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04.01.19 / Dolchstoß – Legende oder nicht? – Der Historiker Gerd Krumeich kratzt am Dogma

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-19 vom 04. Januar 2019

Dolchstoß – Legende oder nicht? – Der Historiker Gerd Krumeich kratzt am Dogma
Lars Keiser

Gerd Krumeich trat 2014 als Kontrahent des australischen Historikers Christopher Clark hervor, als dieser die Historikerzunft mit der These brüs-kierte, dass die kriegführenden Mächte im Ersten Weltkrieg alle-samt wie „Schlafwandler“ in den Ausbruch geschlittert seien. Krum-eich präsentierte sich als treuer Anhänger der Fischer-Glaubensgemeinschaft. Der Hamburger Historiker Fritz Fischer begründete mit seinem 1961 veröffentlichten Buch „Griff nach der Weltmacht“ das inzwischen sakrosankte Dogma von der Hauptschuld der Deutschen am Ausbruch des Krieges. 

In seinem neuen Werk „Die unbewältigte Niederlage“ stimmt 

Krumeich verhalten neue Töne an, wenn er mahnt: „Aber 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs sollten wir eigentlich politisch unbefangen und frei genug sein, hinter den traditionellen Schutzschilden hervorzutreten und ‚Versailles‘ und den ‚Dolchstoß‘ verstehend darzustellen.“ Abgesehen davon, dass der Historiker Krumeich mit einem „Schutzschild“ wissenschaftlich offenbar keine Probleme hat, kommt er selbst dieser Einladung nur in homöopathischer Dosis nach. 

Was war denn nun der „Dolchstoß“? Fischer und der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft zufolge war es ein Konstrukt, eben eine Legende, für die Erlebnisgeneration dagegen mitnichten. Angesichts von Kämpfen, die nicht auf deutschem Territorium stattfanden, sondern in Nordfrankreich und Belgien, schien dieser Krieg zunächst fernab. Die geschönten Berichte durch die Oberste Heeresleitung suggerierten eine militärische Lage, die es so nicht gab. Als im Januar 1918 angesichts der angespannten Versorgungslage Streiks im Deutschen Reich ausbrachen, die von Spartakus und Kommunisten als revolutionärer Kampf gegen Kaiser und Kapitalismus instrumentalisiert wurden, war das dem Kampfgeist der Truppe nicht förderlich. Nach dem Kriegseintritt der USA und Wilsons ­14-Punkte-Programm für einen Frieden mit Deutschland wurde es für Deutschland immer enger. 

Mit dem Kapitel „Der Dolchstoß, Lüge, Legende oder doch ein wenig wahr?“ kratzt Krumeich schließlich am Dogma. Doch da verbleiben ihm nur noch 80 Seiten für die Behandlung. Was dabei im ersten Teil des Buches besonders verärgert, ist das Fehlen jeglicher Ideologiekritik gegenüber den Akteuren der als Demokratie firmierenden Staaten. Vor allem die unerträgliche Selbstgerechtigkeit, mit der US-Präsident Wilson im Verein mit England und Frankreich gefordert hatte, dass Kaiser Wilhelm II. vor ein Kriegsgericht gestellt werden müsse, lohnt einen genaueren Blick. 

Vor einigen Jahren gelangte die amerikanische Sozialwissenschaftlerin Margaret L. Anderson mit ihrer Studie „Lehrjahre der Demokratie“ bei einem Vergleich der parlamentarischen Gebräuche in den USA, England, Frankreich und dem Wilhelminischen Kaiserreich zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass keiner der genannten Kontrahenten im Ersten Weltkrieg tatsächlich so demokratisch agierte wie das Deutsche Kaiserreich. Kein Wort dazu bei Krumeich. Aber auch andernorts dominiert Blauäugigkeit, etwa wenn er schreibt: „Nur die französische Regierung wollte aus bislang noch nicht erforschten Gründen eine solche interimistische Aktenpublikation nicht vorlegen.“ Dabei kann ihm unmöglich verborgen geblieben sein, dass die gesamte Entente dies mit einem Teil der Akten so handhabt – bis auf den heutigen Tag. 

Lediglich Russland machte seine Bestände der Öffentlichkeit zugänglich, sofern die USA die Revolutionswirren nicht benutzt hatten, um Akten einzusammeln und zu „sichern“. Auch 1989 schon wurden beim Zusammenbruch der DDR die Rosenholz-Dateien der Stasi im Handstreich durch die CIA „sichergestellt”. 

Bereits die frühe Weimarer Republik diskutierte endlos darüber, ob es einen „Dolchstoß” gab, und wenn ja, wie, wo und von wem? Waren der Spartakus, die USPD oder die Sozialdemokratie beteiligt? Welche Rolle spielten die Streiks ab Januar 1918, welche die Kommunisten oder „Verdünnisierer“, wie die Soldaten genannt wurden, die aus dem Heimaturlaub nicht zurückkehrten oder sich von der Front davonstahlen? Dabei wurde der Ton schnell rauer, wobei die Nationalsozialisten drastisch nur noch von den „Novemberverbrechern“ sprachen. 

All das fasst Krumeich in der These zusammen, dass die Weimarer Republik gescheitert sei, weil sie nie einen Weg gefunden habe, einer tief traumatisierten Nation eine gemeinsame Erzählung des verlorenen Weltkrieges zu vermitteln. Das besitzt gewisse Überzeugungskraft, des 180 Seiten langen Vorlaufs hätte es dazu nicht bedurft.

Gerd Krumeich: „Die unbewältigte Niederlage. Das Trauma des Ersten Weltkriegs und die Weimarer Republik“, Herder Verlag 2018, gebunden, 336 Seiten, 25 Euro