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15.03.19 / Zwischen bürgerlicher Republik und Monarchie / In den Wirren nach dem Ersten Weltkrieg war Ungarn 133 Tage lang der erste mitteleuropäische Sowjetstaat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-19 vom 15. März 2019

Zwischen bürgerlicher Republik und Monarchie
In den Wirren nach dem Ersten Weltkrieg war Ungarn 133 Tage lang der erste mitteleuropäische Sowjetstaat
Wolfgang Kaufmann

Die vor 100 Jahren proklamierte Föderative Ungarische Sozialistische Räterepublik gilt als der erste Sowjetstaat außerhalb von Russland und hatte daher eine große symbolische Bedeutung. Allerdings existierte sie nur ganze 133 Tage.

Zum Ende des Ersten Weltkriegs herrschte in Ungarn eine äußerst explosive Situation. Die tägliche Brotration betrug nur noch 50 Gramm und die Löhne lagen im Durchschnitt bei der Hälfte dessen, was 1914 gezahlt worden war. Gleichzeitig schwappten die Ideen der bolschewistischen Revolution in den ungarischen Reichsteil der kollabierenden Doppelmonarchie der Habsburger. Das lag vor allem an der Rückkehr von über 700000 entlassenen Kriegsgefangenen aus Lagern in Russland.

Vor diesem Hintergrund kam es zwischen dem 28. und 31. Oktober 1918 zur sogenannten Astern-Revolution. Ein neu gebildeter provisorischer Nationalrat unter der Führung von Mihály Nikolaus Graf Károlyi von Nagykároly forderte die sofortige Beendigung des Krieges und die Gewährung der vollständigen Unabhängigkeit für Ungarn sowie tiefgreifende demokratische und soziale Reformen. Infolgedessen musste der österreichische Kaiser Karl I. und ungarische König Karl IV. Károlyi, der trotz seiner adligen Herkunft großes Ansehen im Volke genoss, am 31. Oktober zum Ministerpräsidenten ernennen. Am selben Tage kündigte Ungarn die Realunion mit Österreich auf. 

Es folgte am 16. November 1918 die Ausrufung der Republik Ungarn. Zu ihrem ersten Präsidenten wählte der Nationalrat am 11. Januar 1919 den bisherigen Ministerpräsidenten Károlyi. Der Graf bildete eine Regierung mit Dénes Berinkey als Ministerpräsidenten, welche die versprochenen Reformen in Angriff nehmen sollte. Allerdings scheiterten diese zumeist schon im Ansatz, weil die teilweise neuentstandenen Nachbarn Ungarns überhaupt nicht daran dachten, sich an die jeweiligen Waffenstillstandsvereinbarungen von 1918 zu halten, und aus allen Richtungen auf ungarisches Gebiet vorrückten. Die Tschecho­slowakei sicherte sich Nordungarn beziehungsweise die Karpaten­ukraine, Rumänen annektierte Siebenbürgen, Teile des Banats, die östliche Crisana sowie die Maramuresch, und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen trennte Kroatien, Slawonien, Prekmurje, die Regionen Batschka und Drávaköz sowie den Rest des Banats ab. Dabei genossen die Aggressoren die Rückendeckung der Siegermächte. Dies hatte zur Folge, dass das ungarische Territorium immer mehr schrumpfte.

Die hierdurch in ihrer Position geschwächte Regierung in Budapest reagierte zunehmend panisch. Deshalb fürchteten die Alliierten einen zweiten und diesmal nun bolschewistischen revolutionären Flächenbrand. Statt jetzt aber die nicht-bolschewistische Republik zu stabilisieren, versuchten die Siegermächte Ungarn so klein wie möglich zu machen, bevor es bolschewistisch wurde. Am 20. März 1919 überreichte der Chef der Entente-Militärmission in Budapest, der französische Oberstleutnant Fernand Vix, der ungarischen Regierung ein seither meist Vix-Note genanntes Dokument, das über den Beschluss der Pariser Friedenskonferenz informierte, dass Ungarn nun auch die westliche Crisana zwischen Debrecen und Szeged zugunsten Rumäniens zu räumen habe – und zwar innerhalb von 36 Stunden. Dieses Ultimatum wollte weder die Berinkey-Regierung noch Károlyi annehmen und beide traten zurück. 

Das so entstandene Machtvakuum in Budapest nutzten radikale Sozialdemokraten und Kommunisten um Sándor Garbai und Béla Kohn alias Kun, um am 21. März 1919 die Ungarische Räterepublik zu proklamieren. Wenig später wurde die „Diktatur des Proletariats“ verkündet und mit einer radikalen Enteignungs- und Verstaatlichungspolitik begonnen. Außerdem setzte nun der „Rote Terror“ ein, dem viele hundert „Klassenfeinde“ zum Opfer fielen. Dabei taten sich besonders kommunistische Todesschwadronen wie die berüchtigten „Lenin-Jungs“ unter József Cserny hervor. Und man versuchte, die Revolution in die von vielen Ungarn bewohnte Südslowakei zu exportieren, wo eine weitere Räterepublik ausgerufen wurde. 

In Reaktion hierauf rückten Entente-Soldaten in Ungarn ein. Im französisch besetzten Szeged nahm eine konservative Gegenregierung die Arbeit auf. Als Kriegsminister gehörte dieser der letzte Befehlshaber der k. u. k. Kriegs­ma­ri­ne, Vize­admiral Miklós Horthy, an, dessen Stern als Politiker nun aufzugehen begann. Die rumänisch-ungarischen Grenzstreitigkeiten eskalierten im April zum Ungarisch-Rumänischen Krieg. Sowjetrussland versuchte zwar, Sowjetungarn militärisch zu unterstützen, doch hatten die Roten in Russland genügend damit zu tun, sich in ihrem Bürgerkrieg der Weißen und deren ausländischer Unterstützer zu erwehren. Bis zum 1. Mai 1919 eroberte Rumänien alle ungarischen Gebiete östlich der Theiß. Am 1. und 3. August 1919 kapitulierten die beiden Heeresgruppen der Räterepublik. Kurz darauf marschierten rumänische Truppen in Budapest ein. Die Führung der Räterepublik zerstreute sich in alle Winde. Der Kommunist Kun, der formal nur Volksbeauftragter für Außenbeziehungen, aber de facto der mächtigste Mann der Räterepublik gewesen ist, flüchtete in die UdSSR, in der er 1938 im Rahmen der Stalinschen Säuberungen erschossen wurde. Den Sozialdemokraten Garbai, der formal als Vorsitzender des Revolutionären Regierungsrates an der Spitze der Räterepublik gestanden hatte, verschlug es schließlich nach Frankreich, in dessen Hauptstadt er 1947 starb.

Mit dem Ende der Räteherrschaft war der Weg frei für die Restauration der Monarchie. Im November 1919 räumten die Rumänen Budapest und Horthy zog an der Spitze der von ihm gegründeten Nationalarmee in die ungarische Hauptstadt ein. Da die Entente keinen Habsburger an der Spitze Ungarns wünschte, war Horthys Weg dorthin frei. Um sich die Stephanskrone aufzusetzen, fehlte ihm zwar die Legitimität, aber als Reichsverweser stand er ab dem 1. März 1920 auch so an der Spitze des restituierten Königreichs Ungarn.