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17.08.18 / Königsbergs Rentner begehren auf / Gebietsduma unterstützt Rentenreform der Regierung – 2500 Menschen nahmen an Protesten teil

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-18 vom 17. August 2018

Königsbergs Rentner begehren auf
Gebietsduma unterstützt Rentenreform der Regierung – 2500 Menschen nahmen an Protesten teil
J. Tschernyschew

Russlandweit gehen Menschen gegen die geplante Erhöhung des Renteneintrittsalters auf die Straße. Nun hat die Protestwelle auch Königsberg erreicht.

Im Schatten der Fußballweltmeisterschaft hat die russische Regierung eine epochale Rentenreform beschlossen. Zwar wurde eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auch in der Vergangenheit mehrfach erörtert, aber das Ergebnis blieb immer offen, da das Thema äußerst unpopulär ist. Das Renteneintrittsalter ist in Russland fast das niedrigste weltweit: 55 Jahre für Frauen und 60 für Männer. Diese Altersgrenzen wurden 1932 in der UdSSR als eine der wichtigsten Errungenschaften der Sowjetmacht eingeführt. Und nun, 85 Jahre später, scheint diese obsolet.

Solange die Fußball-WM lief, war die Öffentlichkeit abgelenkt, doch danach rückte die Rentenreform in den Fokus der Aufmerksamkeit. Um die Bürger zu besänftigen, erklärte die Regierung, dass die Rentner 2019 eine Erhöhung bekommen sollen: Die durchschnittliche Rente werde um 1000 Rubel (13,10 Euro) steigen. Jedoch wird die Anpassung proportional zur Höhe der bisherigen Rente erfolgen. Das heißt, nicht jeder wird die 1000 Rubel erhalten, sondern der eine mehr und der andere weniger. Im Jahr 2018 liegt die durchschnittliche Rente bei 13300 Rubel (174 Euro). Und nur diejenigen Rentner, die nicht arbeiten, sollen die Erhöhung erhalten. In Russland arbeitet aber nach Erreichen des Rentenalters gut ein Drittel der Rentner weiter. Die Rentenanpassung erhält ein arbeitender Ruhetändler nur, wenn er seine Arbeit aufgibt. 

Zwar hat die Regierung auch über einen Zusatzbetrag für arbeitende Rentner nachgedacht, aber die Anpassung beträgt maximal 235 Rubel (drei Euro). Sie wird individuell vorgenommen und richtet sich nach dem Gesamteinkommen eines Rentners. Wie die öffentlichen Umfragen zeigen, lehnen 89 Prozent die beschlossene Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre für Männer und 63 Jahre für Frauen ab. Die überwiegende Mehrheit hält die bisherige Regelung für optimal. 

Wladimir Putin hat lange zu dem Thema geschwiegen. Seine Position hat er in Königsberg im neuen Stadion geäußert bei einem Treffen mit freiwilligen WM-Helfern. Er erklärte, dass ihm „keine einzige Variante der vorgeschlagenen Reformen“ gefalle, aber man müsse über die Perspektiven nachdenken. Der Präsident sagte, eine endgültige Lösung dieses Problems habe er nicht. Er empfahl, erst alle Meinungen zum Renteneintrittsalter zu berücksichtigen, ehe man eine  endgültige Entscheidung treffe.

Die Regionalregierungen vertreten eine andere Meinung. Die meisten Regionen haben der Staatsduma grünes Licht zur Erhöhung des Renteneintrittsalters gegeben. Auch die Königsberger Gebietsduma hat ihre Unterstützung für die Rentenreform zugesagt. Den Abgeordneten wurde der Gesetzesentwurf zur Durchsicht vorgelegt, jedoch wurde er nicht öffentlich erörtert, sondern die Stimmen wurden per Fragebögen gesammelt. Alle Oppositionsparteien, die in der Gebietsduma vertreten sind, stimmten gegen die Reform. Aber 27 von 40 Abgeordneten, die die Partei „Einiges Russland“ vertreten, sprachen sich für eine Unterstützung aus.

Die öffentliche Reaktion auf die geplante Rentenreform kam in Königsberg verspätet. Gab es in anderen Städten unmittelbar nach dem Ende der Fußball-WM die ersten Protestkundgebungen, erfolgten die ersten in Königsberg zehn Tage nach dem Ende der Spiele.

Vor allem die Königsberger Regionalfraktion der Partei Liberaldemokratischen Partei Russlands (LDPR) baute sich vor dem Kosmonautendenkmal vor dem Baltika-Stadion auf. Die Teilnehmer der Protestaktion hielten Plakate mit der Aufschrift „Stoppt die Erhöhung des Renteneintrittsalters“ in den Händen. Bei der Aktion wurde die neue Rentenreform durch den Tod mit Sense personifiziert. Er hatte das Plakat umgehängt: „Durch mich in den Ruhestand“. Daneben fand eine Demonstration im Südpark statt, an der zirka 2500 Menschen teilnahmen. Neben den Organisatoren der „Kommunistischen Partei Russlands“, und der Gebiets-Gewerkschaft nahmen Vertreter der Partei „Jabloko“, „Sprawedliwaja Rossija“, der „LDPR“ sowie der „Unabhängigen Gewerkschaften Russlands“ teil. 

Bei der Protestaktion war davon die Rede, dass die Rentenreform gleichzeitig mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Benzinpreise sowie der Hausnebenkosten beschlossen wurde. Deshalb könne die bescheidene Rentenerhöhung, die der Staat für kommendes Jahr angekündigt hat, die Preissteigerungen nicht mal annähernd kompensieren. 

Im Königsberger Gebiet liegt  die durschschnittliche Lebenserwartung unter der  in Russland,  bei Frauen 75 Jahre und bei Männer 65 Jahre. Wenn also das Rentenalter für Männer auf 65 erhöht wird, dürften viele die Rente kaum noch erleben. 

Inzwischen wurde der Gesetzesentwurf zur Rentenreform in erster Lesung von der Staatsduma ohne irgendwelche Veränderungen angenommen. Dafür haben nur die Abgeordneten der Partei „Einiges Russland“ gestimmt. Wegen der anhaltenden Proteste werden jedoch mit aller Wahrscheinlichkeit  vor der zweiten Lesung im Herbst Veränderungen vorgenommen.