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08.02.19 / »Was ist das für elendes Zeug!« / Vor 200 Jahren wurde der verhinderte Verfasser des Nationalepos der Deutschen Wilhelm Jordan geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-19 vom 08. Februar 2019

»Was ist das für elendes Zeug!«
Vor 200 Jahren wurde der verhinderte Verfasser des Nationalepos der Deutschen Wilhelm Jordan geboren
Hagen Seehase

Vor Weihnachten hatten wir auf besondere Veranlassung J. hier; er rapsodierte genau 1½ Stunden in unserer Aula von Siegfrieds Abschied zur Jagd bis inklusive zu seinem Tode; und ich hörte das denn an. Aber, Gott stehe mir in Gnaden bei! Was ist das für elendes Zeug!“ So steht es in einem Brief an Gottfried Keller aus dem Jahre 1879. Der hier so vernichtend urteilte, war kein Geringerer als Theodor Storm, der arg gescholtene „J.“ war Wilhelm Jordan, fast gleichaltrig und ebenfalls Dichter. 

Damit erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten aber nicht. Beide stammten aus wohlsituierten bürgerlichen Häusern, durchliefen eine profunde universitäre Ausbildung. Beide waren Korpsstudenten. Beide gaben ihre eigentlichen Berufe zugunsten einer literarischen Karriere auf. Und, wichtiger noch, im Gravitationsfeld nationaler und demokratischer Bestrebungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts handelte sich der eine (Jordan) eine Ausweisung aus Sachsen ein, der andere (Storm) ein Berufsverbot. Während jedoch Storms Biografie hinlänglich bekannt ist, ist der Werdegang des Ostpreußen Jordan heute weitgehend vergessen.

Carl Friedrich Wilhelm Jordan erblickte am 8. Februar 1819 in Insterburg das Licht der Welt. Der Sohn des Rektors und späteren Pfarrers in Gumbinnen Karl August Jordan besuchte die Gymnasien in Gumbinnen und Tilsit. 1839 ging er nach Königsberg, um dort Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften zu studieren. Ebendort promovierte er 1842 zum Dr. phil. Den Wunsch des Vaters, eine theologische Profession zu ergreifen, erfüllte Wilhelm Jordan nicht. Stattdessen wählte er den Beruf des Schriftstellers. Fortan lebte er in Berlin, dann in Leipzig, wo er 1846 ausgewiesen wurde, und in Bremen. Er arbeitete als freier Autor und Korrespondent. 1848 wurde der Insterburger als Abgeordneter Freienwaldes in die Deutsche Nationalversammlung gewählt. Politisch neigte er dem Liberalismus altpreußischer Prägung zu, als Mitglied der Paulskirchenversammlung schloss er sich jedoch später der Partei Heinrich von Gagerns und dem Zentrum an. Jordan war vehementer Befürworter der sogenannten kleindeutschen Lösung unter Führung Preußens und Ausschluss der Habsburgermonarchie, eine Position, von der Gagern später abrückte. 

Im Zusammenhang mit den polnischen Aufständen gegen das zaristische Russland schlug sich Jordan nicht auf die Seite der Aufständischen. Darin unterschied er sich sehr deutlich von vielen anderen Abgeordneten und vielen Pressevertretern. Ganz d’accord mit der preußischen Führung warnte Jordan vor einer Veränderung des Status quo. Er befürchtete ein Aufbegehren des polnischen Nationalbewusstseins bei der polnischen Minderheit im Königreich Preußen. In Reden und Schriften warnte er vor der Bedrohung durch den Panslawismus, wobei er den tiefverwurzelten polnisch-russischen Gegensatz möglicherweise unterschätzte. 

Jordan führte einem „gesunden Volksegoismus“ das Wort. In diesem Sinne argumentierte er in der Nationalversammlung nun auf der Seite der Konservativen. 

Ab November 1848 fungierte er als Ministerialrat in der Marineabteilung im Reichshandelsministerium und beschäftigte sich dort mit dem Aufbau der Reichsflotte. Als diese 1852/53 in Bremerhaven durch Reichskommissar Laurenz Hannibal Fischer im Auftrag des Deutschen Bundes versteigert wurde, entfiel auf Jordan eine Pension, die es dem Mann von gerade einmal Anfang 30 ermöglichte, sich fürderhin hauptsächlich seinen literarischen Ambitionen zu widmen. Nebenbei betrieb er recht erfolgreich naturwissenschaftliche und sprachhistorische Forschungen. 

Parallel zu seinen politischen Aktivitäten und noch mehr nach deren Abflauen entfaltete er literarische. Dabei blieb er keinem Genre verhaftet, sondern erwies sich als wahres Multitalent. Romane und Tragödien gehören ebenso zu seinem Werk wie Lustspiele und Lyrik. Vieles davon entsprach der um die Mitte des 19. Jahrhunderts verbreiteten Gelehrtendichtung. Nach einem Gedichtband „Irdische Phantasien“ (1842) und dem mit wissenschaftlichem und philosophischem Gedankengut überfrachteten Mysterium „Demiurgos“ (1852) erschien 1867 Jordans Hauptwerk, ein großes Epos in Stabreimversen mit dem Titel „Nibelunge“. Es hätte nach Jordans Wunsch das Nationalepos der Deutschen werden sollen, sozusagen die literarische Entsprechung der Reichseinigung. Aber obwohl Jordan auf zahlreichen Vortragsreisen – 1871 sogar durch die USA – für eine Verbreitung seines Epos sorgte, wurde nichts daraus. Dabei hätte der Stoff wohl dem Zeitgeschmack entsprochen. Aus unerfindlichen Gründen griff aber Jordan nicht auf die naheliegende mittelalterliche Vorlage zurück, sondern verband das Hildebrandslied mit altnordischen Sagas und verquickte alles mit dem damals aufkommenden Hang zur Psychologie. 

Das wohldurchdachte, aber spannungsarme Hauptwerk stand einem größeren Publikumserfolg Jordans und einer späteren Würdigung durch Kritiker im Wege. So sind auch seine anderen Dramen „Die Witwe des Agis“ von 1857 und „Artur Arden“ von 1872, seine Lustspiele wie „Durchs Ohr“ von 1870, seine Gedichtbände „Schaum“, „Strophen und Stäbe“ „Andachten“, „Deutsche Hiebe“ und „Letzte Lieder“ sowie auch seine Romane „Die Sebald“ und „Zwei Wiegen“ heute längst vergessen. Immerhin erlebten die „Nibelunge“ noch ein paar Nachauflagen in den USA, und einige Rätselgedichte Jordans geben auch heutzutage noch Denksportlern Anlass zum Nachdenken. 

Nicht nur ein bisschen zu Unrecht fiel der Schatten seiner erschöpfenden und ermüdenden literarischen Werke auf ein Glanzstück Jordans. Seine Übersetzung der „Edda“ machte diesen isländischen Sagenstoff einem größeren Publikum zugänglich. Seine Shakespeare-Übersetzungen verraten ebenfalls Könnertum. Die Stadt Insterburg erhob ihn zu ihrem Ehrenbürger.