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14.12.18 / Unterschätzte Lederhosennachbarn / Der Publizist Peter Meier-Bergfeld zur Lage in Österreich nach einem Jahr Schwarz-Blau

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-18 vom 14. Dezember 2018

Unterschätzte Lederhosennachbarn
Der Publizist Peter Meier-Bergfeld zur Lage in Österreich nach einem Jahr Schwarz-Blau

Seit gut einem Jahr regiert in Österreich eine schwarz-blaue Regierungskoalition unter der Führung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Insbesondere die Beteiligung der Freiheitlichen Partei, die von Konkurrenzparteien als „populistisch“ bezeichnet wird, erweckte Argwohn und Befürchtungen vor allem im linken Lager. Was das junge Regierungsgespann nach zwölf Monaten geleistet hat und wie es in die besonderen Verhältnisse der Alpenrepublik einzuordnen ist, darüber sprach Bernd Kallina in Graz mit dem langjährigen Korrespondenten der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“ und späteren Mitarbeiter der „Zeit“ Peter Meier-Bergfeld.

PAZ: Viele patriotisch orientierte bundesdeutsche Wähler schielen in heimlicher Sympathie nach Österreich. Dort regiert seit einem Jahr eine schwarz-blaue Regierung ziemlich erfolgreich. Wieso wurde dort etwas möglich, was bei uns bis jetzt undenkbar erscheint, zum Beispiel eine bürgerliche Koalition unter Einschluss der AfD?

Peter Meier-Bergfeld: Die Sympathie ist nicht nur heimlich. Die der AfD ist offen. Es gab immer in der ÖVP auch „Nationale“, inzwischen „Österreich-Nationale“. Die FPÖ hat in ihrem Parteiprogramm „die gemeinsame deutsche Kulturnation“ stehen. Da passt immer noch etwas zusammen. In Österreich gibt es bei den Menschen keinen nationalen Selbsthass, sondern Stolz auf das Eigene. Das liegt auch daran, dass – obwohl unwahr – Austria sich nach 1945 als „erstes Opfer Hitlers“ definierte. Das ermöglichte es, die „Umerziehung“ – siehe dazu auch Cas-par von Schrenck-Notzings Grundlagenwerk: „Charakterwäsche – Die Reeducation der Deutschen und ihre bleibenden Auswirkungen“ – hintanzuhalten bis weit in die 80er Jahre hinein. 

Danach kam, auf der einen Seite, zwar eine zum Teil Lügen-Kampagne gegen Kurt Waldheim, allen voran vom „Spiegel“. Auf der anderen aber sind die Opfer der 30er Jahre nicht vergessen: Das waren seinerzeit die Sozialisten (heute Sozialdemokraten) und die Nationalsozialisten – eingesperrt in sogenannten Anhaltelagern von den Christlichsozialen unter Dollfuß und Schuschnigg. Bruno Kreisky, der spätere Bundeskanzler, hat in einer Zelle mit einem Nationalsozialisten gesessen. Das ist eine andere mentale Ausgangsposition als in (West-) Deutschland. In Österreich gab es 1945 sofort eine gesamtnationale Regierung, die Verfassung von 1920/29 wurde wieder in Kraft gesetzt. Es gab kein „verordnetes“ Grundgesetz, keinen „Verfassungsbogen“. Die Besatzung der Hauptstadt und des ganzen Landes dauerte nur bis 1955. 

Dazu kam der Status der „Neutralität“ und keine enge „Westbindung“. Und eine Massenzeitung, zeitweise mit einer Reichweite von 43 Prozent, die „Kronenzeitung“, in der der „Raum des Sagbaren“ erheblich größer ist als in Deutschland. Die unterschiedliche Reaktion auf die Massenmigration hat das alles aktualisiert.

PAZ: Liegt das nur an der anderen geschichtspolitischen Gesamtsituation Österreichs, die Sie gerade erläutert haben, oder sehen Sie auch andere Gründe, zum Beispiel die auffälligen Mentalitätsunterschiede zwischen, verkürzt gesagt, „Preußen“ und „Österreichern“?

Meier-Bergfeld: Ja, es gibt diese Unterschiede. „Die Arbeit der Zuspitzung“, so ein Buchtitel des verstorbenen deutschen Sozialdemokraten Peter Glotz, ist unösterreichisch. „Der Preuße drängt zu Krisen, der Österreicher vermeidet Krisen“, so Hugo von Hofmannsthal, einer der Begründer der Salzburger Festspiele, die er als „genuinen Ausdruck österreichisch-bayerischen Kulturempfindens“ beschrieb. Der Austriake, der Phäake liebt Harmonie, Schönheit, Verständigung. Hinzu kommt noch, dass der Österreicher auch weiß, wo Verständigung nicht mehr möglich ist. Da neigt er dann zur Abschottung vor Konflikten.

PAZ: Schon einmal gab es ja eine vergleichbare Koalition in Wien, zu Zeiten des legendären Jörg Haider (FPÖ) im Jahre 2000. Sie löste unter Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) im „antifaschistischem Verfolgungseifer“ gleich bei 14 EU-Ländern mehrmonatige Strafaktionen gegen Österreich aus. Die blieben diesmal aus, was hat sich inzwischen verändert?

Meier-Bergfeld: Die Gesamtlage. Die nach 2000 in die EU aufgenommenen Visegrád-Staaten wollen aber ihre neu gewonnene Freiheit nicht Brüssel unterwerfen. Und es gab damals keine Grenzöffnungen. Und schließlich hat sich Bundeskanzler Schüssel massiv gewehrt. Einige Journalisten, darunter auch ich, haben kräftig dagegengehalten. Es kann und darf nämlich nicht sein, dass 14 Staaten bestimmen wollen, wie ein 15. zu wählen und seine Regierung zu bestimmen hat. Es gab und gibt keinen Bundesstaat Europa. Die Österreicher wollen ihn nicht, wie alle Umfragen klar belegen. Insoweit: So viel Haider wie jetzt war nie.

PAZ: Selbst dem UN-Migrati­ons­pakt hat sich Wien verweigert, sehr zum Ärger der bundesdeutschen Altparteien unter der Führung von Angela Merkel und ihrem medialen Umfeld. Da Österreich zurzeit auch die EU-Präsidentschaft innehat, ist das schon ein starkes Stück. Woher kommt dieser Mut?

Meier-Bergfeld: Aus der Zustimmung des Volkes. Aus der Ideologie der die Regierung bildenden Parteien, aus der Auflagenmasse der Boulevard-Zeitung „Krone“, wiewohl etwa „Der Standard“ (ein Minderheitenprogramm) und auch der Österreichische Rundfunk (ORF) linksliberal bis links positioniert sind. Dann noch aus der Tatsache, dass etwa fast 50 Prozent der Verdächtigen in Vergewaltigungsstrafverfahren Nicht-Österreicher sind und das auch angemessen kommuniziert wird. Fazit: Schwarz- Blau hat einen erheblichen Rück­halt in der Bevölkerung.

PAZ: Thema Leitmedien: Herrscht in Österreich auch eine vergleichbare, sozusagen „erdbebensichere“, fast einheitliche Berichterstattungstendenz pro Massenimmigration vor, bei gleichzeitiger Ausgrenzung aller nachdenklicher Stimmen, die als „rechts“ und/oder „rassistisch“ verunglimpft werden?

Meier-Bergfeld: Nein. Die Masse der Arbeiter wählt heute die FPÖ. Diese ehemaligen Wähler der SPÖ wissen natürlich, dass sie die Hauptlasten der Einwanderung zu tragen haben: Das sind die Leser der „Krone“, in der Leserbriefe veröffentlicht werden, die sich linke deutsche Redakteure gar nicht vorstellen können. Sie sind drastisch, deftig, frisch von der Leber weg und – nach deutschen Maßstäben – politisch höchst unkorrekt formuliert. Die linke Intelligenzija ist schwach, die Akademisierungsquote weit geringer als in Deutschland. Bäuerliches, Bürgerliches, Handwerkliches, Mittelstand mit „Hausverstand“ sind stark. Und die freiheitlichen Burschenschaften sind vergleichsweise weit verbreitet und in der FPÖ einflussreich. Strache selbst war als höherer Schüler korporiert.

PAZ: Der abgelehnte Migrati­ons­pakt ist das eine, konkrete Abwehrmaßnahmen gegen illegale Immigration und deren Folgeprobleme im eigenen Land sind das andere. So gab es in Österreich zum Beispiel am Grenzübergang Spielfeld kürzlich eine Abwehrübung gegen „Grenzsturm durch Ausländer“ mit 700 Polizisten und Soldaten. Was bezweckte sie und wie war das Echo der Migrations-Lobby?

Meier-Bergfeld: Es ging bei der Übung darum, Stärke und Entschlossenheit zu demonstrieren. „Wir lassen uns nicht auf der Nase herumtanzen“, sagt der Innenminister Herbert Kickl, das Hass­objekt der Linken. In Österreich sind Soldaten ständig im Grenzeinsatz, wenig vorstellbar in Deutschland. Der österreichische Ratsvorsitz hat allen EU-Staaten sogar angeboten, mit Bundesheer-Soldaten beim Grenzschutz zu helfen. Die bürgerliche Mitte hat das gelassen hingenommen, die FPÖ sehr zustimmend und die Linke hat – erwartungsgemäß – laut aufgeschrien, was jedoch ohne großes Echo blieb.

PAZ: Andreas Mölzer, die prägende Figur des Dritten Lagers in Österreich, bezeichnete die FPÖ als Modell für andere rechtsdemokratische Freiheitsparteien quer durch ganz Europa. Was könnte zum Beispiel die AfD von den Freiheitlichen lernen?

Meier-Bergfeld: Eine ganze Menge, zum Beispiel Vorfeldorganisationen aufbauen, zum Beispiel eigene Medien etablieren, es gibt schon Gymnasialkorporationen in Austria felix. Bei den Presseorganen wären hier Mölzers Wochenmagazin „Zur Zeit“, Dvorak-Stockers „Neue Ordnung“ und die in anderer Form demnächst wiederkehrende Monatszeitschrift „Die Aula“ zu nennen. Die „Aufbauten“ müssen von unten erfolgen, zum Beispiel aus den Gemeinderäten, da ist die FPÖ schon jetzt stark und nicht mehr ausgrenzbar. Es gilt Professoren zu unterstützen, siehe Lothar Höbelt, einen renommierten Historiker an der Uni Wien. Karl-Heinz Weissmann bekäme nie eine Professur in Deutschland, Höbelt hat sie seit Jahrzehnten inne. Des Weiteren: Gymnasiallehrer werben, Lehrredaktionen gründen und im sogenannten Europaparlament Verbündete suchen, auch in den Geheimdiensten.

PAZ: Die Gegner von Schwarz-Blau führen immer wieder in ihrer Kritik die enge personelle Überschneidung von Mitgliedern in Studentenverbindungen im Partei- und Regierungsapparat ins Feld. Welche Rolle spielen diese Korporationen im politischen Kräftefeld Österreichs wirklich?

Meier-Bergfeld: In der Bundespolitik eine große, fast 50 Prozent der Abgeordneten in der FPÖ-Fraktion im Nationalrat sind Korporierte, die das auch laut sagen, in Deutschland verstecken sie sich gerne. In der Gesamtgesellschaft sind sie nur von wenigen Linken ausgegrenzt, was aber kaum ernsthafte Folgen hat. Die Pressestellen der FPÖ-Ministerien sind voll von Korporierten, auch vielen schlagenden. Die Gründer der SPÖ im vorvorigen Jahrhundert waren vielfach Verbindungsstudenten, auch Victor Adler. Selbst Bruno Kreisky hat sich zeitlebens als „Deutsch-Böhme“ bezeichnet und damit Nähe zum deutsch-nationalen Lager der patriotisch orientierten Akademikerschaft signalisiert. Kein Bundeskanzler je hatte so viele „ehemalige“ NS-Parteigenossen in seinem Kabinett wie er. Die SPÖ hat viel eher begonnen, mit der FPÖ zu koalieren als die Christdemokraten (ÖVP).

PAZ: Mit welchen Reform-Maßnahmen der österreichischen Regierung rechnen Sie noch in dieser Legislaturperiode, was werden die sogenannten „Highlights“ sein?

Meier-Bergfeld: Lassen Sie mich das stichpunktartig benennen: Eine Lehre begründet in Österreich keinen weiteren Aufenthalt bei negativem Asylbescheid. Das heißt, ist ein Asylwerber (so die Bezeichnung hier) in einer Lehre und erhält er einen negativen Aufenthaltsbescheid, wird die Lehre sofort abgebrochen und der Betreffende ausgewiesen. „Spurwechsel“ von illegaler zu legaler Einwanderung ist in der Alpenrepublik fortan unmöglich. Die 21 Krankenkassen werden auf fünf reduziert, was viele SPÖ-Funktionärsposten kosten wird. Volksentscheide und Volksbegehren werden ausgebaut. 4200 neue Polizistenstellen werden geschaffen, Kopftuchverbote durchgesetzt in Kindergärten und Volksschulen, die hier noch so heißen. Es wird keine Aufenthaltsverfestigung Geduldeter mehr geben, nur noch Sammelunterkünfte, dann elektronische Fußfessel für Abschiebekandidaten, Moscheeschließungen, Kontrolle des islamischen Religionsunterrichts und der islamischen Seelsorge in Gefängnissen, keine Auslandsfinanzierung mehr für islamische Vereine und Moscheen sowie die Senkung der Mindestsicherung auf nur noch 365 Euro für Asylwerber, falls sie nicht an Integrations-, Deutsch- und Wertekursen teilnehmen. Familiennachzug gibt es fast gar nicht, das Kindergeld soll auf das Heimatniveau abgesenkt werden.

PAZ: Woran könnte das so erfolgreich gestartete Gespann Kurz/Strache scheitern? Sehen Sie auffällige Gefahren und falls ja, welche?

Meier-Bergfeld: Auf Sicht nicht. Die FPÖ könnte von ihrem rechten Rand, dem alles zu „lasch“ ist, bedrängt werden. Die Arbeiter könnten gegen Steuererleichterungen für Unternehmer, von der ÖVP gewünscht, rebellieren. Die FPÖ zwischen Mittelstands- und Arbeiterförderung in die Klemme kommen, in der ÖVP sich bestimmte Interessensgruppen –Bauern, Wirtschaft, Junge ÖVP und so weiter – zu wenig berück­sichtigt fühlen. Und der jahrzehntelange Streit der alten „ewigen“ Großen Koalitionen in neuer Form wieder aufflammen, vor allem, wenn die in Österreich sehr starken Landeshauptleute die einzigartige, überragende Stellung des Kanzlers Kurz als zu übermächtig empfinden würden. Da sind schon erste Haarrisse erkennbar.

PAZ: Hugo von Hofmannsthal hat in seinem „Schema ‚Preuße und Österreicher‘ 1917“ Wesentliches zum Verhältnis dieser beiden Staaten gesagt. Sehen Sie darin Erkenntnisse, die bundesdeutsche Politiker beherzigen sollten?

Meier-Bergfeld: Ja, ich empfehle dieses „Schema“ sehr zur Lektüre. Hofmannsthal stellte damals fest, dass es seit Bismarck keinen fundierten Kenner Österreichs mehr gegeben habe. Das ist heute noch so. Man glaubt, auf den niedlichen Lederhosennachbarn herabschauen zu können. Das ist grundfalsch. Bei einer anderen Regierungskonstellation in Deutschland sollten wir Österreich als einen Bündnispartner sehen, der für die deutsche Kultur in beiden Staaten eminent wichtig, bewahrend, fördernd, fortwirkend und gesundend wirken könnte. Nicht nur Bayern kann das leisten, sprechen die Österreicher doch – germanistisch betrachtet – ostmittelbaierisch.