeitstreik, durch den europaweit ein Drittel aller Flüge Verspätung haben und die Air France wie bereits vor drei bis vier Jahren an den Rand des Bankrotts gerät.

Laut allen Statistiken sind die Gewerkschaften für die seit Jahrzehnten in Frankreich herrschende Streikkultur verantwortlich, die dementsprechende Verluste an Produktivität hervorgerufen hat – insbesondere, nachdem fünf Gewerkschaften „repräsentativ“ sind, das heißt ausschließlich im Namen aller Gehaltsempfänger verhandeln. 

Die CGT prangert den drohenden Untergang des öffentlichen Dienstes an, des „sozialen Modells, um das die Welt Frankreich beneidet“. Das steht jedoch keineswegs zur Debatte. Der Abbau dieses Systems würde eine Revolution wie 1789 auslösen. 

Aller Propaganda entkleidet geht es der CGT nicht so sehr um die von Brüssel verlangte Öffnung für die Konkurrenz, sondern um die Sonderrechte der „Cheminots“, die durch das neue Gesetz abgeschafft werden. Neu eintretende Angestellte der SNCF werden in Zukunft wie andere Staatsangestellte entlohnt und versichert. Die CGT warnt, dies bedeute das Ende neuer Einstellungen, was bei 9,3 Prozent Arbeitslosigkeit allerdings kaum haltbar ist. Auch um die Sécurité Sociale (Sozialversicherung), die allgemeine Krankenkasse und den öffentlichen Dienst geht es letzten Endes nicht. 

Die fünf offiziell verhandlungsberechtigten Gewerkschaften der Arbeitnehmer, vor allem die CGT, fechten die sinkenden Mitgliederzahlen nicht an. Das System ihrer Finanzierung ist zumindest teilweise schleierhaft. Noch 1985 kam ein Zuschuss von zehn Millionen Francs aus sowjetischen Kassen. Ein Bericht des Abgeordneten Perruchot aus dem Jahr 2011 wurde unterdrückt und ist bis heute nur teilweise zugänglich. Er deckte auf, dass die Gesamtmitgliederzahl der Gewerkschaften in den letzten 50 Jahren auf ein Viertel gesunken ist, während die finanziellen Mittel auf das 20-fache anstiegen. 90 Prozent der Einkünfte kommen aus Abgaben der Arbeitgeber, vier bis fünf Prozent vom Staat und den Regionen, dazu kommt Arbeitslosenunterstützung, Krankenkasse und das staatliche Fortbildungsprogramm. Mitglieder steuern nur drei bis vier Prozent bei. 

Ein Bericht über die annähernd eine monopolartige Stellung besitzende nationale Lehrergewerkschaft „Fédération de l’Education Nationale“ FEN des Bildungswesens wurde ebenfalls verhindert. Der Autor erwähnte in privatem Kreis beispielweise, dass mehrere Hundert Mitglieder keine Stunde Unterricht leisteten, das heißt mit vom Steuerzahler bezogenem Gehalt voll für die FEN tätig sind. Andere Mitglieder stünden höchstens fünf Stunden pro Monat vor einer Klasse. 

Trotz ständig sinkender Mitgliederzahlen haben es die Organisationen bislang nicht nötig, sich für die Gehaltsempfänger einzusetzen. Eigene interne Interessen haben für sie Vorrang, auch wenn die ständigen und oft gewalttätigen Streiks im Volk auf sinkende Unterstützung stoßen und und steigende Ungeduld hervorrufen.L.B.