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26.10.18 / Ministerin fordert Aufarbeitung der 90er Jahre

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-18 vom 26. Oktober 2018

Ministerin fordert Aufarbeitung der 90er Jahre

In ihrem Buch „Integriert doch erst mal uns!“ fordert Sachsens Ministerin für Integration und Gleichstellung Petra Köpping (SPD) eine gesamtdeutsche Aufarbeitung der Nachwendezeit in Mitteldeutschland. „Weshalb sind Rechtspopulisten im Osten stärker als im Westen, warum kommt die Deutsche Einheit ... nicht voran ..., warum gibt es im Westen einen anhaltenden Chauvinismus und derart viele Vorurteile gegen uns Ostdeutsche?“, fragt sie. Die von ihr mit Verve in die Öffentlichkeit getragene Debatte solle keinesfalls spalten. Doch sie sei überfällig und zwingend notwendig, nicht zuletzt zum Verständnis der Wut vieler mitteldeutscher Bürger und ihres Misstrauens gegenüber der Bundesregierung. 

Tatsächlich hat bisher keine politische Partei dieses brisante Thema besetzt. In Westdeutschland bestehe nach wie vor kaum Inte-resse an dem Komplex, glaubt Köpping. Geboren 1958 in der Nähe von Erfurt, hat sie 1990 selbst einen beruflichen Rück-schlag erlebt. Jedoch wurde sie nicht arbeitslos wie Millionen Mitteldeutsche nach dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. 

Seit ihrer Amtsübernahme 2014 hatten der Ministerin Bürger aller neuen Bundesländer in kommunalpolitischen Gesprächsrunden immer wieder ihre erlebten Ver-

luste durch die Umbrüche in den 90er Jahren geschildert. Sie stieß auf ein gesamtgesellschaftliches Trauma, das auch von den überregionalen Medien bislang kaum bearbeitet worden ist. Weit verbreitet ist in Mitteldeutschland die Überzeugung, in der eigenen Region wirtschaftlich uneinholbar abgehängt worden zu sein. Die Menschen berichteten ihr vom Verlust des Arbeitsplatzes und der Betriebsrenten, Abwertung der Berufsabschlüsse, Abwanderung der Jüngeren aus den ausblutenden Regionen bis hin zur Erfahrung, von den Eliten aus Westdeutschland bevormundet zu werden, die seinerzeit überall vor Ort das Ruder übernahmen. 

Derzeit werden die riesigen Aktenbestände der Treuhandanstalt für die Nutzung ab 2020 aufbereitet. Zuständig war die Treuhand für die Sicherung, Privatisierung oder Abwicklung von rund 8500 Indus-trie- und landwirtschaftlichen Betrieben. Nach Ansicht von Betroffenen, mit denen Köpping ins Gespräch kam, waren dabei wesentlich häufiger Ungerechtigkeit, Ausverkauf und Betrug im Spiel, als die einzelnen bekannt gewordenen Fälle von Fördermittelmissbrauch und Wirtschaftskriminalität im Umfeld der Privatisierungen vermuten lassen. Abgesegnet waren die Vorgänge durch die Maßgaben der Treuhandanstalt. Welch ungeheure gesellschaftspolitische Sprengkraft dem Thema innewohnt, ist von der Bundesregierung und den Parteispitzen von CDU und SPD offenbar erst in jüngerer Zeit realisiert worden. Schon aus diesem Grund ist die Autorin erkennbar um eine ausgewogene Erzählung bemüht. 

Es dürfte kaum bekannt sein, dass es einer Entscheidung der damaligen CDU-CSU-FDP-Bundesregierung geschuldet ist, dass ein Großteil der Treuhand-Akten als Verschlusssache eingestuft wurde, die damit 30 Jahre unter Verschluss bleiben mussten. Schrittweise werden inzwischen die Dokumente der Treuhandnachfolgebehörde BvS an das Bundesarchiv überführt. 

Ebenfalls kaum beachtet von der Öffentlichkeit begann 2016 die Aufarbeitung der Dokumente – das Aufarbeitungsprojekt hatte das CDU-geführte Finanzministerium unter Minister Wolfgang Schäuble ohne Ausschreibung an das als politisch eher konservativ geltende Münchener Institut für Zeitgeschichte vergeben. Hat sich das Bundesfinanzministerium damit einen uneinholbaren Vorsprung im Deutungskampf um die Treuhand und ihr Vermächtnis verschafft? 

Köpping fordert, es sollten sich weitere Institute an der Aufarbeitung beteiligen. Ihr Buch ist außerordentlich lesenswert. Unterdessen geht in Mitteldeutschland der Ausverkauf von Immobilien an Investoren aus Westdeutschland und dem Ausland weiter. Hier besteht dringender Handlungsbedarf der Regierung, die bisher den Kräften des Marktes freien Spielraum ließ und selbst maßgeblich an diesen Vorgängen beteiligt war. D.J.

Petra Köpping: „Integriert doch erst mal uns! Eine Streitschrift für den Osten“, Ch. Links Verlag, Berlin 2018, broschiert, 204 Seiten, 18 Euro