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29.03.19 / Chancen und Gefahren der Digitalisierung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-19 vom 29. März 2019

Chancen und Gefahren der Digitalisierung
D. Jestrzemski

Der digitale Wandel wird in Zukunft Firmen und Institutionen verändern oder überflüssig machen. Ungefähr die Hälfte aller Arbeitsplätze werde verschwinden, behauptet der Digitalexperte Christoph Keese, Jahrgang 1964, in seinem Buch „Disrupt yourself. Vom Abenteuer, sich in der digitalisierten Welt neu erfinden zu müssen“. Darin rät er Berufstätigen und Verantwortlichen in Unternehmen, sich auf grundlegende Veränderungen durch den rasanten digitalen Wandel einzustellen.

Das englische Wort „Disruption“ hat die Gründerszene in die deutsche Sprache eingeführt. Gemeint ist ein Prozess, bei dem ein bestehendes Produkt, Geschäftsmodell oder ein Markt durch eine stark wachsende Innovation abgelöst wird. Für die Berufstätigen hat das oft Entlassung oder eine komplette Neuorientierung zur Folge. Häufig geschieht Disruption durch Digitalisierung. Datengestützte Verfahren, künstliche Intelligenz und verteilte Datenbanken ersetzen Arbeitsplätze. Keese rechnet damit, dass dies in naher Zukunft etwa bei Versicherungen oder im Finanzamt der Fall sein wird. Wer rechtzeitig über berufliche Alternativen nachdenkt, schütze sich davor, später durch Arbeitslosigkeit in eine existenzielle Krise zu schlittern, verkündet er. Mittels einer Fülle von real erlebten Geschichten, viele davon über erfolgreiche Startups, zeigt er auf, wie Disruption gelingen kann. In seinem „Lexikon der aussterbenden Berufe“ sind Außenhandelskaufleute und Taxifahrer als hochgradig gefährdete Berufe aufgeführt, Grundschullehrer in der Mitte und am unteren Ende Physiotherapeuten. Im Management der Firmen komme es darauf an, den Schlag der Digitalisierung durch Einfallsreichtum auszugleichen.

Ausführlich beschäftigt er sich mit Blockchain, der Basis zahlreicher Startups. Blockchain ist weit mehr als die Technologie hinter Kryptowährungen wie Bitcoin. Die Datenbank-Technologie verteilt Informationen und übermittelt Werte dezentral und hochgradig fälschungssicher auf verschiedene Server. Kenner der Szene wie Keese sehen darin das Potenzial, nicht nur eine radikale Umwandlung des Bankwesens herbeizuführen, sondern gleich mehrere Branchen umzuwerfen. Er bewundert Firmengründer wie Bruce Pon, dem er Weltverbesserungsabsichten zuschreibt. Seine Blockchain-Idee werde mehr Gerechtigkeit schaffen. „Im Namen des Fortschritts nehmen Erneuerer (Angreifer) wie Pon in Kauf, Millionen von Arbeitsplätzen zu vernichten.“

Nun, man wird sehen. Für die Silicon-Valley-Konzerne hat sich der Weltverbesserungs-Nimbus inzwischen erledigt. Keese zitiert den Amazon-Gründer Jack Bezos: „Entweder wir schränken uns ein, oder wir verlassen die Erde und besiedeln das Weltall. Ich bin für die zweite Option.“ Stellt sich die Frage: Sollte man nicht besser darauf verzichten, bei Amazon einzukaufen? Keese kommentiert jedoch: „Größer könnte ein Anliegen kaum sein. Es ist typisch für das Denken von Erneuerern.“

Die neuen Anwendungen wie das Internet der Dinge, das voraussichtlich wenig echten Nutzen bringt, haben weltweit einen immer höheren Energieverbrauch zur Folge, was hier unerwähnt bleibt, desgleichen das Risiko für Menschen und Umwelt durch die starke Mobilfunkstrahlung. Zukünftig könnten die Bürger auf ein Arsenal von Apps angewiesen sein, um die Anforderungen des Alltags zu bewältigen. Teilhabe bliebe allen verwehrt, die damit überfordert sind. Damit wäre dann eine Zweiklassengesellschaft verwirklicht.
Doch der Autor verweist auf eine andere Gefahr für unsere Gesellschaft: „Wir sind umringt von einer riesigen amorphen Masse von Innovatoren, die das Alte in rasender Geschwindigkeit durch das Neue ablösen möchten. Fast überall heuern die besten jungen Talente bei den Angreifern statt beim Establishment an. Das ist komplett neu. Die Macht wandert von den Regierungen, Zentralbanken, Parlamenten und Konzernzentralen in Myriaden kleiner, sich selbst organisierender Einheiten ab. Wie ist eine solche Gesellschaft zu regieren? Ist sie überhaupt zu regieren?“

„Disrupt yourself“ ist ein Buch, das ermutigen möchte, viel mehr aber ein Gefühl des Ausgeliefertseins auslöst.    


Christoph Keese: „Disrupt yourself. Vom Abenteuer, sich in der digitalen Welt neu erfinden zu müssen“, Penguin Verlag, München 2018, gebunden, 287 Seiten, 22 Euro